Praxis Handreha 2022; 03(01): 39-41
DOI: 10.1055/a-1675-0467
Aus der Praxis – für die Praxis

Rund um das Thema Ganglion – Fragen an einen Handchirurgen

Das Interview führte Andrea Zander.

Wenn uns Patient*innen mit Überlastungssyndromen ein Ganglion an der Hand zeigen, wollen sie meist wissen, was sie dagegen tun können. Uns Therapeut*innen stellt sich die Frage, wann eine ärztliche Diagnostik sinnvoll ist und ob es effektive und evidenzbasierte Aussagen zu Behandlung und Prognose von Ganglien gibt. Diese und weitere Fragen beantwortet Handchirurg Dr. Arne Tenbrock im Interview.

Zoom Image
Die gutartigen, mit Flüssigkeit gefüllten Zysten treten am häufigsten am dorsalen Handgelenk auf. (Quelle: © Altmann P. Musikermedizin: Erkrankungen der Hand. Sprache Stimme Gehör 2019)

Herr Dr. Tenbrock, wo kommen Ganglien am häufigsten vor und aus welchen Strukturen entstehen Sie?

Die häufigsten Ganglien finden sich mit bis zu 70% am dorsalen Handgelenk, gefolgt von ca. 15–20% am palmaren Handgelenk. Somit bilden die Handgelenksganglien die größte/häufigste Gruppe der Ganglien.

Ganglien gehen größtenteils vom skapholunären Band, seltener vom skaphotrapezoidalen Gelenk aus und treten intra- und extrakapsulär auf ([Abb. 1]). Seltener finden sich Ganglien im Bereich der Sehnenscheiden (Sehnenscheidenhygrome, ca. 10%) oder im Bereich der Fingerendgelenke (Mukoidzysten).

Zoom Image
Abb. 1 Schemazeichnung zu einem typischen Ganglion mit Ausgang vom SL-Band. Ein Ganglionstiel durchbricht die Gelenkkapsel und verbindet die intra- und extrakapsulären Ganglionanteile. (Quelle: © Schmitt R, Lanz U, Hrsg. Bildgebende Diagnostik der Hand. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2014)

Ganglien entwickeln sich über einen kleinen Ductus (den „Ganglionstiel“). Im Ganglioninneren befindet sich „konzentrierte Gelenkflüssigkeit“ mit verschiedenen Zellarten und Mucin – also Gallertgewebe, das dichter scheint als normale Gelenkflüssigkeit. Früher wurde diese Veränderung als mukoide Degeneration beschrieben.

Was ist der derzeitige Wissensstand über die Ätiologie für die Entstehung eines Ganglions?

Die Ätiologie ist bis heute nicht gänzlich geklärt. Eine traumatische Ursache scheint in bis zu 10% der Fälle vorzuliegen bzw. die Entstehung scheint damit assoziiert zu sein. Auch repetitive Mikrotraumen und degenerative Veränderungen des Band-/Kapselgewebes werden diskutiert. In der Geschlechterverteilung sind Frauen wesentlich häufiger betroffen, und im eigenen Klinikgut fallen besonders junge Frauen mit Gelenklaxizität auf.

Jugendliche Patientinnen haben sehr häufig Handgelenkschmerz als Begleitsymptom. Das macht das Problem für sie im Alltag sehr präsent, insbesondere beim Schreiben. Was raten Sie solchen Patientinnen?

Die Problematik des adoleszenten Handgelenkschmerzes finden wir, wie Sie beschreiben, besonders bei heranwachsenden Frauen mit laxem Kapsel-Band-Apparat. Durch hormonelle Umstellungen in der Pubertät, häufig gepaart mit anlagebedingter Laxizität des Kapsel- bzw. Bindegewebes, können repetitive oder unvorhergesehene Belastungen die Balance des Handgelenks aus dem Gleichgewicht bringen. Durch Fehl- oder Überlastung kann es dann zu akuten und chronischen Beschwerden kommen.

Wir sind hier sehr um Aufklärung und Ausschöpfung konservativer Maßnahmen bemüht. Um die intrinsische Stabilität zu fördern und zu erhalten, sollten längere Ruhigstellungen in Orthesen vermieden werden. Eine Immobilisation sollte sich stattdessen nur auf akute Schmerz- oder Belastungssituationen beschränken. Wesentliche Maßnahmen sind: stabilisierende Handgelenkübungen (z. B. mit dem Spinball) und Verhaltensanpassung (z. B. Abstützen über die Faust statt über die Handfläche). Zudem werden Patient*innen über die Anpassung des Bindegewebes aufgeklärt, die mit zunehmendem Alter stattfindet.

Wodurch entstehen intraossäre Ganglien, welche Knochen sind am häufigsten betroffen und mit welchen Symptomen kommen die Patienten in die Handsprechstunde bzw. ab wann sind sie problematisch?

Die Ursache intraossärer Ganglien ist nicht geklärt. Es werden chronische Reizzustände, spontane Bildung und Überbeanspruchung diskutiert. Die Beschwerden sind häufig unspezifisch wie zum Beispiel Handgelenkschmerzen ähnlich wie bei einer Sehnenscheidenentzündung oder Arthrose. Am häufigsten sind Lunatum und Skaphoid betroffen. Die Größe der Ganglien ist für die Beschwerdestärke unerheblich. Risikobehaftet ist es, wenn das Ganglion zu einer knöchernen Ausdünnung führt und eine pathologische Fraktur droht.

Wie unterscheidet sich ein Ganglion klinisch von einem Lipom, einem Tumor oder anderen Weichteilerhebungen?

Die Unterscheidung gelingt klinisch anhand der Lage und Mobilität. Häufig zeigen sich die Ganglien eher fixiert, wenig verschieblich und prall im Bereich der Ringbänder. Bei langem Stiel sind sie allerdings verschieblich.

Besonders die Sonografie und das MRT stehen zur Detektion, differenzialdiagnostischen Abklärung und Größenausdehnung im Vordergrund. Sie sollten bei jedem nicht eindeutigen Befund vor einer operativen Versorgung durchgeführt werden.

Wonach richten sich denn Ihre Therapieansätze bei der Entscheidung konservativ versus operativ?

Ein konservatives Vorgehen bzw. abwartendes Verhalten ist bei fehlenden Beschwerden und geringem Risiko von Folgeschäden (wie Nervenkompression, Frakturen, Perforation) indiziert. Bei großen Befunden, störendem Charakter, Schmerzen, kosmetischer Problematik, drohender Knochenverletzung wird die operative Indikation in Abstimmung mit den Patienten gestellt.

Welche Therapieoptionen weisen derzeit die niedrigste Rezidivrate auf?

Das geringste Risiko eines Wiederauftretens zeigen die operative Versorgung und Resektion mittels offenem oder arthroskopischem Vorgehen (letzteres bei dorsalem Handgelenksganglion). Rezidive werden je nach Literatur jedoch bis zu 20% beschrieben. Bei regulärer operativer Versorgung liegt das Risiko deutlich geringer. Ziel der operativen Versorgung ist die Resektion des Ganglions inklusive seines Stiels bis zu seinem Ursprung.

Ein abwartendes Verhalten, also weniger Belastung, führt häufig zu einer Regredienz, normale Belastung hingegen zu einer Zunahme. Punktion, Aspiration, Cortisoninfiltration und Zerdrücken des Ganglions führen in über 50% der Fälle zu einem Wiederauftreten der Problematik. Aus eigener Erfahrung führen zudem besonders Punktionen und Infiltrationen zu einer Vernarbung und Kammerung des Ganglions, welches bei der dann trotzdem notwendigen Operation zu Problemen bei der Präparation führt.

Sowohl konservativ als auch postoperativ kommt Kompression, beispielsweise durch ein „Münztape“, zum Einsatz. Können Sie dies unterstützen?

Druck auf das Handgelenk im Sinne einer Kompression auf die Region des operierten Ganglions ist nur schwer punktuell umsetzbar. Zudem ist sie insbesondere bei ja bereits frühzeitig gewünschter Mobilität nicht indiziert. Anders ausgedrückt: Wenn das Ganglion vollständig reseziert ist, braucht es keine Kompression, da kein Ganglion mehr vorhanden ist und eine Kompression nicht vor einem Rezidiv an dieser Stelle schützt. Bezüglich der Wundheilung oberflächlich oder initial zur zusätzlichen Blutstillung nach der Operation kann Kompression hingegen sinnvoll sein.

Konservative Therapien haben wenig Evidenz und führen in der Regel unter normaler Belastung zu einer Wiederkehr des Ganglions. Sinnvoll erscheint somit nur die Schonung in Frühstadien, dies ist jedoch im normalen Alltag in der Regel nur selten zu gewährleisten.

Wie stehen Sie zu einer handtherapeutischen postoperativen Nachbehandlung? Gibt es bei Ihnen ein postoperatives Standardprogramm?

Wichtig bei der postoperativen Therapie ist die frühzeitige Bewegungstherapie! In unserer Abteilung stellen wir das Handgelenk zur Schmerztherapie für 3 Tage ruhig. Anschließend werden die Patient*innen aufgefordert, in die Faust, in die Beugung und die Streckung zu trainieren, um sekundären Bewegungseinschränkungen durch vernarbungsbedingte Kontrakturen (Narbenfibrose) entgegenzuwirken. Eine frühzeitige Narbenmobilisation sollte ebenfalls Teil der Therapie sein.

Die Narbenbehandlung soll die Narbe mobil machen, um volle Bewegungsfreiheit im Gelenk zu ermöglichen. Andererseits schützt die Narbe das Gewebe vor erneuter Überlastung. Können breite, hypermobile Narben eine Ursache für Rezidive sein, die ja oft an denselben Stellen auftreten?

Grundsätzlich ist das Problem einer zu mobilen Narbe eher gering im Sinne der Stabilisierung zu sehen. Die Rezidive entstehen aus heutiger Sicht eher durch Belassen des Ganglionstiels bei der Operation. Beim arthroskopischen und offenen Verfahren ist es Standard, die Kapsel im Bereich des Gangliondurchtritts entweder offen zu lassen, oder ohne Spannung zu verschließen, um Kontrakturen entgegenzuwirken. Ein Einfluss der Narbenmobilisation auf die Rezidive ist nicht nachgewiesen. Hingegen muss man als Operateur bei sehr großen Defekten durch das Ganglion und laxen Handgelenken zwischen Stabilität des Handgelenks einerseits und Beweglichkeit andererseits balancieren.

Am Handgelenk wird bei operativer Versorgung manchmal eine Gaze zur Unterstützung des Kapselgewebes eingesetzt. Wie ist hier die Evidenz und wonach richtet sich der Einsatz einer solchen Kapselverstärkung?

Es ist bei Ganglien keine Kapselverstärkung z. B. wie bei der Dorsal Wrist Stabilization beim Rheuma sinnvoll. Denn mit der Rekonstruktion, Raffung und Verstärkung der Gelenkkapsel kauft man auch immer eine Bewegungsverschlechterung durch die Narbenfibrose ein. Patient*innen sind häufig aufgrund der narbenbedingten Bewegungseinschränkung bereits ab ca. 10–15°(!) Bewegungsverlust in Extension/Flexion unglücklich. Aus eigener Erfahrung (und wie auch in der Literatur beschrieben) ist dies auch das Problem bei Karpuslaxizität und mediokarpaler Instabilität: Man gewinnt Stabilität zum Preis einer geringeren Funktion, was die Patient*innen im Alltag einschränken und belasten kann. Die Patient*innen müssen explizit darüber aufgeklärt werden!

Herr Dr. Tenbrock, ich danke Ihnen – auch im Namen unserer Leser*innen – sehr für das Gespräch.



Publication History

Article published online:
19 January 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany