Psychiatr Prax 2023; 50(02): 63-64
DOI: 10.1055/a-1944-8909
Debatte: Pro & Kontra

Psychologinnen und Psychologen im Bereitschaftsdienst – Pro & Kontra

Karel Frasch

Pro

Die psychiatrisch-psychotherapeutischen Kliniken und Abteilungen in Deutschland haben ein Problem: Ärztemangel. Und es besteht keinerlei konkrete Aussicht, dass wir dieses schon heute in z.T. dramatischem Ausmaß vorhandene Problem unter hinreichende Kontrolle bekommen. Versuche, die Vakanzen mit Kolleginnen und Kollegen ausländischer Provenienz und Honorarärzt:innen (Probleme hier: Mangelnde Einbindung in personelles Kliniknetzwerk, Aspekt der therapeutischen Beziehungskontinuität wird nicht hinreichend bedient) zu lösen, haben an verschiedenen Orten unterschiedliche Linderung der Not zur Folge, dennoch bedarf das Problem der so kaum hinreichend zu gewährleistenden Patientenversorgung insbesondere in der Fläche unbedingt zumindest mittelfristig einer neuen Herangehensweise. Diplom- und Masterpsychologinnen und -psychologen in Ausbildung, sog. Tarifpsychologen und approbierte Psycholog:innen spielen schon heute in vielen unserer Kliniken/Abteilungen eine wesentliche Rolle und mit dem neuen „Direktstudium“ Psychotherapie werden wir künftig mit einer neuen mit der Behandlung psychisch kranker Menschen befassten Berufsgruppe zu tun haben.

Im Bezirkskrankenhaus Donauwörth (40 voll- und 16 teilstationäre Behandlungsplätze, ein Mobiles Krisenteam zur ambulanten Intensivbehandlung zuhause mit bis zu 10 zeitgleichen Patient:innen sowie einer PIA) haben wir aufgrund eklatanten Ärztemangels im Mai 2019 damit begonnen, Psycholog:innen im Bereitschaftsdienst einzusetzen, die mittlerweile (Stand September 2022) etwa 550 Dienste absolviert haben, ohne dass es zu wesentlichen Verwerfungen kam. Ich selbst habe in dieser Zeit Hintergrunddienste in einer ähnlichen Größenordnung geleistet und damit ein einigermaßen adäquates Bild von der Situation: Ich kann sagen, diese Leute machen das wirklich gut! Wenn wir es selbst/das System, in dem wir uns bewegen, schon nicht schaffen, in absehbarer Zeit für hinreichend Nachwuchs zu sorgen, so werden wir mit im Übrigen gut ausgebildeten, exzellent deutsch sprechenden/verstehenden und hoch motivierten Psycholog:innen die künftige an den Leitlinien orientierte Patient:innenversorgung sicherstellen und damit eben auch ein bisschen Macht abgeben müssen. Sogenannte biologische Therapieverfahren stoßen wie wir alle wissen bei nicht wenigen der uns anvertrauten Patient:innen an ihre Grenzen; ich habe auch insofern den klaren Eindruck, die Psycholog:innen, deren Schwerpunkt naturgemäß in der Interaktion mit den kranken Menschen besteht, haben dem therapeutischen Klima in unserem Krankenhaus gut getan und unser Therapiespektrum auf erfreuliche Weise bereichert (Aufwertung der Psychotherapie im engeren Sinne).

Natürlich bedarf es der sorgfältigen Prüfung/Schaffung bestimmter Voraussetzungen, damit das Unterfangen Psycholog:innen im Bereitschaftsdienst gelingen kann: Geeignetheit und entsprechende Motivation der Psycholog:innen, wobei aus Sicht des Referenten auch nichtapprobierte Psychologinnen und Psychologen hinreichend qualifiziert erscheinen können. Ebenso ist zu vermuten, dass auch Absolventen des sog. Direktstudiums Psychotherapie in ähnlicher Weise einsetzbar sein sollten. Weitere wichtige institutionelle Voraussetzungen sind eine gut kooperierende Internistische Klinik vor Ort, die enge Anbindung an den fach-/oberärztlichen Hintergrunddienst sowie ferner natürlich auch die Zustimmung der Geschäftsführung und der Arbeitnehmervertretung. Eine kleine Arbeitsgruppe aus Chefärzten von Kliniken beider Versorgerverbände beschäftigt sich derzeit mit dieser Thematik und erarbeitet ein entsprechendes Positionspapier, das Kliniken und Abteilungen ermöglichen soll (sie keinesfalls zwingt!), ein Psychologenmodell zu implementieren. Gemäß den Vorgaben („Facharztstandard“) sind medizinische Belange/Erfordernisse jedweder Art (insbesondere die Verordnung von Medikamenten) mit einem Mediziner (im Zweifel zuerst dem Hintergrundfacharzt) zu besprechen.

Ein weiterer Vorteil ist, dass die Anzahl der Bereitschaftsdienste der in der Klinik tätigen Ärzte durch das Psycholog:innenmodell reduziert wird im Sinne verbesserter Work-Life-Balance; ein insbesondere heutzutage nicht zu unterschätzender Attraktor, wie mir gleich mehrere Assistenzärzte mitgeteilt haben.

Seitens der Psycholog:innen werden als „pro“-Argumente, die noch nicht zu Sprache kamen, Zuwachs an Wissen und Erfahrung aus den resultierenden Situationen (u. a. Umgang mit Notfallsituationen) sowie die bessere Integration ins therapeutische Team („in einem Boot“ mit Ärzt:innen, Abendessen mit Pflegekräften, Austausch mit Kolleg:innen in den somatischen Disziplinen) genannt.

Ökonomischerseits, was ich bewusst nur am Rande erwähnt wissen möchte, sind Psycholog:innen gegenüber Ärzten eine (noch?) weitaus kostengünstigere Personengruppe mit allen Implikationen in unserem (leider) sehr ökonomiegetriebenen Gesundheitssystem. Ein unbestreitbarer Vorteil auf operativer Ebene, der daraus resultiert, ist, dass die „tarifkonforme“ Bezahlung der Bereitschaftsdienste von den allermeisten Psycholog:innen, mit denen ich zu tun hatte (immerhin n=17), als sehr attraktiv wertgeschätzt wurde.

Ich freue mich auch darüber, dass innerhalb unseres Kommunalunternehmens, den Bezirkskliniken Schwaben mit u. a. sechs Psychiatrisch-psychotherapeutischen Kliniken, mit dem BKH Memmingen nunmehr der zweite (ebenfalls „kleine“) Standort ein ähnliches Dienstmodell begonnen hat.

Lassen Sie uns jetzt damit beginnen, unsere Abteilungen und Kliniken für diese zumindest im Falle des von mir verantworteten Standortes nachgewiesenermaßen qualitätsförderliche, praktikable und nicht risikobehaftetere Alternative zu öffnen.



Publication History

Article published online:
14 March 2023

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