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DOI: 10.1055/a-1548-1060
Das Sheehan-Syndrom – eine seltene Form der Hypophysenvorderlappen-Insuffizienz
Fallbericht
In dieser Kasuistik berichten wir über eine 35-jährige Primigravida in der 41+5 Schwangerschaftswoche (SSW). Aufgrund der Terminüberschreitung erfolgte – nach unauffälligem Schwangerschaftsverlauf – in der 41+3 SSW eine medikamentöse Geburtsinduktion. An Vorerkrankungen bestand nur eine Hashimoto-Thyreoiditis, die mit L-Thyroxin substituiert wurde. Bei Geburtsstillstand in der Austreibungsperiode führten wir eine Vakuumextraktion von Beckenboden durch, wobei ein Neugeborenes mit 4040 g geboren wurde. Nach Versorgung der Geburtsverletzungen (Scheidenriss, DR II°), zeigte sich eine atone Nachblutung mit starker Kreislaufreaktion und einem Blutdruck von 50/30 mmHg. Es erfolgte eine Nachkürettage im OP, wobei sich noch wenig Eihautreste gewinnen ließen. Unter Sulproston konnte schließlich ein suffizienter Tonus erreicht werden. Der Blutverlust wurde auf ca. 1000 ml geschätzt. Der Hämoglobinwert fiel im Verlauf auf 5,9 g/dl ab.
Post partum klagte die Patientin über verstärkte Kopfschmerzen, weshalb am 3. postpartalen Tag zum Ausschluss einer Sinusvenenthrombose ein MRT des Kopfes durchgeführt wurde ([Abb. 1]). In der Bildgebung zeigte sich ein geschwollener, vergrößerter Hypophysenvorderlappen mit randständiger Kontrastmittelanreicherung und es wurde der Verdacht auf eine Hypophysenapoplexie gestellt.
Das Chiasma opticum zeigte sich lediglich marginal tangiert, jedoch nicht komprimiert. Auch klinisch ergab sich kein Anhalt eines Chiasmasyndroms im Sinne von Visus- oder Gesichtsfeldeinschränkungen.
Bei klinisch und laborchemisch stabilem Befund konnte die Patientin entlassen werden und sie erhielt einen Termin in der endokrinologischen Praxis.
Am Folgetag jedoch stellte sich die Patientin in unserer interdisziplinären Notaufnahme mit erneut zunehmenden Kopfschmerzen, Schwächegefühl und Gangunsicherheit vor. Die Blutdruckwerte lagen eher im hypertonen Bereich (160/91 mmHg), wie bereits kurz vor der Geburt. Die Laktation war bisher ausgeblieben.
Laborchemisch fand sich eine Hyponatriämie von 117 mmol/l und es erfolgte die Aufnahme auf unsere internistische Intensivstation. Dort wurde eine intravenöse Therapie mit Cortison (Ausgangswert 5,8 µg/dl), sowie eine orale Natriumsubstitution begonnen. In der weiteren Diagnostik zeigte sich eine gonadotrope Insuffizienz (luteinisierendes Hormon [LH] < 0,1 mlU/ml; follikelstimulierendes Hormon [FSH] 0,9 mlU/ml) mit niedrigen Prolaktinwerten (6,7 ng/ml). Auch die somatotrope Achse war insuffizient (Somatotropin < 0,05 ng/ml). Aufgrund der schweren Hyponatriämie bei hochnormalem Blutdruck und erniedrigter Serumosmolalität (Urinosmolalität > 300 mosmol/kg), wurde außerdem der Verdacht auf ein Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH; ADH: antidiuretisches Hormon) am ehesten infolge des Hypophyseninfarkts gestellt.
Unter der o. g. Therapie kam es zur langsamen Besserung der klinischen und laborchemischen Parameter, sodass die Patientin am 5. Tag entlassen werden konnte. Die Therapie mit Hydrocortison wurde fortgesetzt. Eine detaillierte Hypophysenvorderlappen-Diagnostik sollte erst nach Stabilisierung des Allgemeinbefindens erfolgen. Sieben Wochen postpartal zeigt sich hierbei unter der Therapie mit 125 µg L-Thyroxin und 15 mg Hydrocortison täglich eine erhaltene Restfunktion des Hypophysenvorderlappens. Somatotropin, Prolaktin, Cortisol sowie die freien Schilddrüsenhormone hatten sich normalisiert, LH, FSH, sowie adrenokortikotropes Hormon (ACTH) lagen im unteren Referenzbereich. Die Elektrolyte waren ausgeglichen und der Blutdruck normotensiv. Anamnestisch gab die Patientin eine gute Leistungsfähigkeit bei noch bestehender Amenorrhö an.
Publication History
Article published online:
10 January 2022
© 2022. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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