PiD - Psychotherapie im Dialog 2023; 24(04): 103
DOI: 10.1055/a-1959-5099
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Marrakesch September 2023

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(Quelle: Bettina Wilms)

Samstagmorgen auf dem Balkon, eine Tasse Tee vor mir, lese ich die Nachrichten auf dem Handy: Erdbeben in Marokko. Plötzlich bin ich gar nicht mehr entspannt – in zwei Wochen wollen wir in Marrakesch sein. Fotos der Medina sind zu sehen, zugeschüttete Gassen. 600 gemeldete Tote werden im Verlauf des Tages zu mehr als doppelt so vielen Menschen, die ihr Leben verloren haben. Die Nachricht an unsere Unterkunft wird am Nachmittag beantwortet: „Es ist in Marrakesch nicht so schlimm, wie die Bilder zeigen. Bitte entscheidet noch nicht, die Reservierung zu stornieren! Lasst uns jetzt nicht allein!“

Wir sind froh, dass wir das kennen: die schlimmen Nachrichten aus Regionen, in die wir reisen wollen, und die dann doch oft sehr anderen Sichtweisen dazu und die Situation vor Ort. Wir haben gelernt, den Menschen zu vertrauen, die am Platz des Geschehens leben. Und wir wissen: Niemand der Betroffenen will, dass Reisenden ein Leid geschieht.

In den kommenden Tagen sind wir schnell sicher, dass wir reisen werden. Die Nachrichten aus Marrakesch selbst unterstreichen dies. Ja, im Atlasgebirge ist es schlimm – 3000 Tote, Bergdörfer, von denen wir noch Fotos haben, existieren nicht mehr… Ein Freund organisiert vor Ort einen Konvoi mit Lastwagen – alles finanziert durch Bekannte und Freunde. Die Orte, die Familien, die unterstützt werden, sind klar benannt. Kein anonymes Geld in anonyme Organisationen.

Einige Tage später ist es so weit: Nach über 10 Jahren sind wir wieder einmal in dieser wunderbaren Stadt. Auf unseren Streifzügen durch die Medina sehen wir Schäden, offensichtlich viel weniger als berichtet. Im Detail aber werden wohl erst die nächsten Wochen und Monate Sicherheit geben, welche – teilweise auch historischen – Bauten wie schwer betroffen sind. Menschen im Hotel berichten von etwa 15 Toten in der Medina – schlimm ist dies für jede Familie, sagt A., unser Hotelbesitzer, aber schlimm sei auch, dass viele kleine Hotels den Betrieb eingestellt hätten. Viele Menschen brächten offenbar wegen der Nachrichten im Netz nicht den Mut auf, darauf zu vertrauen, dass man es sich hier trotz allem gut gehen lassen könne.

Und dass das geht, spüre ich am nächsten Tag im Hamam: Weiche Hände seifen mich ein, waschen mich, und im dunstigen Dampf träume ich vom Jardin Secret mitten in der Medina von Marrakesch: Ich sitze auf einer Bank im Schatten, die Zweige der Palmen wiegen sich im warmen Wind, und fern wirkt die betriebsame Geschäftigkeit der Gassen genauso wie der Ruf zum Gebet…

Bettina Wilms, Querfurt



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Article published online:
28 November 2023

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