PPH 2022; 28(02): 102
DOI: 10.1055/a-1727-2617
Rund um die Psychiatrie

Für Sie gelesen: Aktuelle Studien

Fox KR, Huang X, Guzmán EM et al. Interventions for Suicide and Self-Injury: A Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials Across Nearly 50 Years of Research. Psychological Bulletin 2020; 146 (12): 1117–1145. doi:10.1037/bul0000305

Hintergrund: Bereits in frühen Aufzeichnungen der Menschheit wird das Vorkommen von Suiziden sowie selbstverletzenden Gedanken und Verhaltensweisen (englisch: suicide and related self-injurious thoughts and behaviors; kurz: SITBs) beschrieben. Weltweit sind ungefähr 1,5 % aller Todesfälle auf Suizide zurückzuführen.

SITBs sind oft mit viel Leid im persönlichen, sozialen sowie gesellschaftlichen Umfeld verbunden. Auch das Gesundheitssystem und die Gesundheitsversorgung werden dadurch vor Herausforderungen gestellt. Deshalb wurden in den letzten Jahrzehnten große institutionelle und wissenschaftliche Anstrengungen unternommen, um wirksame Therapie- und Behandlungsansätze zu entwickeln. Die vorliegende Studie zielte darauf ab, die bisher veröffentlichten randomisierten kontrollierten Studien zu untersuchen, um Empfehlungen zu geben, wie SITBs systematisch und nachhaltig reduziert werden können und worauf sich zukünftige institutionelle und wissenschaftliche Interventionen vorrangig konzentrieren sollten.

Methode: Das Studiendesign umfasste eine Metaanalyse von insgesamt 591 randomisierten kontrollierten Studien, die in den letzten 50 Jahren durchgeführt wurden, um die Effektivität von Therapie- und Behandlungsansätzen von SITBs zu untersuchen. Der Großteil der Forschungsarbeiten wurde seit dem Jahr 2000 veröffentlicht (88 %).

Ergebnis: Die Ergebnisse der Metaanalyse zeigen, dass die Interventionseffekte insgesamt gering waren und es keine signifikanten Unterschiede bei den Therapie- und Behandlungsansätzen gibt. Zudem existieren keine robusten Beweise für eine hochwirksame oder moderate Intervention bei SITBs. Dies gilt auch für die Wirksamkeit in Bezug auf Altersgruppen, obwohl die Wirkungen bei Kindern/Jugendlichen sogar etwas schwächer waren.

Dies bedeutet, dass sich die Wirksamkeit der Intervention in 50 Jahren Forschung nicht grundlegend verbessert hat. Da nahezu alle bestehenden Interventionen ähnliche Wirkungen erzielen, werden vor allem kostengünstige Therapie- und Behandlungsansätze mit niedriger Zugangsschwelle und kurzer Behandlungsdauer empfohlen.

Fazit: Diese Metaanalyse legt nahe, dass grundlegende Änderungen erforderlich sind, um die Wirksamkeit von SITBs-Interventionen zu erhöhen. Die Ergebnisse zeigen, dass derzeit viele Therapie- und Behandlungsansätze die SITBs nur geringfügig verringern.

Dr. Jörg Kußmaul

Maister L , De Beukelaer S, Longo MR. The Self in the Mind’s Eye: Revealing How We Truly See Ourselves Through Reverse Correlation. Psychological Science 2021; 32 (12): 1965–1978

Hintergrund: Die Selbstwahrnehmung und -darstellung einer Person übt schon seit langem eine Faszination auf die Psychologie und menschliche Kulturgeschichte aus. Die Erstellung eines Selbstporträts wird seit langem nicht nur als Darstellung der physischen Erscheinung verstanden, sondern auch als Ausdruck der eigenen Identität, Emotionen und Überzeugungen. Die Forschungsfelder haben sich insbesondere durch die Möglichkeit, das eigene Erscheinungsbild wunschgemäß mit digitalen Medien anzupassen sowie die zunehmende Prävalenz körperbildbezogener Störungen erweitert. Diese Studie beschäftigte sich damit, ob und wie Selbstdarstellungen des eigenen Gesichts und Körpers mit den persönlichen Überzeugungen und Einstellungen interagieren.

Methode: Die Forscher verwendeten eine analytische Reverse-Correlation-Technik, um die mentalen Selbstporträts von Gesichtern und Körperformen zu untersuchen (N = 116 Erwachsene). Die Probanden schätzten selbst verschiedene psychologische Aspekte ihrer Selbstdarstellung ein, zum Beispiel ihre eigenen Persönlichkeitsmerkmale und Überzeugungen. Weiterhin beschrieben die Studienteilnehmer mit einem Fragebogen ihre körperliche Selbstdarstellung.

Ergebnis: Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass individuelle Unterschiede in der Genauigkeit der Gesichts- und Körperporträts mit dem Selbstwertgefühl zusammenhängen. Menschen mit einem höheren Selbstwertgefühl erstellen tendenziell eher lebensnähere Selbstporträts. Im Gegensatz zu Gesichtsporträts weichen Körperporträts oftmals von der tatsächlichen Körperform der Personen ab. Gesichts- und Körperporträts werden von den eigenen Überzeugungen und Emotionen der Menschen beeinflusst. Dies wirkt sich in Einzelfällen in sehr voreingenommenen und übertriebenen Selbstbildern aus.

Fazit: Persönliche Einstellungen und Überzeugungen beeinflussen die Wahrnehmung und Selbstdarstellung des eigenen Gesichts- und Körperporträts. Die Motivation, die eigene Selbstdarstellung mit digitalen Medien zu verändern, bietet ein weites Forschungsfeld, um die mentale Selbstpräsentation zu ergründen.

Dr. Jörg Kußmaul



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
23. März 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

© Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany