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DOI: 10.1055/a-1722-9168
Risikofaktor-Demenz/Alzheimer
In der aktuell noch geltenden Leitlinie wird folgende Einschätzung des Frakturrisikofaktors M. Alzheimer vorgenommen: „Eine Alzheimer Erkrankung ist ein mäßiger Risikofaktor für Frakturen. In einer Metaanalyse von 6 Kohortenstudien (137.986 Teilnehmer) [1] zeigt sich ein zweifach erhöhtes Risiko für Frakturen (RR=2.18, 95% KI 1.64–2.90, P<0.001; I 2=91.4%), sowie in 5 Studien ein 2.5- faches Risiko für Hüftfrakturen (RR=2.52, 95% KI 2.26–2.81, P<0.001; I 2=25.2%).“
An dieser Einschätzung des Risikofaktors ändert die Aktualisierung der Leitlinie nicht viel. Der Risikofaktor Demenz/Alzheimer wird in den Risikorechner als wichtiger Risikofaktor eingehen. Grund hierfür ist zum einen das Ausmaß der Risikoerhöhung, zum anderen das häufige Vorkommen des Risikofaktors nicht zuletzt bedingt durch den demographischen Wandel in der Bevölkerung. Demenz und Osteoporose sind in der älteren Bevölkerung weit verbreitet und treten häufig gemeinsam auf. Derzeit sind weltweit 200 Millionen Menschen von Osteoporose und über 35 Millionen von Demenz betroffen, in Deutschland sind dies 1,6 Millionen Menschen, täglich kommen 900 Neudiagnosen hinzu, dies entspricht einer Prävalenz von 8,6% bei den über 65-jährigen. Und diese Zahlen werden sich in den nächsten zwei Jahrzehnten aufgrund der steigenden Lebenserwartung voraussichtlich verdoppeln. Beide Erkrankungen sind mit zunehmender Behinderung, körperlichem Verfall, Verlust der Unabhängigkeit und erhöhter Mortalität verbunden.
Das Alter spielt eine wesentliche Rolle in der Einschätzung des Risikofaktors Demenz. Tritt die Demenz im jüngeren Alter, d. h. vor dem Alter von 75 Jahren auf, so ist das zusätzliche Frakturrisiko besonders hoch, was im höheren Alter nicht mehr der Fall ist. Die populations-basierte Q FractureScore Register-Studie von Hippisley-Cox et al. 2012 [2] führt demenzielle Erkrankungen mit einem RR von 2,57 (2,31–2,85) für Hüftfrakturen, eine ähnliche Einschätzung des Risikofaktors wie durch die Osteoporose Leitlinien des DVO. Die Datenlage für das Hüftfrakturrisiko ist gut belegt, dies gilt aber nicht für das vertebrale Frakturrisiko, hier ist die Datenlage weiterhin nicht ausreichend genug, um klare Aussagen treffen zu können. Klinisch ist der link zwischen Frakturrisiko und Sturzrisiko erklärend für die eindeutige Datenlage hinsichtlich des belegten Hüftfrakturrisikos.
Wichtig ist zur Kenntnis zu nehmen, dass es Hinweise dafür gibt, dass weniger als 5% der Patientengruppe mit Hüftfrakturen und Demenz eine angemessene Behandlung gegen Osteoporose erhält [3]. Der Grund für diese unzureichende klinische Behandlung ist nicht näher untersucht, aber es wird angenommen, dass sie zumindest teilweise auf ein mangelndes Verständnis der Art des Zusammenhangs zwischen diesen beiden Erkrankungen zurückzuführen ist. In einer 2021 veröffentlichten Studie mit schwedischen Gesundheitsregisterdaten von 134,915 HüftfrakturpatientInnen (2:1 Frauen zu Männer, Altersdurchschnitt 83 Jahre) von denen 20% zum Zeitpunkt der Operation an einer Demenz litten, war das adjustierte Risiko der postoperativen 30-Tage-Gesamtmortalität bei Patienten mit Demenz nach einer Hüftfrakturoperation um 67% höher als bei Patienten ohne Demenz [adj. IRR (95% CI): 1,67 (1,60–1,75), p<0,001] [4]. PatientInnen mit Demenz sind RisikopatientInnen für Hüftfrakturen, sie sind noch weniger als andere an Osteoporose Erkrankte mit spezifischen Medikamenten nach Fraktur versorgt und die Mortalität nach Operation einer Hüftfraktur liegt signifikant höher als bei der Patientengruppe ohne Demenz. Eine „Osteoporose Hochrisiko-Trias“, die mehr klinische Aufmerksamkeit verlangt.
Deswegen ist wichtig und weiterführend die folgende Studie, die in der Septemberausgabe des Journal of Bone and Mineral Research veröffentlich wurde:
Bliuc, Dana, et al. “Cognitive decline is associated with an accelerated rate of bone loss and increased fracture risk in women: a prospective study from the Canadian Multicentre Osteoporosis Study.” Journal of Bone and Mineral Research (2021).
Das Neue an dieser Studie ist, dass eine umfassende Bewertung der Beziehung zwischen dem Verlauf des Knochenverlusts und des kognitiven Abbaus über einen Zeitraum von 10 Jahren verfolgt wurde, und dies in einem Kollektiv, das primär nicht an Demenz erkrankt war.
Diese Studie verfolgte zwei Ziele:
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Untersuchung des Zusammenhangs zwischen kognitiver Verschlechterung und Knochenverlust über einen Zeitraum von 10 Jahren;
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Untersuchung des Zusammenhangs zwischen signifikanter kognitiver Verschlechterung in den ersten 5 Studienjahren und dem anschließenden Frakturrisiko in den folgenden 10 Jahren bei Teilnehmern der Canadian Multicentre Osteoporosis Study (CaMos), die 65 Jahre und älter waren
Die Datenerhebung erfolgte an drei Zeitpunkten (zu Beginn, im fünften und im zehnten Jahr) mithilfe eines strukturierten Fragebogens, sowie jährlich durch per Post versandte Fragebögen. Bei allen klinischen Besuchen wurden Informationen zu Komorbiditäten, Bildung (Hochschulbildung oder nicht), Lebensstilfaktoren (z. B. Rauchen, regelmäßige körperliche Betätigung) und Lebensqualität anhand des SF-36-Fragebogens (standardisierte psychische und physische Werte) erhoben. Informationen zu Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln wurden bei Studienbeginn und jährlich erhoben. Anthropometrische Messungen sowie Messungen von BMD und kognitiven Funktionen wurden bei allen klinischen Besuchen durchgeführt.
Die BMD wurde als Flächen BMD des Oberschenkelhalses (aBMD) zu Beginn (Jahr 0) und anschließend im fünften und zehnten Jahr gemessen. Frakturereignisse wurden anhand der jährlich postal versandten Fragebögen ermittelt, wobei 78% der Frakturen durch Röntgenberichte verifiziert wurden. In einer verifizierten Stichprobe stimmten mehr als 90% der gemeldeten Frakturen mit den Röntgenberichten überein.
Teilnehmer wurden als signifikant kognitiv beeinträchtigt eingestuft, wenn sie zwischen dem Ausgangswert und Jahr 5 drei oder mehr Punkte im MMSE-Test (Mini Mental State Examination) verloren. Zudem wurde der Zusammenhang zwischen signifikanter kognitiver Verschlechterung und dem späteren Frakturrisiko anhand von Cox-Proportional-Hazard-Modellen geschätzt. Die Zeit bis zur Fraktur wurde vom Besuch im Jahr 5 bis zum ersten Frakturvorfall, zum Tod oder zum Ende der Studie berechne. Weiterhin wurde untersucht, ob ein signifikanter kognitiver Rückgang mit bestimmten Frakturtypen verbunden war. Diese Analyse umfasste Hüft- und Wirbelbrüche sowie Non Hip Non Vert-Frakturen (NHNV).
Publication History
Article published online:
21 February 2022
© 2022. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Liang Y, Wang L, Liang Y, Wang L. Alzheimer`s disease is an important risk factor of fractures: a meta-analysis of cohort studies. Mol Neurobiol 2016; Epub 2016 Apr 12
- 2 Hippisley-Cox J, Coupland C. Derivation and validation of updated QFracture algorithm to predict risk of osteoporotic fracture in primary care in the United Kingdom: prospective open cohort study. BMJ 2012; 344: e3427-e3427
- 3 Haasum Y, Fastbom J, Fratiglioni L, Johnell K. Undertreatment of osteoporosis in persons with dementia? A population-based study. Osteoporos Int 2012; 23: 1061-1068
- 4 Ioannidis I. et al. The mortality burden in patients with hip fractures and dementia. Eur J Trauma Emerg Surg 2021;