Sprache · Stimme · Gehör 2023; 47(02): 75
DOI: 10.1055/a-1945-7013
Editorial

Spracherwerb und digitale Medien

Language Acquisition and Digital Media
Isabel Neitzel
,
Nadine Elstrodt-Wefing
,
Ute Ritterfeld

Inzwischen sind elf Jahre seit der letzten SSG-Schwerpunktausgabe zu Kindersprache und Medien vergangen – wo stehen wir heute? Während sich die medialen Dauerbrenner – von Instagram bis Twitter, von Anton-App bis Tonie-Box – stetig weiterentwickeln, erscheint das damalige Editorial zum Thema „Mediennutzung und Sprachentwicklung“ [1] zeitlos aktuell. Auch heute wird im Rahmen eines media bashings allerorten eine Verrohung von Kindern und Jugendlichen durch die Mediennutzung beschworen: zu viel, zu oberflächlich, zu wenig konzentrationsfördernd. Doch während damals noch das TV im Mittelpunkt der Kritik stand, sind es heute die neuen (sozialen, interaktiven) Medien. Nicht nur durch die Pandemie ist die Verfügbarkeit von digitalen Medien im Freizeit- und Bildungsbereich auch vorschulisch für Kinder selbstverständlich geworden. Damals wie heute gilt, dass ein Medienformat nicht per se gut oder schlecht ist, sondern die Inhalte und die tatsächliche Nutzung kritisch reflektiert werden müssen. Konkret stellt sich die Frage, welche Angebote das Potential haben, Sprachförderung zu unterstützen.

Bei der ersten Sitzung des Herausgeberinnenteams dieser Schwerpunktausgabe im Jahr 2021 erwarteten wir, viele laufende, innovative Projekte aus dem Bereich der Sprachentwicklungsforschung und Digitalisierung identifizieren zu können. Eine Literaturrecherche der Forschungsaktivitäten im deutschsprachigen Raum für die letzten zehn Jahre im Hinblick auf diesen Themenkomplex überraschte uns jedoch, weil nur wenige Arbeiten hierzu publiziert wurden. Digitalisierung in der Sprachtherapie scheint zwar gefordert zu werden, aber konkrete Entwicklungen gibt es kaum. Schnell war daher die Entscheidung gefallen, sich nicht mit dem unbefriedigenden Status quo aufzuhalten, sondern in dieser Ausgabe Raum für zukunftsweisende Projekte zu geben. Während für eine Information zu den Grundlagen von Mediennutzung und Spracherwerb auf die Ausgabe 01/2012 sowie auf den Herausgeberband von Bilda, Mühlhaus und Ritterfeld [2] verwiesen sei, nimmt die aktuelle Ausgabe Sie mit auf den Weg durch Potentiale und vielversprechende Erstbefunde rund um den Einsatz digitaler Medien im Kontext der Sprachdiagnostik und -förderung. Nach einer Bestandsaufnahme der Herausgeberinnen im ersten Beitrag werden im zweiten Beitrag die Implementation von Virtual Reality (Bamberger et al.) und im dritten das Potential automatisierter Sprach- und Sprechanalysen (Neitzel et al.) als neue Technologien im Feld adressiert. Den Abschluss bildet ein kombinierter Ansatz zur Sprachfördernutzung aus Hörspielrezeption und Dialogischem Lesen (Böse et al.). Im Interview gehen wir mit den Expertinnen Anja Starke und Juliane Leinweber der Frage auf den Grund, wie das große Potential bestehender Ansätze in die Breite getragen werden könnte. Wir freuen uns, wenn Sie sich mit uns gemeinsam auf die innovativen Ideen der beitragenden Forschungsgruppen einlassen und das Thema Digitalisierung selbst in Ihrer Praxis und Forschung vorantreiben!



Publication History

Article published online:
12 June 2023

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