physioscience 2022; 18(04): 184-185
DOI: 10.1055/a-1867-3499
gelesen und kommentiert

Beitragende Faktoren des Nervensystems, Rückenmarksgewebe und der psychosozialen Gesundheit zu unspezifischen Schmerzen im unteren Rückenbereich: multivariate Meta-Analyse

Relative Contributions of the Nervous System, Spinal Tissue and Psychosocial Health to Non-specific Low Back Pain: Multivariate Meta-Analysis

Zusammenfassung

Hintergrund

Mit Training und Übungen werden Schmerzen und Behinderung bei Patient*innen mit nichtspezifischen Rückenschmerzen (nsLBP) reduziert, jedoch nur teilweise erfolgreich [1]. Es ist bekannt, dass strukturelle und funktionelle biologische Merkmale des Nervensystems (Gehirnstruktur [2] und Funktion [3]), die anatomische Struktur der Wirbelsäule (z. B. Degeneration Discus intervertebralis, paraspinale Muskulatur [4]) sowie psychologische Faktoren (Depression, Angst, Katastrophisieren, Selbstwirksamkeit und Glaube, soziale Gesundheit [5]) zur Sinneswahrnehmung von nsLBP beitragen können.


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Ziel

In dieser multivariaten Meta-Analyse (MA) wurden Merkmale des Nervensystems mit der spinalen Bildgebung sowie den psychologischen Faktoren verglichen und quantifiziert, um eine differenzierte Aussage über den Beitrag der 3 Kategorien zu nsLBP zu treffen.


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Methode

Die Suchstrategie dieser MA beinhaltete Literatur zu Rücken- und Nacken-Guidelines [6] sowie Artikel, die auf den Datenbanken Medline, Embase, Cinahl, PsycInfo und SportDiscus bis zum 25.03.2020 gefunden wurden. Eingeschlossen wurden beobachtende Studien an erwachsenen Personen mit und ohne nsLBP, bei denen mindestens 2 Assessments aus den folgenden 3 Themengebieten vorgenommen worden waren:

  1. Strukturelle und funktionelle Merkmale des peripheren und zentralen Nervensystems

    • Gehirnvolumen

    • Nervenfunktionen

    • Druck- und Schmerzempfindlichkeit

    • Wärmeempfindlichkeit

    • elektrische Sensibilität

  2. Strukturelle Bildgebung der Wirbelsäule

    • Diskushernien/Degenerationen

    • Veränderungen von Facettengelenken und Osteophyten

    • paraspinales Muskelvolumen und Fettinfiltration

  3. Psychosoziale Aspekte

    • mentale Gesundheit (Depression und Angst)

    • Angst und Katastrophisierung

    • Glaube und Schmerzselbstwirksamkeit

    • soziale Gesundheit (Arbeitszufriedenheit und soziale Unterstützung)

    • Trauma (z. B. posttraumatischer Stress oder Status nach Kindheitstrauma)

Studien mit spezifischen LBP (z. B. Schwangerschaft, Tumor, Infektion, Fraktur, Osteoporose etc.) wurden ausgeschlossen.

Der Mittelwert sowie die Standardabweichung der Assessments wurden in Ratio oder in ausgewiesener Veränderung extrahiert (z. B. von VAS, NRS, Oswestry-Disability-Index, Roland Morris Disability Questionnaire, Depression Anxiety Stress Scale) und in die statistische Analyse (StataSE) einbezogen. Der Heterogenität der Daten wurde mit I2 statistics begegnet.


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Ergebnisse

Von den 4519 Ergebnissen nach der Literaturrecherche wurden 52 Studien einbezogen, von denen 33 Studien eine quantitative Synthese enthielten. Davon erhielten 8 Studien eine gute, 7 eine angemessene und 18 eine schwache Bewertung des Verzerrungsrisikos. Die Zahl der Proband*innen war in 2 Themengebieten mit 2867 für psychosoziale Faktoren und 2438 für Komponenten des Nervensystems hoch, bei der Bildgebung konnten hingegen lediglich 470 Proband*innen einbezogen werden. Es zeigte sich, dass in allen 3 Themenbereichen bei Personen mit chronischem nsLBP signifikant höhere Werte vorhanden waren als in der Kontrollgruppe, wobei die psychosozialen Aspekte die signifikantesten Veränderungen aufwiesen ([Tab. 1]). Während die Unterthemen aus verschiedenen Gründen keine Signifikanz erreichten ([Tab. 2]). Beim akuten nsLBP waren lediglich die psychosozialen Faktoren signifikant erhöht.

Tab. 1

Signifikante Veränderungen in folgenden Strukturen.

Psychosozial

Nervensystem

Spinale Bildgebung

Katastrophisierung und Angst

Mechanische und thermische Sensitivität

Discus intervertebralis

Mentale und soziale Gesundheit

Gehirnfunktion

Tab. 2

Keine signifikante Veränderungen in folgenden Strukturen.

Psychosozial

Nervensystem

Spinale Bildgebung

Soziale Gesundheit

Elektrische Sensitivität

Paraspinale Muskelgröße

Trauma

Temporale Summation

Selbstwirksamkeit

Schmerzmodulation

Gehirnstruktur

Die multivariate MA von Tagliaferri et al. zeigt, dass psychosoziale Faktoren einen größeren Einfluss auf chronische nsLBP als spinale Bildgebung oder das Nervensystem haben. Da psychosoziale Faktoren bei akuten nsLBP ebenfalls eine Rolle spielen, fördern diese eventuell den Schmerzbeginn, während die spinale Degeneration sowie die veränderte Nervenleitfähigkeit gemeinsam mit den psychosozialen Faktoren zur Chronifizierung beitragen. Guidelines (z. B. Oliveira et al. [7]) sollten im klinischen Alltag empfehlen, Patient*innen mit akuten nsLBP bei der ersten Konsultation mittels psychosozialen Assessments zu screenen (z. B. Screening Tool STarT Back oder Orebro Musculoskeletal Pain Questionnaire [8]), während bei Patient*innen mit chronischen nsLBP multidimensionale Assessments zur Anwendung kommen sollten. Weiter wird in der Meta-Analyse kein Zusammenhang zwischen sozialer Gesundheit (z. B. Jobzufriedenheit, soziale Unterstützung) und Gehirnstruktur und der Entwicklung von nsLBP gezeigt. Die Effektgröße der psychologischen Faktoren war größer als die der Bildgebung und des Nervensystems und hat zur Signifikanz dieser Resultate beigetragen. Weitere Studien auf diesem Gebiet sollten neben allgemeinen Empfehlungen berücksichtigen:

  • Alle 3 Themengebiete sollten untersucht werden (spinale Bildgebung, psychosoziale Faktoren sowie das Nervensystem).

  • Um eine klinische Relevanz zu erreichen, sollten die Schwellenwerte der Effektgrößen genau berechnet werden.

  • Psychologische Komorbiditäten sollten berücksichtigt werden.


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Schlussfolgerungen

Die Effektgröße für psychosoziale Faktoren war in der MA größer als für spinale Bildgebung und neurologische Faktoren bei Menschen mit und ohne nsLBP. Weiter spielt die Dauer der nsLBP (akut vs. chronisch) eine wichtige Rolle. In weiteren Studien sollten alle 3 Themen untersucht werden, um die Rolle der Effektgröße und der damit verbundenen Signifikanz dieser Messungen in Relation zu den klinischen Befunden darlegen zu können.


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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
10. November 2022

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