Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/a-1801-9440
Gesellschaftsnachrichten des Verband der Diätassistenten e.V. (VDD)
Situation der ambulanten Ernährungstherapie: Ergebnisse der Umfrage 2021
Von „desolat“ bis „gar nicht so schlecht“: So beurteilten freiberufliche Diätassistenten ihre Auftragslage im vergangenen Frühjahr. Um über die gefühlten Einschätzungen hinaus harte Fakten und Argumente für die Interessenvertretung zu bekommen, hat der VDD eine Umfrage unter freiberuflich arbeitenden Ernährungstherapeuten durchgeführt.
Die Fragestellung
Die VDD-Fachgruppe Ambulante Ernährungstherapie und Freiberuflichkeit hatte einen Fragebogen erstellt, der nicht nur eine Bestandsaufnahme hinsichtlich Auftragssituation darstellt, sondern auch Ursachen für Veränderungen abfragte. An der Befragung haben sich insgesamt 322 Ernährungsfachkräfte (Diätassistenten, Oecotrophologen, Ernährungswissenschaftler) beteiligt. Wie hat sich das Kostenübernahmeverhalten von Krankenkassen entwickelt? Wie viele Therapie-Einheiten wurden ggf. bewilligt? Welche Gründe gibt es für Ablehnung und welche Kassen betrifft es? Welche Rolle spielen digitale Angebote und Eigenkostenanteil, wenn Patienten nicht in die Praxen kommen? Die Umfrage erfolgte online von Mitte April bis Mitte Mai 2021.
#
Die Situation der ambulanten Ernährungstherapie 2021
Bisher ist die ambulante Ernährungstherapie nur für die Indikationen Mukoviszidose und SAS (Seltene Angeborene Stoffwechselerkrankungen) in der Heilmittelrichtlinie verankert. Die Ernährungstherapie anderer ernährungsabhängiger Erkrankungen gehört nicht zu den Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenkassen. Trotzdem bezuschussen einige auf Basis von Individualentscheidungen die ambulante Ernährungstherapie. Als rechtliche „Krücke“ wird sich auf § 43 SGB V „ergänzende Leistungen zur Rehabilitation“ berufen – das ist jedoch nur eine Notlösung, ein Anspruch darauf besteht nicht.
Zu Beginn des Jahres 2021 stellte sich die Situation der Ernährungstherapie unklar dar. Es war die Rede von abgelehnten Kostenbeteiligungen und zurückgehenden Zuweisungen von Ärzten. Zudem haben einige Krankenkassen ausschließlich eigene online-gestützte Angebote gefördert.
Die Befragung zeigte jedoch, dass sich trotz der schwierigen Zeiten die Situation in der Ernährungstherapie, insbesondere das Zuweisungsverhalten der Ärzte und die Kostenzusagen der Krankenkassen, insgesamt nicht verschlechtert hatte. 60 Prozent der Befragten konnten beim Vergleich der Jahre 2019 und 2020 keine Verschlechterung ausmachen. Im Vergleich der 1. Quartale 2021 und 2020 verzeichneten lediglich 26 Prozent einen Rückgang an Anfragen nach ambulanter Ernährungstherapie. Die Hälfte der Ernährungsfachkräfte stellten eine positive Entwicklung fest. Für 24 Prozent war die Situation unverändert [Tab. 1].
Bei der Zuweisung durch Ärzte und die Ausstellung einer medizinischen Notwendigkeitsbescheinigung gab rund ein Viertel der Befragten (26 Prozent) einen Zuwachs an, knapp ein Fünftel (19 Prozent) erhielten dagegen weniger Zuweisungen, für andere hat sich die Situation nicht verändert oder war nicht angegeben.
#
Eigenanteil entscheidend für Nutzung der Ernährungstherapie
Interessant war das Kostenübernahmeverhalten der Krankenkassen. Hier konnten 63 Prozent der Befragten keine Veränderung feststellen. In einigen Fällen wurden seltener und auch weniger Leistungen bewilligt bzw. nur bestimmte Angebote bewilligt. Wenn die Kostenübernahme abgelehnt wurde, lag das am häufigsten daran, dass die Krankenkasse eigene Angebote finanzierte oder nur an bestimmte Anbieter vergeben hat. In anderen Fällen wurde die ärztliche Diagnose nicht als Grund für die Bewilligung anerkannt (!) oder der Anbietende war nicht bei der Zentralen Prüfstelle Prävention (ZPP) gelistet. Zwar ist die ZPP-Listung grundsätzlich für die Prävention relevant, doch wird sie von Sozialversicherungsfachangestellten mangels vorhandener Kriterien auch immer wieder zur Überprüfung der Qualifikation zur Ernährungstherapie herangezogen.
Wenn Patienten von der Ernährungstherapie trotz ärztlicher Notwendigkeitsbescheinigung keinen Gebrauch machen, liegt das häufig an den Kosten, die sie selbst zu tragen haben. Die Umfrage ließ zudem klar erkennen, dass die Kassenzugehörigkeit der Patienten darüber entscheidet, ob und in welcher Höhe eine Ernährungstherapie bezuschusst wird.
#
Folgerungen
Die Heilmittelrichtlinie um weitere Indikationen zu ergänzen, muss oberste Priorität bekommen. Nur so lässt sich endlich Rechtssicherheit für Patienten wie Therapeuten schaffen. Bis dahin gilt es, die situative Entwicklung der Ernährungstherapie nach § 43 SGB V im Blick zu behalten.
Dass letztlich die privat zu tragenden Kosten und nicht der medizinische Bedarf darüber entscheiden, ob Patienten eine Therapie nutzen (können), ist fatal und bedarf einer dringenden Reformierung.
Vergleich 2019 und 2020 |
Vergleich 2020 und 1. Quartal 2021 |
|||
---|---|---|---|---|
absolut |
prozentual |
absolut |
prozentual |
|
Anfragen sind unverändert geblieben |
62 |
19 |
77 |
24 |
Anfragen sind gestiegen |
138 |
43 |
160 |
50 |
Anfragen haben sich verringert |
122 |
34 |
85 |
26 |
Dem VDD liefern die Ergebnisse der Umfrage gute Argumente in der politischen Diskussion, um die derzeit ungleiche Situation in der Patientenversorgung zu belegen. Er wird sie nutzen, damit alle, die eine medizinisch notwendige Ernährungstherapie benötigen, diese auch erhalten und die Durchführung nicht an Kosten oder Kassenzugehörigkeit scheitert.
Kurz gelesen
Die Ergebnisse der Umfrage bestätigen die unbefriedigende Situation sowohl für Bedürftige als auch für die Anbietenden von ambulanter Ernährungstherapie. Sie lassen erkennen, dass Ernährungstherapie im Vergleich zu anderen etablierten Therapiearten bzw. -formen im GKV-System einen ungesicherten Stellenwert einnimmt.
-
Für die Patienten gibt es keinen niederschwelligen Zugang zur Ernährungstherapie, keinen Rechtsanspruch auf ambulante Ernährungstherapie und keine freie Therapeutenwahl.
-
Die Umfrage untermauert den hohen Bedarf an Ernährungstherapie und die steigende Nachfrage. Trotzdem arbeiten nur wenige Diätassistent*innen ausschließlich freiberuflich; Grund dafür ist offensichtlich die fehlende finanzielle Sicherheit.
-
Die Umfrage liefert wichtige Argumente für die Forderung nach Ergänzung der Heilmittelrichtlinie um weitere Indikationen. Zudem geht kein Weg an einer angemessenen Vergütung therapeutischer Leistungen vorbei.
#
Publication History
Article published online:
14 June 2022
© 2022. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart,
Germany