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DOI: 10.1055/a-1696-8415
Wer will denn noch Chef werden oder bleiben?
Als Leiter einer großen Urologischen Universitätsklinik mit 6 Oberärzten und 11 Ärzten in Weiterbildung war ich immer zufrieden und lebte und lebe immer noch mit dem Gefühl, meinen persönlichen Berufstraum erfüllt zu haben. Oberärzte unserer Klinik, die auf chefärztliche Positionen berufen wurden, haben natürlich gefragt, worauf sie bei den Vertragsverhandlungen achten sollen.
Ging es früher um festgeschriebene Investitionen, zugesicherte Personalbudgets und Fragen der Abgabenregelung bei der Privatliquidation, erscheint das heutzutage fast sekundär. Chefärzte und Chefärztinnen bekommen ein Festgehalt, meistens mit einer Bonusregelung, alle weiteren Zusagen bezüglich der Personalregelung und möglichen Investitionen bleiben oft vage und optional an der wirtschaftlichen Situation des Klinikums ausgerichtet.
In den Uro-News vom Februar 2022 berichtete Frau Bardenberg über eine Umfrage der Personalberatung Rochus Mummert bei 384 Oberärztinnen und Oberärzten von Universitätskliniken, die von März bis Mai 2021 erfolgte. Der Beitrag trug den Titel „Chef oder Chefin werden? Nein danke!“ [1]. Die Kernaussage: Für Oberärztinnen und Oberärzte an Universitätskliniken ist es immer weniger erstrebenswert, eine Leitungsfunktion an deutschen Kliniken zu bekommen. Lag das Interesse an einer Leitungsfunktion vor 4 Jahren noch bei 52%, sind es heute nur noch 43%. Als Gründe werden ökonomische Zwänge, Bürokratie, hohe Arbeitsbelastungen, Patientenferne, unattraktive Verträge und der stetig steigende Druck durch intensiven Wettbewerb und Interessen der Träger angegeben.
Dieses Szenario überrascht nicht und wird sich meiner Ansicht nach noch dramatisch verschlechtern. Die Gründe sind zum Teil gesellschaftlich bedingt, Folge einer geänderten Arbeitsauffassung und insbesondere Auswuchs der zunehmenden Kommerzialisierung des Gesundheitsbetriebes. Da es aber schon genügend „focusartige“ Verkürzungen auf Schlagworte gibt, möchte ich konkreter werden.
Grund 1:
„Das stimmt nicht – am liebsten hätte ich ein Ordinariat mit Beamtenposition. Das schützt mich vor Entlassung und ermöglicht ein angstfreies Arbeiten“. Im Wortlaut war das ungefähr die Antwort eines Kandidaten, der die Chefposition einer urologischen Klinik bei einem privaten Krankenhauskonzern abgelehnt hatte. Es zeigt: Wer heute mit seiner Familie vom Norden auf eine Stelle im Süden wechselt, geht damit auch ein existentielles Risiko ein. Wenn er/sie scheitert, gibt es nur schwerlich einen Weg zurück und die Familie leidet zudem, weil sie entwurzelt wurde. Es komme keiner und rechtfertige das mit einem heute üblichen Vorgehen. Denn im Unterschied zu Gehältern der Industrie reicht die Abfindung bei einem Chef höchstens für 1 Jahr.
Grund 2:
Mit zunehmender Spezialisierung werden nachgeordnete Mitarbeiter immer wichtiger und können hierfür auch Gegenleistungen erwarten. Sie werden höhere Gehälter und vielleicht die Befreiung oder Reduzierung von Nachtdiensten fordern. Dann muss aber die Chefin oder der Chef die nächtliche Versorgung der Patienten selbst sicherstellen. Und wenn die Leitung das nicht in weiser Voraussicht vorher verhandelt hat, wird sie dafür noch nicht einmal extra bezahlt.
Grund 3:
Das Risiko ist groß, dass eine hohe Arbeitsbelastung – und die geht man heute als Chef oder Chefin ein – den familiären Rahmen belastet. Die klassische Rollenverteilung, dass sich einer im Beruf aufopfert und der andere den familiären Background abdeckt, wird immer seltener. Genau diese Frage wird von jüngeren Mitarbeitern in oberärztlicher Funktion immer öfter gestellt.
Grund 4:
Wenn der Unterschied zwischen der Leitungsfunktion und einem guten Oberarzt nicht mehr als ein Mittelklassewagen pro Jahr ist, dann bleiben viele lieber in der zweiten Reihe und in dem Umfeld, in dem mein Partner / Partnerin seiner Arbeit und die Kinder in der gewohnten Schule bleiben können.
Grund 5:
Wird die Arbeitsbelastung in der Klinik für den Chef, die Oberärzte oder Fachärzte zu groß, findet sich meist eine Lücke im niedergelassenen Bereich. Im Idealfall kann dies mit einer belegärztlichen oder privaten operativen Tätigkeit kombiniert werden. Und wieder fehlt dann ein kompetenter Mitarbeiter in der Akutversorgung.
Ein großer privater Krankenhausbetreiber versucht gerade verzweifelt, seine ambulante Versorgung mit Ärzten auszubauen. Der Werbespruch auf der ersten Seite der 6-seitigen Anzeige im Deutschen Ärzteblatt lautet „Gute Nacht, Schichtdienst. Hallo, Work-Life-Balance. # Echtes Leben.“ Damit wird ausgedrückt, wofür der anstrengende Krankenhausbetrieb steht. Und dem kehren nicht nur die nachgeordneten, sondern auch die leitenden Ärzte den Rücken.
Grund 6:
Warum soll der Chef einer Klinik für gewerkschaftlich zugesicherte Belastungsgrenzen für ärztliche Mitarbeiter alleine verantwortlich sein? Wenn demnächst Ärzte nur noch 4 Dienste im Monat und maximal an 2 Wochenenden arbeiten dürfen – wer soll dann in der kleineren Spezialklinik auf dem Land noch arbeiten. Wie lange sind außertarifliche Verträge noch erlaubt, um die Engpässe zu überbrücken? Und wenn das ökonomische Korsett immer enger wird, wer zahlt für die außertariflichen Verträge? Es wird nur einer übrig bleiben, der verantwortlich ist: Der oder die Chefin. Macht das eine Leitungsfunktion attraktiver?
Alle Chefs kennen die Diskussionen um Überstunden und Pausenregelung, alles ist reglementiert, auch wenn alle guten Willens sind. Ständig überschreitet man Grenzen und macht sich angreifbar. Und irgendwann ist man – gerade auch durch die Nachverfolgung im Rahmen der Digitalisierung - womöglich erpressbar.
Grund 7:
Ein Detail als „pars pro toto“. Wenn sich heute ein Patient beschwert, wendet er sich an das sogenannte Beschwerdemanagement und schreibt sich seine Frustration von der Seele. Das Beschwerdemanagement kann darauf nicht antworten. Also wird die Beschwerde dem Chef der Abteilung weitergeleitet und der mühsame und oft zeitintensive Weg der Klärung und Beantwortung beginnt.
Je größer das unsägliche Geschwätz von dem Patienten als sogenannter Kunde wird, desto mehr sind Patienten ermutigt, sich über zu lange Wartezeiten, Sauberkeit, das Essen, ein zu kurzes Gespräch oder den fehlenden Brief zu beschweren. Dabei sollten Patienten anfangen froh zu sein, wenn sie im Krankenhaus überhaupt noch ärztlich und / oder pflegerisch versorgt werden. Mir fallen die vielen alten Patienten (und oft auch deren Angehörigen) auf, deren Anspruchsdenken an die Krankenhausversorgung noch aus Zeiten stammt, in denen die Wörter „Ärztemangel“ und „Pflegenotstand“ noch nicht einmal existierten.
Grund 8:
Headhunter Heiner Thorberg hat mit einem der Herausgeber der Uro-News, Prof. Elmar Gerharz, ein interessantes Interview geführt. Der Titel des provokanten Gesprächs „Weißröckchen – Schneeflöckchen?“ [2]. Denn der Headhunter stellt der aktuellen Generation der Führungskräfte kein gutes Zeugnis aus, weil sie zu verzärtelt seien und keine Nehmerqualitäten hätten. Zudem heißt es in der Einleitung „Ausländische Studenten sind hungriger auf Erfolg als der zahme deutsche Nachwuchs.“ Alle, die in Klinikleitungen tätig sind, kennen das, da sind Kliniken nicht mehr weit von höherrangigen Fußballclubs entfernt.
Was tun?
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Man wird die Kapazitäten bündeln müssen. Sowohl fachärztlich personell, aber auch finanziell. Wir werden einige gut auskömmliche „Big Player“ haben, aber in der Breite eine zunehmende Verknappung. Vielleicht wird man zu einer regionalen Versorgung mit rotierender, übergreifender urologischer Dienstbereitschaft kommen müssen.
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Einen Teil der Belastung werden fachübergreifende Dienste an Krankenhäusern abfedern. Aber aufgepasst: Wenn für jeden Katheter- oder Nephrostomiewechsel der Oberarzt der Klinik einrücken muss, wird auch der bei der ersten Gelegenheit in die Niederlassung gehen. Und der Chef oder die Chefin muss einen neuen Oberarzt suchen und einarbeiten – oder selber ran!
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Klinikleitungen werden zukünftig im Team mit mehreren gleichberechtigten Spezialisten besetzt. Natürlich wird das teurer – wäre aber der Preis für die Abwendung einer urologischen Versorgungskrise.
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Arbeitslastiger Unsinn muss identifiziert und eliminiert werden. Tätigkeiten außerhalb der Notwendigkeit sollten nicht mehr erledigt werden. Hier würde eine Definition des überflüssigen Tuns mit einem abgestimmten überregionalen Vorgehen – moderiert durch einen Arbeitskreis der DGU – helfen. Das wäre auch einmal ein Zeichen. Bei der „Choose wisely-Initiative“ ging das auch.
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Man sollte offensiver Physician Assistants fordern. Nicht anstelle von Ärzten, sondern zusätzlich. Das wäre ein möglicher Baustein bei den Chef-Vertragsverhandlungen mit der Geschäftsleitung. Diese Arzt-Assistenten können die Ärzte bei bürokratischen und inhaltlichen Tätigkeiten entlasten. Ein weiterer Charme: Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Physician Assistants der Klinik treu bleiben, ist größer als bei Ärzten in Weiterbildung.
Es gibt noch viele Ideen – sie könnten in speziellen Diskussionsforen bei Kongressen thematisiert werden. Es müssen Strategien formuliert werden, mit denen angehende Chefs wie mit einer „To-do-Liste“ in Gespräche mit der Geschäftsleitung gehen. Denn es geht nicht nur um Gehaltsvorstellungen, sondern auch um Forderungen, wie man die Arbeitslast und einen anstehenden Präsenzterror durch erforderliche Dienste reduzieren kann. Diese „to-do-Liste“ könnte man beim Arbeitsvertrag bearbeiten und juristisch einigen. Da einige Kliniken schon lange eine Leitung suchen, ist die Chance immer größer, hier neue Wege durchzusetzen.
Prof. Dr. Stephan Roth
Publication History
Article published online:
07 June 2022
© 2022. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Referenzen
- 1 Badenberg C. „Chef oder Chefin werden? Nein danke!“. Uro News 2022; 26: 39
- 2 Thorberg H. „Weißröckchen – Schneeflöckchen?“. Uro News 2022; 26: 60-61