Zeitschrift für Palliativmedizin 2021; 22(06): 300-303
DOI: 10.1055/a-1647-7924
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Doppelkopf: Elisabeth Jentschke und Dirk Münch

Elisabeth Jentschke

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Wie kamen Sie in Ihr jetziges Tätigkeitsfeld?

Als 16-Jährige habe ich in einem kleinen Krankenhaus ein mehrwöchiges Praktikum absolviert. Ich wurde dort mit dem akuten Sterben eines älteren Patienten konfrontiert. Für seine Tochter war ich die letzte Person, die ihren Vater erlebt hatte. Mehrere Male, auch Wochen danach, fragte sie mich, ob er noch etwas sagte. Ob er Schmerzen hatte? Wie ich ihn erlebt hatte …? Ich ahnte damals schon, dass der Sterbeprozess das Weiterleben Angehöriger beeinflusst.Einige Jahre später engagierte ich mich als junge Mutter hinsichtlich des Themas „rund um die Geburt“. Gleichzeitig nahm ich die Tabuisierung des Sterbens Mitte der 80er-Jahre wahr. Zu dieser Zeit zogen wir aufs Land, da mein Mann sich als Hausarzt niedergelassen hatte. Die Diskrepanz bzgl. der Beschäftigung essenzieller Themen wie die Geburt einerseits und dem Wegschauen des Sterbens andererseits hat mich (eher unbewusst) zu meinem jetzigen Tätigkeitsfeld geführt.Es öffnen sich im beruflichen Leben immer wieder Türen. Ich bin dort hinein, wo ich Fragen stellen durfte und Antworten erhoffte. Zum Beispiel wie kommt es, dass sich Menschen sehr viele Gedanken über die Art einer Geburt (z. B. Hausgeburt) machen und über sterbende Menschen sehr wenig wissen?Als ich dann später im klinischen Kontext therapeutische Gespräche mit Menschen geführt habe, ist mir immer wieder der „Tod eines geliebten Menschen“ als ein kritisches Lebensereignis beschrieben worden und mir wurde klar, dass das Trauererleben entscheidend von der Zeit vor dem Sterben, dem Sterbeprozess geprägt wird.Als ich 2009 von Prof. Birgitt van Oorschot gefragt wurde, ob ich als Psychologin auf der Palliativstation arbeiten möchte, habe ich sofort zugestimmt. Durch meine Tätigkeit als Psychoonkologin darf ich über eine längere Zeit Menschen, die an einer Krebserkrankung leiden, begleiten. Sozusagen von der Erstdiagnose bis zur palliativen Betreuung. Es ist mir aber auch als Gerontologin überaus wichtig, dass Menschen mit anderen schweren Diagnosen ebenfalls Unterstützung durch die Palliativmedizin erfahren.Zu meinen Aufgaben gehört auch, dass ich in der Uni eine Trauergruppe ins Leben gerufen habe. Dort treffen sich einmal im Monat Menschen, die ein großes Bedürfnis fühlen, über die erlebte Trauer sprechen zu dürfen und mit ihrer Trauer wahrgenommen zu werden. Trauer wird hierzulande immer noch tabuisiert.Glücklicherweise habe ich inzwischen zehn Kolleg*innen, die mich in den Abteilungen der Palliativstation, der Psychoonkologie sowie Neuropsychologie unterstützen.

Was wäre für Sie die berufliche Alternative?

Meine schulischen Stärken lagen im naturwissenschaftlichen Bereich. Die Beschäftigung mit Mathematik und Physik hat mich gereizt.Am meisten jedoch verstehen zu wollen, wie Menschen denken und fühlen. Warum sie in ihrer jeweiligen Art so und nicht anders handeln. Und: welche Bedingungen es braucht, um sich „gut“ entwickeln zu können. Also, das Fach Psychologie ist schon das richtige.Mit den Möglichkeiten, die ich im beruflichen Alltag habe, bin ich rundum zufrieden und glücklich (wenngleich es manchmal sehr viel ist). Ehrlich gesagt, liebe ich das Umfeld in einer Uniklinik. Viele unterschiedliche Kolleg*innen, die inspirieren. Das gefällt mir sehr gut!

Wie beginnen Sie Ihren Tag?

Nach zwei guten Tassen Kaffee (mein Mann kocht unter der Woche Kaffee, am Wochenende ich) ziehe ich mich für Yoga und Meditation ca. 30 Minuten zurück. Dann geht’s um 7:30 Uhr los! Ich habe 20 km Anfahrt bis zur Uni. Die Zeit im Auto nutze ich, indem ich mich informiere (Radio) oder mich bereits zu einem Skypemeeting zuschalte. Ich höre auch sehr gerne Musik, die mich mitunter den ganzen Tag „bewegt“!

Leben bedeutet für mich …

mit einer Offenheit und Achtsamkeit den Moment wahrzunehmen. Die Fähigkeit des Reflektierens nicht aus den Augen zu verlieren. Hindernisse der eigenen Entwicklung zu erkennen und ebenfalls für andere kein Hindernis darzustellen. Die zahlreichen menschlichen Begegnungen, die mich bewegen und staunen lassen. Zudem schätze ich die Fähigkeit, bis zum Ende des Lebens lernen zu dürfen und dies auch zu wollen.Von Martin Buber stammt „alt sein ist eine herrliche Sache, wenn man nicht verlernt hat, was anfangen heißt“. Ich bin gespannt, wie sich „alt sein“ später anfühlt!Neben der beruflichen Tätigkeit engagiere ich mich aktiv in einem internationalen Frauenclub: Zonta. Dort bin ich Foundation Ambassador (Botschafterin). Setze mich dafür ein, dass Frauen und Mädchen Schutz und Fürsprache erfahren. Es kann nicht angehen, dass nur ein kleiner Teil der Menschheit Privilegien wie Bildung, Schutz und Würde erfährt!Im Alltag bedeutet Leben auch für mich, dass neben der Arbeit, dem Ehrenamt, die Fähigkeit des Genießens gehört. Dazu gehören Musik, Bewegung, Meditation und ein schön gedeckter Tisch (da braucht es nicht unbedingt viel). Das bringt mir immer wieder Freude und verleiht mir Kraft. Für diese Möglichkeit bin ich sehr dankbar. Zudem ist es wunderbar, die Menschen in meiner Familie, dazu gehören mein Mann, unsere drei erwachsenen Kinder mit ihren Familien, in ihrer Entwicklung (wenn auch aus der Ferne) erleben zu dürfen.

Sterben bedeutet für mich …

Das ist schwer in Worte zu fassen. Ein großes Geheimnis! Erfüllung in Gott! Ich wünsche mir, dass mir die Zeit bleibt mich vorzubereiten, was auch immer das dann bedeutet.

Welches Ziel möchten Sie unbedingt noch erreichen?

Ich würde gerne weitere Male mit der WHO Länder bereisen und den Bereich der Palliativen Medizin bzw. Palliative Care vermitteln – auf Augenhöhe. Im Jahr 2019 durfte ich mit Piret Paal, Andreas Stähli und Johannes Pükki die Ukraine für eine Woche besuchen. Das war gut!

Meine bisher wichtigste Lernerfahrung im Leben ist …

die Möglichkeit und Fähigkeit zur täglichen Reflexion. Dazu gehört auch, dass ich durch Ausbildungen wie die Yogatherapie und Achtsamkeitslehren den Patient*innen, den Angehörigen, den Kolleg*innen meine Erfahrung weitergeben kann. Für mich selbst ist das Praktizieren eine tägliche Freude.

Was würden Sie gern noch lernen?

Ich habe bis zum Alter von etwa 20 Jahren in Kirchen bei Gottesdiensten Orgel gespielt. War also Organistin mit einem Prüfungsabschluss. Irgendwann würde ich mir für einige Zeit wieder einen Lehrer*in suchen und auf einer Kirchenorgel spielen wollen.

Woraus schöpfen Sie Kraft für Ihre Arbeit?

Es beginnt bereits am Morgen: die gute Tasse Kaffee, das Yogaritual, dann die unzähligen freundlichen Begegnungen im Alltag, die Freude, zu einer großen Familie zu gehören. Und die Kraft aus der Spiritualität – die Kraft aus dem Glauben, der mich durch mein Leben begleitet. Nicht zu vergessen, die Natur (wir wohnen in einer wunderschönen Landschaft).

Mit wem aus der Welt- oder Medizingeschichte würden Sie gern einmal einen Abend verbringen?

Ich würde sehr gerne mit Jon Kabat-Zinn einen Abend verbringen und mit ihm meditieren.

Wenn ich einen Tag unsichtbar wäre, würde ich …

Dazu fällt mir ehrlich gesagt nichts ein!

Wie können Sie Herrn Dirk Münch beschreiben?

Dirk Münch habe ich erst im vergangenen Jahr kennengelernt. In der Zwischenzeit gab es mehrere digitale Meetings. Dabei ist mir seine sympathische und ruhige Art aufgefallen umfangreiches Wissen einzubringen. Hinsichtlich der bayerischen Hospiz- und Palliativlandschaft (z. B. Fort- und Weiterbildung, Organisation, Netzwerkarbeit und Struktur) hat er eine enorme Sachkompetenz, sodass wir uns in unserer Funktion als stv. Sprecher der Landesvertretung Bayern der DGP ergänzen und voneinander lernen können.Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit mit ihm. Hoffentlich auch bald vis a vis!Überhaupt: In diesem überaus aktiven Gremium mit den Sprecherinnen Prof. Claudia Bausewein, Katja Goudinoudis sowie Ursula Mehlhase (Geschäftsstelle Landesvertretung Bayern) mitarbeiten zu dürfen, ist mir eine große Freude.

Wie beenden Sie Ihren Tag?

Nach einem entspannten Abendessen mit meinem Mann und Austausch über unseren Tagesablauf folgen am Ende meist ein paar Seiten in einem guten Buch und Musik zum Entspannen wie z. B. von Leonard Cohen „You Want It Darker“ oder der „Traum des Ikaros“ von Alexander Karozas.

Gibt es etwas, das Sie gern gefragt worden wären, aber noch nie gefragt worden sind?

Ich bin für diese Frage sehr offen und die ist mir sicherlich auch schon gestellt worden: Und welches Projekt gehst Du als Nächstes an?

Zur Person

Nach dem Studium der Psychologie, Soziologie und Erziehungswissenschaften habe ich in einer Praxis den Bereich der pädagogischen Psychologie einige Jahre ausgeübt. Danach über 10 Jahre als Dozentin für Sozialwissenschaften an Berufsfachschulen der Universitätsklinik Würzburg (Krankenpflege, Physiotherapie, Hebammenschule) junge Menschen unterrichtet. Vor nahezu 20 Jahren ein Postgraduiertenstudium in Psychogerontologie (FAU Erlangen-Nürnberg) absolviert. Dort mit dem Diplom und einer Promotion zum Thema: „Die Notwendigkeit der Palliativen Medizin in der Altersversorgung“ abgeschlossen. Für weitere Jahre in einer Geriatrischen Rehabilitationsklinik in Würzburg die Abteilung für Neuropsychologie geleitet. Daneben Weiterbildung im Bereich Psychoonkologie, Neuropsychologie sowie in systemischer Therapie mit Familientherapie. Weitere essenzielle Bausteine waren zertifizierte Ausbildungen in Entspannungs-, Hypnose- und Yogatherapie. In den nächsten Monaten schließe ich die MBSR-Ausbildung (Mindfulness-Based Stress Reduction) ab.

Im Jahr 2009 Mitgestaltung des Interdisziplinären Zentrums für Palliativmedizin, 2014 Aufbau der Abteilung für Neuropsychologie sowie Ausbau der Abteilung Psychoonkologie am Comprehensive Cancer Center. Seit einigen Jahren Leitung der Abteilung für Psychoonkologie sowie der Abteilung für Neuropsychologie am Universitätsklinikum Würzburg.

Aktiv in der universitären Lehre (FAU Erlangen-Nürnberg und Würzburg) und Dozentin in der Palliativakademie Juliusspital Würzburg sowie in Forschung in den Bereichen der Palliativmedizin, Gerontologie und Psychoonkologie.

Vorsitzende im klinischen Ethikkomitee der Universitätsklinik Würzburg.

Einige Jahre Sprecherin der Sektion Psychologie der DGP. Mitglied in der AG Sterbephase sowie in der AG Palliativmedizin (APM) der deutschen Krebsgesellschaft. Mit Dirk Münch Stellvertretende Sprecherin der Landesvertretung Bayern der DGP, Sprecherin der AG Palliative Care und Psychiatrie.



Publication History

Article published online:
09 November 2021

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