MSK – Muskuloskelettale Physiotherapie 2022; 26(05): 216
DOI: 10.1055/a-1933-0905
Forum

Leserbrief zu: Mohokum M, Dieterich AV. Betriebliche Gesundheitsförderung – ein wichtiges Arbeitsfeld, das physiotherapeutische Kompetenz erfordert. MSK – Muskuloskelettale Physiotherapie 2022; 26: 157–163

Jochen Schomacher

Vielen Dank an die beiden Autor*innen Mohokum und Dieterich für ihren Artikel über die Betriebliche Gesundheitsförderung (BG). Sie zeigen schön, wann sie diese wo und wie empfehlen. Doch ist das effektiv? Und braucht es dafür Physiotherapeutinnen bzw. Physiotherapeuten?

Die korrekte Anwendung der erwähnten Vorschriften, wie die maximal zu hebende Last, die optimale Höhe des Arbeitsplatzes und den Abstand zwischen Augen und Bildschirm, kann jede*r prüfen. Und jede*r kann allgemeine Ratschläge hinsichtlich gesunder Ernährung oder ausreichend Bewegung geben. Dazu braucht es kein fachspezifisches Wissen und Können, oder? Was also erfordert unsere physiotherapeutischen Kompetenzen in der BG?

Als Spezialist*innen für Haltung und Bewegung sollten wir diese beiden Aspekte optimieren können. Doch wir haben keinen Konsens zur idealen Haltung [1]. Und in Bezug auf das Heben von Lasten mit geradem Rücken werfen aktuelle Studien Zweifel auf [2], [3]. Auch hinsichtlich der Rückenschule zeigt die Literatur eine unsichere Effektivität [4].

Was also sollen wir in der BG empfehlen? Und wie effektiv wären unsere Ratschläge?

Die meisten der weitverbreiteten Präventionsmaßnahmen für beispielsweise Rückenschmerzen haben keine feste Evidenzbasis, was besonders für Interventionen gilt, die auf Ergonomie basieren [5]. Ebenso hat die Häufigkeit der Rückenbeschwerden in Deutschland leider nicht abgenommen [6], obwohl die ergonomischen Verhältnisse in den letzten 50 Jahren besser geworden sind. Was also könnte die BG verhindern oder verbessern?

Prävention ist dann machbar, wenn krankheitsauslösende Faktoren bekannt sind. So erhöht beispielsweise das Rauchen das Risiko für Lungenkrebs. Folglich ist es möglich, das Risiko für Lungenkrebs zu verringern, indem man präventiv auf das Rauchen verzichtet. Doch bei vielen muskuloskelettalen Beschwerden, wie auch bei Rückenschmerzen, ist die Ursache unbekannt. Und wenn bei Menschen mit Rückenschmerzen eine Diskusdegeneration, Bogengelenkarthrose oder Ähnliches als schmerzauslösend vermutet wird, wissen wir kaum, was diese Veränderungen hervorgerufen hat. Was also sollten wir präventiv vermeiden (lateinisch: praevenire = zuvorkommen, verhindern)?

Es wäre schön, wenn die Autor*innen in einem ergänzenden Beitrag diese Fragen zur BG beantworten und konkrete sowie evidenzbasierte Präventionsmaßnahmen der Physiotherapie präsentieren würden.

Mit kollegialen Grüßen
Jochen Schomacher, PHD



Publication History

Article published online:
07 December 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany