Aktuelle Ernährungsmedizin 2022; 47(06): 435-436
DOI: 10.1055/a-1923-5684
Kommentierte Wissenschaft

Kommentar zu "Beeinflusst der Ernährungszustand das klinische Ergebnis bei Covid-19-Patienten?"


Shabanpur und Mitarbeiter führten eine prospektive Beobachtungsstudie an 400 Patienten durch, die wegen COVID-19 hatten hospitalisiert werden müssen. Bei Krankenhaus-Aufnahme wurden demographische Variablen und klinische Symptome dokumentiert. Im weiteren Verlauf (nach median 1 Tag, IQR 0–3 Tage) mussten 68 Patienten (17%) intensivmedizinisch behandelt werden. Die Krankenhaus-Letalität betrug 5% (21 Patienten), wobei 16 Patienten auf der Intensivstation verstarben, und 5 auf der Normalstation. Der Ernährungszustand (NRS-2002) wurde bei Aufnahme erhoben und im Falle einer sukzessiven Aufnahme auf eine Intensivstation im Verlauf geändert. Bei einem NRS Scorewert<3 wurde ein ernährungsmedizinisches Risiko (3,25% der Patienten), bei Werten zwischen 3 und 4 eine mäßige Mangelernährung (60,5%), und bei Werten>4 eine schwere Mangelernährung (36,25%) angenommen. Bezogen auf die beiden Domänen des NRS 2002 (Krankheitsschwere und Störung des Ernährungszustands) wiesen verstorbene Patienten signifikant höhere Scorewerte auf als überlebende Patienten. Aus dieser Beobachtung folgerten die Autoren, dass der Ernährungszustand einen beträchtlichen Effekt auf den klinischen Verlauf von COVID-19 Patienten hätte. Als Nebenbefund ergab eine multivariate Regressionsanalyse, dass die Variablen Alter, Appetitmangel, Kopfschmerzen, Brustschmerzen und hohe Serum LDH-Konzentration mit signifikant höheren Scorewerten assoziiert waren.

Die Studie stellt ein eindrucksvolles Beispiel dar, wie durch fehlerhaftes Design und Auswertung nicht interpretierbare Ergebnisse erzeugt werden können, welche wegen inadäquater Begutachtung dennoch Eingang in den Kanon der ernährungsmedizinischen Forschung finden können [1]. Folgende Kritikpunkte sind festzustellen:

  1. Die Krankenhaus-Letalität ist speziell bei kritisch kranken Patienten kein geeigneter Outcome-Parameter, da durch den Transfer-Bias (Versterben eines relevanten Teils der Patienten früh nach Entlassung) eine Verzerrung der Letalität auftritt. Um diesen Bias zu umgehen, müssen entweder fixierte Nachbeobachtungszeiten (z. B. 30-Tages-Letalität), Sensitivitätsanalysen oder Competing Risk Analysen (lebend entlassen vs. im Krankenhaus verstorben) zur Anwendung kommen.

  2. Eine zuverlässige Identifikation von Prädiktoren (inkl. Mangelernährung) der Letalität kann nur durch multivariate Analysen erfolgen, die

    • die Ergebnisse an zusätzliche Konfounder bei Krankenhausaufnahme (bei COVID-19: Alter, Geschlecht, Ausmaß und Art der Komorbidität, Impfstatus, BMI, ethnische Herkunft) adjustieren, und denen

    • ein ausreichend großer Studienumfang zugrunde liegt (die Zahl der zu analysierenden Todesfälle bestimmt die Zahl der analysierbaren Konfounder).

  3. Die Beachtung der Zeitachse ist obligat. So stellt die sekundäre Aufnahme auf eine Intensivstation im Verlauf (Bezug ist die vorangegangene Hospitalisierung) ein Outcome (abhängige Variable) dar, und nicht eine unabhängige baseline Variable (wie z. B. Geschlecht). In der vorliegenden Analyse wurde jedoch die NRS Scorewert der Patienten, die im Verlauf auf eine Intensivstation aufgenommen wurden, so verwendet, als ob sie Teil einer unabhängigen Variable (NRS Score-Wert bei Krankenhausaufnahme) wären. Bezugsgröße für das Outcome im gesamten Kollektiv kann im vorliegenden Setting nur der NRS Scorewert bei Aufnahme in das Krankenhaus sein (ohne Berücksichtigung späterer Ereignisse, wie Aufnahme auf eine Intensivstation).



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
14. Dezember 2022

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  • Literatur

  • 1 Hartl WH. Common errors and pitfalls in observational studies examining the association of medical nutrition therapy with outcomes in critically ill patients. Am J Clin Nutr. 2022; DOI: 10.1093/ajcn/nqac142.