Notfallmedizin up2date 2022; 17(04): 373
DOI: 10.1055/a-1920-2622
Editorial

Innovative Konzepte in der Schlaganfallmedizin

Helge Roland Topka

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Bereitstellung optimaler Strukturen für die Schlaganfallversorgung stellt weiterhin eine der größten Herausforderungen in der neurologischen Notfallversorgung dar. Aufgrund der enormen Fortschritte der therapeutischen Optionen mit der intravenösen Lysetherapie und vor allem der mechanischen Rekanalisation mit Thrombektomie, die mittlerweile unter geeigneten Voraussetzungen bis 24 Stunden nach Symptombeginn eingesetzt werden kann, kann nun für eine wachsende Zahl von Patienten ein wirksames therapeutisches Spektrum für die Schlaganfallbehandlung zur Verfügung gestellt werden. Voraussetzung für die optimale Nutzung der therapeutischen Optionen ist nicht nur die Beherrschung eines diversifizierten Instrumentariums der innerklinischen Diagnostik, beispielsweise der Bildgebung mit kranialer Computertomografie, computertomografisch gestützter Angiografie zerebraler Gefäße, CT-gestützter Perfusionsbildgebung sowie der Evaluation eines Perfusion-Läsion-Mismatches in der Computer- oder MR-Tomografie, sondern insbesondere auch die optimale Organisation der Logistik der Patientenversorgung vor der Aufnahme in der Klinik.

Bereits seit vielen Jahren wird versucht, die Strategien der vorklinischen Patientenversorgung zu optimieren. Eine zentrale und sehr kontrovers diskutierte Frage für den Rettungsdienst ist hierbei die der Auswahl der optimalen Zielklinik. Der Option, mit einer größeren Zahl regionaler Schlaganfalleinheiten die Erstversorgung sicherzustellen, um anschließend gegebenenfalls Patienten zur hochspezialisierten Versorgung wie der mechanischen Rekanalisation in Zentren zu verlegen („Drip and ship“-Modell), steht das Konzept einer primären Versorgung der Patienten in einer kleineren Zahl spezialisierter Zentren mit umfangreichen therapeutischen Optionen („Mothership“-Modell) gegenüber. Immer wieder sind auch verschiedene Versuche unternommen worden, die Zeitspanne vom Beginn der Symptomatik bis zum Beginn der geeigneten Therapie in der außerklinischen Notfallversorgung zu optimieren und hier insbesondere die neurologische Evaluation zum Patienten und nicht zunächst den Patienten zum Schlaganfallexperten in die Klinik zu bringen.

Im Beitrag von Prof. Audebert in dieser Ausgabe wird eine Reihe aktueller Strategien wie die Nutzung teleneurologischer Techniken als Ersatz für den Notfallneurologen vor Ort, eines „Stroke Mobils“ zur unmittelbaren Versorgung vor Ort oder auch eine mit sehr hohem technischen und finanziellem Aufwand betriebene Bereitstellung von Thrombektomien in regionalen Schlaganfalleinheiten durch den luftgebundenen Transport des neuroradiologischen Interventionalisten in die regionale Schlaganfalleinheit vorgestellt. Belastbare Daten zur Bewertung dieser Innovationen in der Schlaganfallmedizin stehen vielfach noch aus. Deutlich wird aber bereits jetzt, dass es vermutlich nicht die eine optimale Strategie für das gesamte Bundesgebiet geben wird. Zu unterschiedlich sind die lokalen Gegebenheiten, die Krankenhauslandschaft und deren Versorgungskapazitäten, die Verkehrsstrukturen, die Rahmenbedingungen der allgemeinen Notfallversorgung und nicht zuletzt auch die Finanzkraft und Innovationsbereitschaft der jeweiligen Bundesländer. Nachdem gleichzeitig die demografische Entwicklung erwarten lässt, dass der Versorgungsbedarf in den nächsten Jahren weiter deutlich steigen wird, ist die weitere Entwicklung innovativer Konzepte in der Schlaganfallversorgung und deren Evaluation zwingend. Wichtig bleibt, innovative Konzepte sehr sorgfältig auf ihre wissenschaftliche Bedeutung und ihren praktischen Nutzen in der jeweiligen Region hin zu prüfen, zumal wir auch in Zukunft mit begrenzten Ressourcen finanziell und vermutlich auch personell zu tun haben werden.



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Article published online:
06 December 2022

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