Aktuelle Dermatologie 2022; 48(06): 250-251
DOI: 10.1055/a-1725-7797
Interview

„Wer schreibt, der bleibt“

Dr. Christoph R. Löser im Gespräch mit seinem Gießener Lehrer Prof. Wolf-Bernhard Schill
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Prof. Dr. med. Wolf-Bernhard Schill. Quelle: Wolf-Bernhard Schill (privat)

Warum haben Sie die Dermatologie als Fachgebiet gewählt?

Schon als Student, angeregt von einer Kommilitonin, habe ich im vorklinischen Semester in Tübingen die Vorlesung des Dermatologen Prof. Heinrich Gottron gehört, der dermato-venerologische Erkrankungen an Beispielen aus deutschen Fürstenhäusern in drastischem Vokabular erläuterte. In den späteren klinischen Semestern hat mich die Vorlesung seines Nachfolgers Prof. Wilhelm Schneider so fasziniert, dass ich diese gleich zweimal komplett hörte. Als Lehrbuch benutze ich damals nicht das in Tübingen empfohlene Lehrbuch von Schneider, sondern das wesentlich umfangreichere von Keining/Braun-Falco, so wichtig war mir das Fach. Bemerkenswerterweise habe ich mich schon damals für die Subspezialität Andrologie interessiert und als Hörer die Vorlesung „Männliche Fertilitätsstörungen“ von Prof. Wilhelm Adam besucht. Während der damaligen 2-jährigen Medizinalassistentenzeit verbrachte ich die „Wahlzeit“ an der Tübinger Hautklinik, wo ich die dermatohistologische Sammlung von Dr. Walter Undeutsch akribisch durcharbeitete. Viele der überzähligen histologischen Belegschnitte durfte ich zum Aufbau einer eigenen dermatohistologischen Sammlung an mich nehmen, die ich noch heute besitze. Unschlüssig, in welche Fachrichtung ich mich „entwickeln“ wollte, habe ich zunächst 2 Jahre lang am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen in der Arbeitsgruppe Prof. Volker Neuhoff gearbeitet und mich molekularbiologischen Fragestellungen gewidmet. Durch Zufall, weil eine Kollegin aus gesundheitlichen Gründen absagen musste, habe ich ein einjähriges Stipendium als Ford Foundation Fellow in Reproduktionsbiologie bei Prof. Gebhard Schumacher, Frauenklinik/University of Chicago/USA angetreten. Die dort durchgeführte andrologische Grundlagenforschung war dann die Basis, mich um eine Assistentenstelle in der Dermatologie zu bewerben, denn damals war die klinische Andrologie ein Teilgebiet der Dermatologie, welches im universitären Bereich in Form von andrologischen Schwerpunkt-Abteilungen vertreten war. Im Rückblick schließt sich damit offensichtlich der Kreis, mein Interesse an der Dermatologie mit dem Spezialgebiet Andrologie in idealer Weise zu verbinden. Ich hatte dann das große Glück, in Prof. Otto Braun-Falco (OBF), LMU München, einen Förderer und faszinierenden Lehrer zu finden.

Sind Sie mit Ihrer Wahl zufrieden und warum?

Ja, ich bin zurückblickend voll und ganz zufrieden. Denn unter Anleitung von „OBF“ und seinen exzellenten Oberärzten konnte ich eine hervorragende klinische Ausbildung in Dermatologie genießen. Besonders hervorzuheben ist, dass man durch die zentrale Lage Münchens ein großes, vielseitiges Patientengut betreute und gleichzeitig von einer sehr guten interdisziplinären Kooperation in Klinik und Grundlagenforschung profitieren konnte. Während der Facharztausbildung gelang mir außerdem der Aufbau eines effizienten andrologischen Forschungslabors und die Einwerbung ausreichender Drittmittel (DFG, Sonderforschungsbereich, BMFT, WHO, Firmengelder). Nach der Habilitation kamen dann weitere interessante Tätigkeiten hinzu wie Lehre, oberärztliche Verantwortung, histologische Begutachtungen, dermatologische Gutachten, Bau- und Umbaubeauftragungen, Leitung des Tierlabors und des Bereichs Andrologie sowie Chefvertretungen. All diese Tätigkeiten waren nur durch einen 10–12-Stunden-Arbeitstag möglich, den man auf sich nahm bei einem begeisterungsfähigen Chef, der in jeder Hinsicht selbst ein Vorbild für uns Mitarbeiter war.

Sie haben in Ihrer Karriere viel erreicht. Worauf sind Sie besonders stolz?

Rückblickend ist die enge Verzahnung von klinischer Forschung und Grundlagenforschung der Motor gewesen, eine erfolgreiche Drittmittelforschung durchzuführen. Dazu gehörten DFG-Einzelprojekte bzw. dieTeilnahme an DFG- und BMFT-Schwerpunktsprogrammen und Sonderforschungsbereichen, WHO-Taskforceprojekten und als Höhepunkt die Teilnahme an Forschungsarbeiten der Deutschen Raum- und Luftfahrt (Spacelab-Mission, Kiruna-Forschungsraketen). Aufgrund der internationalen Verbindungen und häufiger aktiver Teilnahme an internationalen Kongressen konnten Stipendiaten aus Japan, Argentinien, Chile, Kamerun, Ägypten, Jordanien und Indonesien in meinem andrologischen Labor eingeworben und ausgebildet werden, was mir großes Vergnügen bereitete. Insgesamt konnten unter meiner Leitung viele Doktorarbeiten (58) erfolgreich abgeschlossen werden. Die Zusammenarbeit mit den Doktoranden war stets sehr anregend und herausfordernd. Besonders stolz bin ich natürlich, dass eine Biochemikerin aus meiner Arbeitsgruppe nach der Habilitation den Lehrstuhl für Reproduktionsbiologie an der Tiermedizinischen Hochschule Hannover übernehmen konnte. Ein besonderer Höhepunkt meiner beruflichen Karriere waren 3 Berufungen auf C4-Lehrstühle an den Universitäten Hamburg, Tübingen und Gießen mit Schwerpunkt Andrologie. Nach Rufannahme des Lehrstuhls Dermatologie und Andrologie an der Universität Gießen 1989 konnten sich im Laufe meiner dortigen Tätigkeit bis 2005 insgesamt 14 Mitarbeiter habilitieren. Eine Ehrenpromotion der Medizinischen Fakultät konnte ich für Prof. Bernie Ackerman, New York, ermöglichen. Honorarprofessuren an der Huang Tuah University of Surabaya und der Universidad de la Frontera, Temuco, Chile, sowie die Ehrenmedaille des Fachbereichs Medizin der JLU Gießen 2018 haben meine wissenschaftlichen Tätigkeiten abschließend gewürdigt.

Welches Ereignis ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Nie werde ich vergessen, wie bei der für uns nahezu „unantastbaren Person“ Otto Braun-Falco während der Mittagsvisite in Anwesenheit aller Oberärzte und ca. 35 Assistenten anlässlich des Besuchs von Prof. Bernie Ackerman, New York, dieser infolge einer witzigen Bemerkung laut lachend voller Kraft die flache linke Hand klatschend auf den rechten Oberschenkel von OBF schlug. Alle Anwesenden erstarrten, Otto zeigte keine Regung und Bernie Ackerman freute sich wie ein ausgelassenes Kind.

Von wem haben Sie besonders viel gelernt?

Die Dermatologie mit all ihren Facetten habe ich in faszinierender Weise von unserem begnadeten Lehrer Otto Braun-Falco gelernt. Die klinische Dermatologie wurde mir aber auch von den damaligen Oberärzten Enno Christophers und Sandor Marghescu nachhaltig vermittelt. Beeindruckende Mentoren meiner Grundlagenausbildung waren Volker Neuhoff (MPI Göttingen), Gebhard Schumacher (University of Chicago) und Hans Fritz (Institut für klinische Chemie und Biochemie, LMU München).

Was war der beste Rat, den Sie während Ihrer Karriere erhalten haben?

Bei dem Vorstellungsgespräch an der Hautklinik der LMU München 1971 gab mir Otto Braun-Falco zwei Ratschläge mit auf den Weg: „Wer schreibt, der bleibt“ und „Sie müssen immer zwei Manuskripte in ihrer Schreibtischschublade zur Publikation bereit haben“. Diese Ratschläge habe ich strikt befolgt.

Was ist momentan die wichtigste Entwicklung der Dermatologie?

Die wichtigsten Entwicklungen in der Dermatologie kommen aus der Molekularbiologie und der Immunologie mit bahnbrechenden Ergebnissen für Diagnostik und Therapie. Dies gilt insbesondere auch für die Tumortherapie.

Wo sehen Sie die Zukunft der Dermatologie?

Interdisziplinäre Forschungsansätze und Grundlagenforschung bestimmen die zukünftigen Entwicklungen des Faches auf hochschulpolitischer Ebene. In der dermatologischen Praxis sollte die Breite des Fachs angeboten werden, was allerdings eine profunde klinische Ausbildung voraussetzt. Leider beobachte ich in der täglichen Praxis eine z. T. mangelhafte klinische Ausbildung junger Kolleginnen und Kollegen und die zunehmende „Fokussierung“ auf nicht dermatologische Krankheitsbilder im Rahmen der ästhetischen Dermatologie. Diese bindet die ärztliche Expertise im täglichen Praxisalltag so stark, dass Terminvergaben für akut erkrankte Patienten leider oft nicht zeitnah, sondern mit z. T. wochenlanger Verzögerung angeboten werden. Einschränkend sind die Ursachen hierfür jedoch von vielfältiger Natur.

Was raten Sie jungen Kollegen?

Jungen Kolleginnen und Kollegen rate ich zu einer breiten klinischen Ausbildung. Sollte eine akademische Karriere angestrebt werden, empfehle ich die Vertiefung in einem wissenschaftlichen Spezialgebiet. Kenntnisse dafür sollte man allerdings möglichst vor Beginn der Facharztweiterbildung an einem theoretischen Institut erwerben.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Wolf-Bernhard Schill
Am Rasselberg 39
35578 Wetzlar
Deutschland
wb@prof-schill.de



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Article published online:
14 June 2022

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