PiD - Psychotherapie im Dialog 2023; 24(04): 102
DOI: 10.1055/a-1959-5339
Lesenswert

Laurence Dreyfus: Parsifals Verführung

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Faber & Faber 2022, ISBN
9783867302265, 220 Seiten, 24 €

Viele Fragen könnten zurzeit zum Thema „Richard Wagner“ gestellt werden: Wie kommt es, dass es dieses Jahr noch Karten zu den Festspielen gab? Sind VR-Brillen wirklich nötig, um das Opernerlebnis aktuell zu inszenieren? Gibt es Neues zum Thema Toleranz, Judentum und Zeitgeist – Ende des 19. Jahrhunderts und jetzt?

Bezogen auf das Buch von Laurence Dreyfus kann auch die Frage gestellt werden, ob ein beruflich international erfolgreicher Musiker einen lesenswerten Roman verfassen kann und wovon ein solches Buch handeln könnte.

Natürlich von Musik …

Parsifals Verführung ist Fiktion. Eine zu Teilen assoziativ gelockert anmutende Geschichte, wie sie sich durchaus um die Uraufführung des Parsifal und deren Dirigenten, den Juden Hermann Levi, zugetragen haben könnte. Dreyfus unternimmt den Versuch, Personen und Begebenheiten so konkret zu beschreiben, dass sich das Lesen wie eine Dokumentation anfühlt, angereichert durch ein wenig Schnüffelei in alten Briefen. Und es ist alles dabei: das Drama, das Deutschtum, der „Meister“, Frau Cosima, die „Wagnerianer“, Friedrich Nietzsche, Johannes Brahms, das Judentum, die Frage nach künstlerischen Antworten auf zeitgenössische und zeitgeistliche Themen …

Dabei erreicht Vieles sehr aktuelle Bezüge, weil immer noch nicht (oder vielleicht nie) ausreichend bearbeitet: Wie sieht Toleranz gegenüber unterschiedlichen Lebensentwürfen aus? Was hat das mit Religion zu tun? Was mit Partnerschaft und Sexualität? Bilden Begriffe wie Homosexualität und Judentum Gegensätze zu dem, was wer auch immer unter „abendländischer deutscher Kunst“ und deren Protagonisten verstehen möchte?

Das alles könnte in der Frage gipfeln, ob ein möglicherweise homophiler Protagonist jüdischen Glaubens ein mit christlicher Mythologie befrachtetes Gesamtkunstwerk dirigieren sollte. Oder es könnte in einer Art klimatischer Gesamtassoziation münden, welche Gedanken und Beweggründe die handelnden Personen wohl beschäftigt und angezogen haben, wie es „wirklich“ gewesen ist oder auch noch hätte sein können.

In jedem Fall regt dieser Roman die Fantasie an, macht Lust, sich der Musik des „Meisters“ erstmals oder wieder einmal zu nähern und sich mit seinen Zeitgenossen zu befassen. Diese brachte er offensichtlich dazu, sich zu Teilen ausgesprochen ausgiebig mit ihm zu befassen – ob in anbetender Jüngerschaft, musikalischer Faszination oder grenzenlos anmutender Abgrenzung und Verteufelung.

Das Besondere an diesem Buch ist, dass es dem Leser genau diese Freiheiten lässt und ihn noch nach der Lektüre dazu anregt, weiter zu suchen, zu lesen und zu hören.

Und das mit dem „Phänomen Wagner“ scheint ja auch heute noch zu funktionieren – in Feuilleton Beiträgen großer Wochenzeitungen oder auch im Roman eines Musikers.

Viel Fantasie, gemischt mit politischer Demut bei der Lektüre wünscht

Dr. Bettina Wilms, Querfurt



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
28. November 2023

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