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DOI: 10.1055/a-1842-2122
Kommentar zu Therapieoptionen beim Seminom im klinischen Stadium II
Die niedrigen Stadien beim Seminom (CS I und IIA/B) gelten als äußerst Strahlen-sensibel. Die 15-Jahres krankheitsfreien Überlebensraten liegen zwischen 97 und 99% [1]. Somit stellte die retroperitoneale Bestrahlung beim Seminom CS IIA/B paraaortal/-caval plus ipsilateral iliacal mit 30 bzw. 36 Gy jahrzehntelang den Standard dar. Auch die Polychemotherapie mit 3 × PEB zeigt entsprechend gute Ergebnisse, ab einem ausgedehnteren Stadium IIB sogar etwas bessere als die Radiatio [2]. Allerdings zeichnen sich beide Verfahren durch eine hohe Toxizität aus. Beim Seminom sind in erster Linie Zweitmalignome im Strahlenfeld zu nennen, bei der Chemotherapie insbesondere die kardiovaskuläre Toxizität [1] [2] [3] [4] [5].
Daher ist es verständlich, dass für diese Stadien weiterhin eine Therapieoptimierung angestrebt wird. Während für das Nichtseminom CS IIA/B eine Zeit lang 2 Optionen, die primäre retroperitoneale Lymphadenektomie (RLA) gefolgt von 2 Zyklen einer adjuvanten Chemotherapie mit PEB und die primäre Chemotherapie mit 3 Zyklen PEB plus einer Residualtumorresektion, sofern nötig (Residuen ≥1 cm), gleichwertig eingesetzt wurden, gibt es zur primären Operation beim Seminom CS IIA/B nur wenige Daten wie in der vorliegenden Arbeit genannt. Insgesamt war die Zahl der Patienten mit einem CS II A/B gering. In der Studie von Warszawski erlitten 55% der CS IIB Patienten ein Rezidiv [6]. Nichtsdestotrotz wurde das Konzept der primären RLA vor dem Hintergrund einer deutlich geringeren Toxizität in neuester Zeit in 2 Phase II-Studien wieder aufgenommen, der SEMS- und der PRIMETEST-Studie, wie im vorliegenden Artikel berichtet. Ein Kongressbericht über die SEMS-Studie mit 55 Patienten (Tumorgröße max. bis 3 cm) ergab ein 2-Jahres rezidivfreies Überleben von 82% bei einem 100%igem Gesamtüberleben. In die PRIMETEST-Studie wurden Patienten mit Tumoren bis 5 cm aufgenommen. Eine Interimsanalyse mit 22 Patienten ergab hier bereits eine Rezidivrate von 23% nach einer mittleren Nachbeobachtung von 4,5 Monaten, wenn auch außerhalb des OP-Feldes. Auch hier konnten alle Patienten mittels einer Salvagetherapie erfolgreich behandelt werden. So kann man sagen, dass die Ergebnisse schon bei einer kurzen Nachbeobachtung schlechter sind als nach den bisherigen Standardtherapien. Einen anderen Ansatz verfolgte die SAKK 01/10-Studie, in der man grundsätzlich an der Bestrahlung des Tumors mit der entsprechenden Dosis von 30 bzw. 36 Gy für die Stadien CSIIA bzw. B festhielt, diese aber fokussiert verabreichte. Um mögliche Mikrometastasen im modifizierten Feld zu erfassen, wurde vorab ein Zyklus Carboplatin verabreicht, wie auch im CS I als adjuvante Therapie üblich. Die Ergebnisse wurden inzwischen auf dem ESMO-Kongress 2021 vorgestellt. Bei einem medianen Follow-up von 4,5 Jahren betrug das 3-Jahres progressionsfreie Überleben (primärer Endpunkt) im CS IIA 95,2% und im CS IIB 92,6%. Im CS IIA gab es ein Rezidiv, im CS IIB 6 Rezidive, alle außerhalb des modifizierten Feldes. Zwar wurde das angestrebte Ziel für das Stadium IIB knapp verfehlt, nichtsdestotrotz sind diese Ergebnisse sehr gut. Eine Nachfolgestudie wurde bereits aufgelegt, in der im CS IIA die Strahlendosis auf 24 Gy reduziert wurde. Im CSIIB wurde die Chemotherapie auf 1 × PE eskaliert, aber auch hier die fokussierte Strahlendosis auf 30 Gy reduziert. Schließlich wird eine Studie von Nicol et al. in diesem Artikel erwähnt, bei der eine minimalinvasive RLA bei 40 Patienten mit einem CS IIA durchgeführt wurde. Bei 37 Patienten bestätigte die Histologie ein PS II Stadium. Diese erhielten adjuvant 1 × Carboplatin. Nach einem medianen Follow-up von 38 Monaten erlitt ein Patient (2,5%) ein Rezidiv außerhalb des OP-Feldes.
Die vorgestellten Studien lassen vermuten, dass eine alleinige RLA wahrscheinlich keine ausreichende Behandlung darstellen wird. Die Kombination einer lokalen Therapie, fokussierte Radiatio oder OP, kombiniert mit einer vor- oder nachgeschalteten minimalen Chemotherapie scheint vielversprechend. Hier bedarf es längerer Verlaufsbeobachtungen. Ob die OP gegenüber der fokussierten Radiatio vorteilhaft ist, hängt von der Rate an retrograden Ejakulationen, einer möglichen Komplikation nach RLA, bzw. der Rate an Sekundärmalignomen nach der fokussierten Radiatio ab. Hier bedarf es einer längeren Nachbeobachtung.
Publication History
Article published online:
02 September 2022
© 2022. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Patel HD, Srivastava A, Alam R. et al. Radiotherapy for stage I and II testicular seminomas: Secondary malignancies and survival. Urol Oncol – Semin Orig Investig 2017; 35: 606.e1-606.e7 DOI: 10.1016/j.urolonc.2017.06.051.
- 2 Giannatempo P, Greco T, Mariani L. et al. Radiotherapy or chemotherapy for clinical stage IIA and IIB seminoma: a systematic review and meta-analysis of patient outcomes. Ann Oncol 2015; 26: 657-668 DOI: 10.1093/annonc/mdu447. (PMID: 33199252)
- 3 Hellesnes R, Kvammen Ø, Myklebust TÅ. et al. Continuing increased risk of second cancer in long-term testicular cancer survivors after treatment in the cisplatin era. Int J Cancer 2019; 147: 21-32 DOI: 10.1002/ijc.32704. (PMID: 31597192)
- 4 de Haas EC, Altena R, Boezen HM. et al. Early development of the metabolic syndrome after chemotherapy for testicular cancer. Ann Oncol 2013; 24: 749-575 DOI: 10.1093/annonc/mds527. (PMID: 23131388)
- 5 Kero AE, Järvelä LS, Arola M. et al. Cardiovascular morbidity in long-term survivors of early-onset cancer: a population-based study. Int J Cancer 2014; 134: 664-673 DOI: 10.1002/ijc.28385. (PMID: 23852751)
- 6 Warszawski N, Schmücking M, Samtleben G. et al. Die Strahlentherapie der regionären Lymphknotenstationen bei der Behandlung des Seminoms im Vergleich zur retroperitonealen Lymphadenektomie. Strahlenther Oncol 1996; 172: 250-254