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DOI: 10.1055/a-1932-8478
Vereinbarkeit von Beruf und Familie
2021 waren 67 % der Studierenden der Humanmedizin weiblich. 2020 haben 25 % der Väter Elternzeit genommen1. Immer mehr Väter wollen aktiv an der Erziehung ihrer Kinder beteiligt sein, gleichzeitig wird die Medizin immer weiblicher. Das sind zwei Entwicklungen, die zeigen, wie wichtig das Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Familie schon ist und noch werden wird. Schon jetzt ist die Regelversorgung in den Krankenhäusern und Praxen durch Fachkräftemangel gefährdet. Die dadurch entstehende Mehrarbeit, wie ungeplante Dienste und Überstunden, ist für alle Kollegen und Kolleginnen schwer zu stemmen. Die Kinderbetreuung aber wird dadurch um ein Vielfaches komplizierter. Auch KollegInnen, die sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern, stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Oft scheint Teilzeit oder eine verlängerte Elternzeit die einzige Lösung zu sein. Auch deshalb ist heute bereits mehr als jeder vierte Vertragsarzt oder Psychotherapeut in Teilzeit tätig2. Viele ÄrztInnen lösen also auf diese Weise ihr individuelles Betreuungsproblem – wenn auch teilweise schweren Herzens und mit damit verbundenen nachteiligen Karriereperspektiven. Dass diese Lösung aber schwerwiegende Folgen für die gesamte Ärzteschaft hat, liegt auf der Hand: Der Personalmangel verschärft sich hierdurch umso mehr. Jeder, der sich für den Arztberuf entscheidet weiß, dass die Versorgung von teilweise schwerkranken Patienten nicht nach der Stechuhr möglich ist und es immer wieder zu ungeplanter Mehrarbeit im Arbeitsalltag kommen kann. Wochenend- und Nachtdienste gehören zu unserem Beruf, wie auch gelegentliche Überstunden durch Notfälle oder unvorhergesehene Entwicklungen. Heißt das aber nun, dass sich Beruf und Familie nicht vereinbaren lassen? Oder dass eine der beiden Seiten immer vernachlässigt wird? Als Vertreter der YoungDGP sprechen wir darüber heute mit PD Dr. Barbara Puhahn-Schmeiser. Sie ist Vizepräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes e. V. (DÄB) und sie kennt dieses Thema gut – beruflich, privat und in ihrem gesellschaftspolitischen Engagement.
Frau PD Dr. Puhahn-Schmeiser, wie betrifft Sie unser heutiges Thema privat?
Ich bin Fachärztin für Neurochirurgie an der Universitätsklinik Freiburg. Privat habe ich vier kleine Kinder. Ich bin seit 2011 berufspolitisch aktiv, u. a. auch im Ärztinnenbund. Ein großes Thema ist die Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit – ich beziehe mich bewusst nicht nur auf Beruf und Familie – durch die Schaffung adäquater Rahmenbedingungen. Weitere Thema sind u. a. die unterdurchschnittliche Repräsentanz von Ärztinnen in Führungspositionen und die Mutterschutzgesetzgebung, aber auch gendersensible Medizin. Wir vom Ärztinnenbund versuchen diese Themen publik zu machen und an die Entscheidungsträger heran zu tragen.
Gab es in Ihrer eigenen Karriere auch Situationen, in denen Sie sich mehr Unterstützung gewünscht hätten, sei es vom Arbeitgeber oder auch berufspolitisch?
Die Problematik der Chancenungleichheit war mir lange Zeit gar nicht so bewusst. Dass die Situation für Ärztinnen und Ärzte aber doch unterschiedlich ist, ist mir eigentlich erst in der Familiengründungsphase aufgefallen. Da war die „gläserne Decke“ dann plötzlich deutlich wahrnehmbar. Egal wie man die Familienplanung angeht, ob vor oder nach dem Facharzt, es ist immer schwierig. Ich hatte einen sehr engagierten Chef, der mich immer unterstützt hat, aber es war nicht einfach.
Was war die Motivation für Ihr gesellschaftspolitisches Engagement?
Der endgültige Trigger war, dass ich während einer Famulatur eine sehr bemerkenswerte Handchirurgin kennengelernt habe. Sie war im Ärztinnenbund sehr aktiv und hat mich mit ihrer Begeisterung für das ehrenamtliche Engagement mitgerissen. Sie hat mir klargemacht, dass Gleichstellung ein wichtiges Thema ist und dass Engagement notwendig ist. Ich fand auch die Möglichkeit zur Vernetzung zwischen erfahrenen Ärztinnen und jungen Ärztinnen/Studentinnen sehr spannend. Der Auslöser war also primär nicht eine negative Erfahrung, sondern ein beeindruckendes weibliches Vorbild.
Umso besser! Wie schätzen Sie aktuell die Situation für junge Familien ein?
Wir haben erst vor kurzem ein Gespräch mit den Spitzenfrauen der einzelnen Berufsverbände geführt und mussten leider feststellen, dass immer noch die gleichen Themen aktuell sind wie vor 10 bis 20 Jahren. Es ging genau wie früher um fehlende weibliche Führungskräfte und fehlende Rahmenbedingungen, damit Ärztinnen ihr Berufsleben unbenachteiligt gestalten können. Es ging auch um die schwierige Situation im Bereich der Schwangerschaft. Gerade für chirurgisch tätige Ärztinnen, aber auch für solche in anderen Fachbereichen, ist das Mutterschutzgesetz ein echtes Hindernis für die Karriere. Es führt häufig zu pauschalen Beschäftigungsverboten. Von den zuständigen Behörden kommt sehr häufig ein negativer Bescheid zurück mit der Begründung, dass die Ärztin nach 9 Monaten ja alles wieder aufholen könne. Der notwendige Spagat bleibt jedoch nach der Geburt des Kindes bestehen. Das Argument ist also nicht passend. Die Facharztweiterbildung bzw. auch die Weiterqualifizierung von Fach- und Oberärztinnen ist durch ungewollte Einschränkung der Berufstätigkeit gehemmt. Das Mutterschutzgesetz wurde 2018 übrigens auch auf Studentinnen ausgeweitet, was ja eigentlich als positiv zu werten ist. Wir haben nun aber bereits schwangere Studentinnen, die uns verzweifelt anrufen, weil sie bspw. die Anatomie- oder Pathologieprüfung nicht absolvieren dürfen. Dadurch verlieren sie effektiv Zeit. Hinzu kommt, dass das Gros der Abteilungen immer noch nicht die entsprechenden Rahmenbedingungen liefert, damit Frauen, aber auch Männer, nach der Elternpause wieder ihrer Karriere nachgehen können.
Warum tun sich die Klinken so schwer, das umzusetzen?
Ich bin mir gar nicht so sicher, ob die Kliniken die Notwendigkeit dazu schon realisiert haben. Es gibt zwar bereits den Fachkräftemangel, jedoch ist der in den Unikliniken noch am wenigsten spürbar. Deshalb sind periphere Kliniken und Arztpraxen meist deutlich flexibler und mehr daran interessiert, qualifizierte Ärztinnen und Ärzte, und im Fall des Mutterschutzes speziell die Ärztinnen, zu halten. Solange die Unikliniken jedoch noch ausreichend Bewerberinnen und Bewerber haben, wird sich meiner Ansicht nach darum zu wenig gekümmert. Das wird aber langfristig nicht zum Erfolg führen, da das Problem des Fachkräftemangels in Zukunft drastisch zunehmen wird. Gute Rahmenbedingungen für Mitarbeitende sind natürlich ein planerischer Aufwand, meiner Ansicht nach aber unbedingt notwendig und auch in der Chirurgie umsetzbar.
Haben Sie das Gefühl, dass sich das Problem durch die Pandemie verschärft hat?
Ja, besonders im Hinblick auf die Weiterbeschäftigung in der Schwangerschaft. Ich durfte damals auch nicht mehr operieren – was ja am Anfang der Pandemie auch aufgrund der neuen und unbekannten Situation gerechtfertigt war. Unter dem Gesichtspunkt der Pandemie mit deutlich rückläufigen Infektionszahlen und obligatorischen Impfungen von Beschäftigten im Gesundheitssystem sollte diese restriktive Haltung dringend überdacht werden. Ich habe aber erfreulicherweise den Eindruck, dass diese Notwendigkeit auch mehr und mehr erkannt wird.
Die Gesetzgebung ist aber auch jetzt noch in vielen Bundesländern sehr restriktiv. Zum Beispiel dürfen Schwangere teilweise gar keinen Kontakt mehr zu PatientInnen haben.
Ja, das ist leider immer noch die Realität. Jedoch sollte diese durch die Pandemie bedingte Verschärfung der Situation, wie bereits betont, dringend überdacht werden. Prinzipiell wird als Ergänzung des Mutterschutzgesetzes im Bundesausschuss Mutterschutz, in dem ich selbst auch mitarbeite, eine „technische Regelung“ erarbeitet, welche als praxisorientierte Grundlage zur Beschäftigung von Schwangeren, u. a. auch von ärztlichen Kolleginnen, dienen soll.
Der Deutsche Ärztinnenbund unterstützt natürlich primär Kolleginnen, gibt es auch Projekte, die geschlechterübergreifend sind?
Wir haben vor einem Jahr den Ausschuss „familienfreundliche Arbeitsbedingungen“ gegründet. Es geht hierbei um die Erarbeitung von entsprechenden Rahmenbedingungen – von möglichen Arbeitsmodellen hin zu Arbeitszeitmodellen etc. Dabei geht es nicht nur um die Interessen von Ärztinnen, sondern von Ärztinnen und Ärzten allgemein – also auch um die männlichen Kollegen, die sich zunehmend auch bspw. in der Elternzeit einbringen und generell auch mehr Flexibilität möchten. Wir müssen dringend, auch in den Krankenhäusern, versuchen, gut ausgebildetes Personal einzubinden und langfristig in der Patientenversorgung zu halten. In diesem Kontext sehe ich auch in der Wiedereingliederung von KollegInnen nach der Elternzeit ein riesiges Potenzial – auch wenn das bedeutet, dass die Kliniken ihren Mitarbeitern eine gewisse Flexibilität ermöglichen müssen.
Was für Rahmenbedingungen werden hierfür gebraucht?
Verlässliche Arbeitszeiten sowie ein stemmbares und verlässliches Dienstmodell, welches auch rechtzeitig bekanntgegeben wird. Kinderbetreuung, angepasst an die Dienstzeiten. Flexible Arbeitsmodelle. Ein positives Beispiel ist Prof. Mandy Mangler, Chefärztin der Gynäkologie am Auguste-Viktoria-Klinikum in Berlin. Ihr Augenmerk liegt darauf, die Arbeitszeiten flexibel zu gestalten, was mit einem großen Zulauf an Anfragen von MitarbeiterInnen belohnt wird. Die Kliniken müssten versuchen, mehr auf die aktuelle Lebenssituation der Ärztinnen und Ärzte einzugehen. Weiter müsste man Ärztinnen früh fördern, damit diese im Wettbewerb um Führungspositionen bestehen können. Die Aussage, man würde ja nach Frauen für diese Positionen suchen, finde aber keine passenden, ist nicht hinnehmbar. Bei einer Rate von über 60 % weiblicher Studienanfängerinnen sind in der Medizin genügend vorhanden. Es fehlen aber leider u. a. auch Rahmenbedingungen, um Frauen trotz Familie die gleichen Chancen zu bieten wie Männern. Diese Rahmenbedingungen wären übrigens auch eine gute Möglichkeit für Kliniken, sich für Bewerberinnen und Bewerber attraktiv zu machen.
Gibt es vielleicht Unterstützungsangebote für junge Ärztinnen, die Sie empfehlen können?
Mentoring finde ich sehr wichtig. Es existiert mittlerweile fast an jeder Uniklinik ein Programm dafür. Auch im Deutschen Ärztinnenbund gibt es ein Mentorinnen-Netzwerk, professionsübergreifend. Das ist sehr wichtig, um Kontakte zu knüpfen. Die Ärztinnen bekommen hier jede Menge Tipps, können sich aber auch einfach austauschen. Außerdem gibt es inzwischen erfreulicherweise in fast jeder Fachgesellschaft auch Frauengruppen, bei denen man sich engagieren kann.Wenn man uns als Ärztinnenbund unterstützen möchte, freuen wir uns über aktive und passive Mitglieder. Es gibt auch Fördermitgliedschaften, mit denen uns Verbände unterstützen können. Für Studentinnen ist die Mitgliedschaft übrigens kostenlos.
Haben Sie denn das Gefühl, dass diese Themen auch für männliche Kollegen immer wichtiger werden?
Das glaube ich – es gibt ja auch immer mehr Männer, die Elternzeit nehmen. Die jüngere Generation fordert zudem generell eine bessere Work-Life-Balance aktiv ein. Damit werden Veränderungen angestoßen, ganz unabhängig vom Geschlecht. Deshalb ist auch die Schaffung von entsprechenden Rahmenbedingungen für alle wichtig.
Gibt es Veranstaltungen oder Kongresse des Deutschen Ärztinnenbundes, die wir uns vormerken sollten?
Ja, bspw. stehen einem als Mitglied des Ärztinnenbundes regelmäßig Workshops des Jungen Forums und des MentorinnenNetzwerks offen, zu den verschiedensten Themen wie Soft Skills, Rhetorik, Führungs-Skills, aber auch Themen wie Alterssicherung durch berufsständische Versorgung etc. Außerdem veranstaltet das Junge Forum regelmäßig virtuelle „Meet and Greets“, um neue bzw. junge Mitglieder zu vernetzen. Eine lokale Vernetzung ist vor Ort in den Regionalgruppen möglich. Und schließlich gibt es bundesweite Kongresse mit wissenschaftlichen, aber auch aktuellen berufspolitischen Themen. Im Rahmen dieser Kongresse wird auch immer unser Wissenschaftsspreis verliehen, für den man sich gerne bewerben kann. Weitere Informationen finden Sie unter aerztinnenbund.de.
Die Fragen stellte Dr. med. Julia Hoffmann, Jena.
Publication History
Article published online:
14 March 2023
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