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DOI: 10.1055/a-1935-9139
Autoimmunenzephalitiden
Autoimmune EncephalitisAutoimmunenzephalitiden und paraneoplastische neurologische Erkrankungen stellen ein wachsendes Spektrum neuropsychiatrischer Krankheitsbilder dar. Autoimmun vermittelte Enzephalitiden wurden erst relativ spät, im Jahre 1960, von Brierley und Kollegen erstbeschrieben. Ihre Inzidenz ist seither steigend [1], was insbesondere auf die wachsende Zahl an identifizierten Autoantikörpern bzw. die bessere Kenntnis und Wahrnehmung des Krankheitsbildes zurückzuführen ist. Während die Inzidenz 1999–2005 noch mit 0,4/1000 angegeben wurde [1], liegt sie mittlerweile bei ca. 1,2/100 000 [1].
Die Symptome hängen mit dem zugrundeliegenden Antikörper zusammen. Typisch sind Gedächtnisdefizite, psychiatrische Symptome und epileptische Anfälle sowie ein subakuter Beginn. Bei der durch Autoantikörper-vermittelten Enzephalitis kommt es zur Bildung von Autoantikörper gegen Oberflächenrezeptoren, Ionenkanäle oder synaptische Proteine. Diese Antikörper binden an zellmembranständigen oder synaptischen Antigenen des zentralen Nervensystems, wie Liganden-gesteuerten Ionenkanälen (AMPA-, GABA-, NMDA-, Glycin-Rezeptoren), Zelladhäsionsmolekülen (IgLON5) oder an Proteinen, die in den synaptischen Spalt ausgeschüttet werden (LGI1) oder mit Ionenkanälen assoziiert sind (Caspr2, DPPX)[2]. Diese Proteine haben eine wichtige Funktion in der synaptischen Transmission und Plastizität, was das Auftreten von epileptischen Anfällen oder Gedächtnisstörungen erklärt. Zudem erklärt die anatomische Lokalisation bzw. Anreicherung der Antigene, z. B. im Hippocampus, viele spezifische Symptome wie kognitive Defizite [2] [3]. Die Antigene klassischer paraneoplastischer onkoneuronaler Antikörper sind hingegen im Zellinneren lokalisiert. Sie wirken daher nicht direkt pathogen, sondern reflektieren die zugrundeliegende Autoimmunreaktion, im Rahmen derer v. a. zytotoxische T-Zellen für die neuronale Schädigung verantwortlich sind [2] [3].
Die raschen Entwicklungen und den aktuellen Standard auf dem Gebiet der Diagnostik und Therapie der autoimmunvermittelten Enzephalitiden fassen die Autoren Rösling und Prüß in einer Übersichtsarbeit zusammen [4]. Sie betonen die Relevanz der Unterscheidung zwischen Antikörper-vermittelten Autoimmunenzephalitiden mit Antikörpern gegen neuronale Oberflächen-Antigene und Antikörper-assoziierten Autoimmunenzephalitiden mit Antikörpern gegen intrazelluläre Antigene für die weitere Diagnostik, Therapie und Prognose. Während die Antikörper-vermittelten Autoimmunenzephalitiden nur in einem Teil der Fälle durch einen zugrundeliegenden Tumor getriggert werden und meist gut auf immunsuppressive Therapie ansprechen, liegt den Antikörper-assoziierten Autoimmunenzephalitiden fast regelhaft ein assoziierter Tumor zugrunde, der zu einer T-Zell vermittelten Autoimmunenzephalitis führt. Da die onkoneuronalen Antiköper dabei nicht direkt pathogen sondern vielmehr als Biomarker zu verstehen sind, sind Immuntherapien mit IVIG, therapeutischer Apharese oder B-Zell-Depletion nur begrenzt wirksam. Neu ist hierbei die Graduierung in ein geringes, mittleres und hohes Risiko einer assoziierten Tumorerkrankung [3], die die frühere Einteilung in „klassische“ und „nicht-klassische“ paraneoplastische neurologische Syndrome ablöst.
Klinische Herausforderungen bestehen v. a. darin, dass sich die Patienten initial oft mit führend psychiatrischen oder dementiellen Symptomen präsentieren, was häufig zu einer verzögerten Zuweisung in die Neurologie führt. Zudem weisen die Autoren darauf hin, dass die antineuronalen Antikörper in vielen Fällen ausschließlich im Liquor nachgewiesen werden können und bei einer stufenweisen Diagnostik der Detektion entgingen, wenn Liquoranalysen nur bei positivem Serumbefund durchgeführt würden.
Rösling und Prüß betonen zu Recht die Bedeutung einer frühzeitigen und konsequenten Therapie, um das bestmögliche Langzeitergebnis erzielen zu können [4]. Elementare diagnostische Säule ist hierbei die klinische Einschätzung, da EEG- und MRT-Veränderungen fehlen und die Befunde der Antikörper-Bestimmung erst im Verlauf eintreffen können. Die Therapie sollte bereits bei begründetem klinischem Verdacht eingeleitet und im Falle einer Diagnosesicherung i.d.R. auch mit zeitnahem Beginn im Sinne einer längerfristigen Immunsuppression zur Effektkonsolidierung kombiniert werden. Systematische Studien zu verschiedenen Therapieregimes sind bislang aufgrund der limitierten Patientenzahlen rar. Klinische und therapeutische Erkenntnisse sind zukünftig v. a. durch multizentrische Initiativen wie die des GENERATE Netzwerks (German Network for Research on AuToimmune Encephalitis) zu erwarten.
Publication History
Article published online:
07 November 2022
© 2022. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart,
Germany
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Literatur
- 1 Dubey D, Pittock SJ, Kelly CR. et al. Autoimmune encephalitis epidemiology and a comparison to infectious encephalitis. Ann Neurol 2018; 83: 166-177
- 2 Graus F, Titulaer MJ, Balu R, Benseler S, Bien CG, Cellucci T. et al. A clinical approach to diagnosis of autoimmune encephalitis. Lancet Neurol 2016; 15: 391-404
- 3 Graus F, Vogrig A, Muñiz-Castrillo S. et al. Updated Diagnostic Criteria for Paraneoplastic Neurologic Syndromes 2021;
- 4 Rößling R, Prüß H. Autoimmun vermittelte Enzephalitis. Fortschr Neurol Psychiatr 2022; 90: 529-542