Die Wirbelsäule 2022; 06(04): 210-211
DOI: 10.1055/a-1915-1714
Referiert und kommentiert

Kommentar zu: Demographic, clinical, and operative risk factors associated with postoperative adjacent segment disease in patients undergoing lumbar spine fusions: a systematic review and meta-analysis

Andreas Strauss
1   Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Chirurgisches Zentrum, Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Deutschland (Ringgold ID: RIN385634)
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Fusionen im Bereich der lumbalen Wirbelsäule werden aufgrund unterschiedlicher Pathologien durchgeführt. Die guten klinischen Ergebnisse von lumbalen Fusionsoperationen führten in der Vergangenheit zu einer deutlichen Zunahme in der degenerativen Wirbelsäulenchirurgie. So zeigte sich in der Auswertung des National Inpatient Sample (NIS) der USA durch Rajee et al. eine Steigerung der spinalen Fusionsoperationen zwischen 1998 und 2008 um das 2,4-fache von 174223 auf 413171 pro Jahr [1]. In einer prospektiven Studie konnten Irmola et al. im Jahr 2018 zeigen, dass lumbale Wirbelsäulenfusionen mit einer sehr hohen Reoperationsrate (12,5% nach 2 Jahren und 19,3% nach 4 Jahren) verbunden sind [2]. Zudem halfen Arbeiten wie die von Försth et al., die 2016 den Vergleich von Dekompressionen mit und ohne Fusionsoperation bei einer lumbalen Spinalkanalstenose und gleichzeitig bestehender degenerativen Listhese publizierten, die operative Strategie zu überdenken [3].

Die Inzidenz der Adjacent Segment Disease (ASD) nach lumbalen Fusionsoperationen wird sehr unterschiedlich angegeben und es fehlt in der Literatur häufig eine klare Definition der ASD, die eine rein radiologische ASD von einer symptomatischen ASD unterscheidet. Im Allgemeinen ist die ASD gekennzeichnet durch radiologische Veränderungen in den an die Fusion angrenzenden Segmenten und entsprechenden Symptomen. Als auslösende Faktoren für die ASD werden die Störung der normalen Biomechanik der an die Fusion angrenzenden Segmente mit einer vermehrten Beweglichkeit, gesteigerten Scherkräften und einem erhöhten intradiskalen Druck angesehen [4].

In der hier vorliegenden Arbeit von Mesregah et al. wurde im Rahmen eines Systematic Review/einer Metaanalyse eine Literaturrecherche mit den Suchwörtern „adjacent segment“ oder „adjacent level“ und „fusion“ durchgeführt und die Qualität der Literatur wurde durch 3 unabhängige Reviewer anhand von definierten Kriterien beurteilt. Anhand der Einschlusskriterien wurden 35 Paper in die qualitative Analyse aufgenommen und 22 Studien waren für die quantitative Analyse geeignet. In allen Studien zusammen wurden 7374 Patienten nach einer lumbalen Wirbelsäulenfusion erfasst. Insgesamt entwickelten 1266 (17,2 %) Patienten eine ASD nach lumbaler Fusion, mit einer Inzidenz in den verschiedenen Studien von 2,6% bis 62,5%. Die gepoolten Ergebnisse zeigten, dass ein hoher Body Mass Index (BMI), lumbale Fusionen ohne Einbeziehung des Sakrums (floating fusions), eine Verletzung der proximal der Fusion vorgeschalteten Facettengelenke und eine Dekompression angrenzend an die Fusion mit einem signifikant erhöhten Risiko für eine ASD verbunden sind.

V.a. der Zusammenhang zwischen der Verletzung der proximal angrenzenden Facettengelenke und der Entwicklung einer ASD ist in Bezug auf die Zunahme an minimalinvasiv eingebrachten Pedikelschrauben interessant, weil diese Verfahren mit einer erhöhten Inzidenz an Verletzungen dieser Facettengelenke verbunden sind [5]. Aus diesem Grund ist auch bei der vermeintlich einfachen Implantation von perkutan eingebrachten Pedikelschrauben auf eine anatomisch korrekte Implantation insbesondere der ganz proximal gelegenen Schrauben zu achten. Des Weiteren sollte v.a. bei bereits bestehender Degeneration des Segmentes LWK 5/SWK 1 bei Fusionen bis LWK 5 die drohende ASD im lumbosakralen Segment in Betracht gezogen werden und eine Fusion bis SWK 1 kritisch geprüft bzw. mit dem Patienten diskutiert werden.

Der wesentliche Kritikpunkt an dieser Metaanalyse und somit an der aktuellen Literatur ist das niedrige Evidenzlevel. Bei den eingeschlossenen Studien handelt es sich bis auf eine Studie ausnahmslos um retrospektive Studien, deren Evidenzlevel somit sehr niedrig sind und die mit einem hohen Risiko für methodische Fehler belegt sind. Zudem macht die Heterogenität der einzelnen Studien mit ihren nicht klar benannten Operationsindikationen, verschiedenen operativen Verfahren und fehlender klarer Definition einer ASD eine Vergleichbarkeit der Daten schwierig. Dies hebt die Bedeutung von Registerdaten wie dem DWG-Register hervor, die eine einheitliche Datenerfassung möglich machen, auch wenn sich die Erfassung von Follow-up-Daten – nicht zuletzt dem deutschen Gesundheitssystem und der Bezahlung für solche Nachuntersuchungen geschuldet – schwierig gestaltet. Um dann die häufig geäußerte Kritik an der Qualität der selbst erfassten Registerdaten auszuräumen, bräuchte es einen Abgleich mit den Krankenkassendaten.



Publication History

Article published online:
14 November 2022

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  • Literatur

  • 1 Rajaee SS, Bae HW, Kanim LE. et al. Spinal fusion in the United States: analysis of trends from 1998 to 2008. Spine (Phila Pa 1976) 2012; 37: 67-76
  • 2 Irmola TM, Hakkinen A, Jarvenpaa S. et al. Reoperation Rates Following Instrumented Lumbar Spine Fusion. Spine (Phila Pa 1976) 2018; 43: 295-301
  • 3 Forsth P, Olafsson G, Carlsson T. et al. A Randomized, Controlled Trial of Fusion Surgery for Lumbar Spinal Stenosis. N Engl J Med 2016; 374: 1413-1423
  • 4 Lee CS, Hwang CJ, Lee SW. et al. Risk factors for adjacent segment disease after lumbar fusion. Eur Spine J 2009; 18: 1637-1643
  • 5 Teles AR, Paci M, Gutman G. et al. Anatomical and technical factors associated with superior facet joint violation in lumbar fusion. J Neurosurg Spine 2018; 28: 173-180