PiD - Psychotherapie im Dialog 2022; 23(04): 13-14
DOI: 10.1055/a-1711-8523
Editorial

Einsamkeit hat viele Namen und Gesichter

Silke Wiegand-Grefe
,
Bettina Wilms

Was war für uns Anlass, uns mit einem Thema wie Einsamkeit zu beschäftigen? Schon das Wort weckt möglicherweise bei denen, die das dazugehörende Gefühl kennen, unangenehme Assoziationen. Mutterseelenallein, einsam und verlassen… Die Idee, uns mit diesem Thema zu beschäftigen, war für uns faszinierend – hat die Einsamkeit doch viele klinisch relevante Facetten, und zwar über die gesamte Lebensspanne. Einsamkeit bei depressiven Menschen, Einsamkeit im Alter, Einsamkeit, der Menschen in der Pflege begegnen, das Phänomen der Einsamkeit über die Lebensspanne, aber auch die Einsamkeit von Kindern, für die keine vertrauensvolle Bezugsperson verfügbar ist. Aber was unterscheidet ein „normales, gesundes“ Gefühl von Alleinsein, so wie das Leben eben unzählige emotionale Facetten mit sich bringt, von einem klinisch relevanten, behandlungsbedürftigen Symptom der Einsamkeit?

Einsamkeit hat viele Gesichter. Sie greifbarer zu machen, war unser Wunsch und unsere Idee bei diesem Heft.

Wir wollten uns dem Phänomen der Einsamkeit nähern, es genauer unter die Lupe nehmen, gerade auch in seiner Relevanz für uns Psychotherapeuten – aber die Umsetzung war gar nicht so einfach. Einsamkeit scheint faszinierend, aber schwer greifbar zu sein. Viele angefragte Autoren fanden die Idee zu unserem Heft sehr spannend, winkten aber ab, als wir sie einluden, einen Beitrag beizusteuern. Texte über Einsamkeit hat man nicht in der Schublade liegen, zur weiteren Verwendung.

Was ist Einsamkeit? Wie können wir sie definieren? Das Lexikon der Psychologie des Spektrum-Verlags definiert Einsamkeit als „ein subjektives Phänomen, das vielfältige objektive Bedingungsfaktoren aufweist, jedoch vom physischen Alleinsein und von sozialer Isolation sowie dem positiv erlebten Für-sich-Sein (positiv erlebte Erfahrung der eigenen Individualität, Freiheit, Autonomie und Selbstbegegnung – solitude) unterschieden werden muss. Entgegen der früher und in philosophischen Abhandlungen oft anzutreffenden Sichtweise positiver Einsamkeit, weist der semantische Raum der Begriffe einsam und allein gegenwärtig in der Alltagssprache einen negativen Bedeutungsraum auf.“ [1]

Von dem Begriff Einsamkeit wird zumeist der Begriff soziale Isolation abgegrenzt, so heißt es weiter, worunter man den objektiven Zustand des Alleinseins versteht. Einsamkeit und soziale Isolation sind zwar korreliert, aber nicht dasselbe: Manche Menschen sind gerne allein, ohne darunter zu leiden. Umgekehrt gibt es aber auch Menschen, die sich einsam fühlen, obwohl sie, von außen betrachtet, in ein großes soziales Netzwerk eingebunden sind.

Der Begriff Einsamkeit ist zumeist negativ konnotiert (im Sinne einer Normabweichung oder eines Mangels), mitunter aber auch positiv (und zwar stärker als der englischsprachige Begriff loneliness), beispielsweise im Sinne einer geistigen Erholungsstrategie, die Gedanken ordnen oder Kreativität entwickeln bzw. fördern kann. Soweit unsere professionellen Nachschlagewerke. Sie legen den Fokus ganz auf das Fehlen sozialer Beziehungen.

Und nun?

Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt, welche Facetten von Einsamkeit für uns als Psychotherapeuten wichtig sein könnten. Und nach einigen Hürden und Hindernissen ist es uns doch gelungen, ein – wie wir finden – breit angelegtes und spannendes Heft über Einsamkeit vorzulegen.

Wir freuen uns, wenn Sie es mit Interesse lesen.

Ihre
Silke Wiegand-Grefe
Bettina Wilms



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Article published online:
17 November 2022

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