Notaufnahme up2date 2023; 5(01): 3-4
DOI: 10.1055/a-1962-7566
Editorial

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint!

Thomas Henke

Liebe Leserinnen und Leser,

kaum eine gesundheitspolitische Entscheidung der letzten Zeit wurde wohl so kontrovers diskutiert, wie die einrichtungsbezogene Impfpflicht für SARS-CoV-2. Grundsätzlich ist diese seit dem 17. März 2022 Teil der aktuellen Gesetzgebung mit dem Ziel, dass Patienten vor COVID-19, übertragen durch Angehörige des Gesundheitswesens, bestmöglich geschützt werden. Politisch sollte sie möglicherweise auch nur die Ouvertüre für eine allgemeine Impfpflicht gegen SARS-CoV-2 darstellen.

Schon kurze Zeit nach Beginn der weltweiten Impfaktivitäten gegen SARS-CoV-2 wurde jedoch klar, dass dieses Virus in seiner Kontagiosität nur wenig bis gar nicht durch die zur Verfügung stehenden Impfstoffe beeinflusst wird. Vielmehr wird der Impferfolg – und diese Aussage gilt bis heute – daran gemessen, dass das individuelle Risiko eines schweren oder gar tödlichen Infektionsverlaufs durch einen vollen Impfschutz für die Einzelperson zu einem hohen Prozentsatz verhindert werden kann, was der vulnerablen Personengruppe hospitalisierter Patientinnen und Patienten besonders zugutekommt.

Zweifelsohne überwiegen bei wissenschaftlich-nüchterner Betrachtung die Vorteile einer Impfung zur persönlichen Risikoreduktion und damit die Sinnhaftigkeit der Maßnahme als persönliche Selbstbestimmung gegenüber den teilweise hysterisch geführten Diskussionen von Impfgegnern. Spätestens als die politische Diskussion zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht in Deutschland verstummte, hätte allen politisch Verantwortlichen klar werden müssen, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht den gewünschten Effekt erzielen wird und eine Totgeburt bleibt.

Doch es werden noch mehr Fragen aufgeworfen. In unserem föderalistischen System ist auch die Umsetzung des Gesetzes zur Impfpflicht krachend gescheitert. Sind Begriffe wie „Einheit-Gleichheit-Geschwisterlichkeit“ als hohes Gut unserer Gesellschaft, in unserem moralischen Kompass tief verankert, so führte doch die regionale Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht auf Länderebene zu einer fortwährenden Ungleichbehandlung und beruflichen Ausgrenzung von Angehörigen im Gesundheitswesen. Drängten einige Ministerien oder Behörden auf eine zügige Umsetzung des Gesetzes mit Verhängung von Zwangsgeldern und Aussprechen von Betretungs- und Berufsausübungsverboten, so verhielten sich andere Bundesländer eher verhalten. Vieles hing davon ab, wo Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Einführung des Gesetzes gerade beschäftigt waren – ob diese ihren Beruf weiter ausüben durften oder eben nicht.

Auch wird häufig diskutiert, ob die Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht für Gesundheitsberufe den Pflegekräftemangel beschleunigt hat. Dies erscheint zweifelhaft, denn der drohende Mangel in den Pflegeberufen war bereits vor der Pandemie bekannt. Eine Untersuchung der Bundesagentur für Arbeit aus dem Jahr 2017 prognostizierte bereits einen Fachkräftemangel sowohl in der Gesundheits- und Krankenpflege, im Rettungsdienst, als auch in der Altenpflege. Insofern sind die Auswirkungen des Pflegekräftemangels, wie sie in den Notaufnahmen manifest sind, eher nicht mit dem Thema einrichtungsbezogenen Impfpflicht in Verbindung zu bringen, wenngleich diese mit Sicherheit auch nicht zu einer Entspannung der Situation beiträgt.

Nach der bisherigen Einschätzung wird die einrichtungsbezogene Impfpflicht am 31.12.2022 auslaufen und, so wie es scheint, ohne erneute politische Diskussion aus den Gesetzesbüchern so schnell verschwinden, wie sie gekommen war. Stattdessen fordern Vertreter von Pflegebündnissen an die Adresse der Gesundheitspolitik sich nicht länger mit „Kleinstthemen wie der einrichtungsbezogenen Impfpflicht“ aufzuhalten, sondern eine grundlegende Pflegereform anzugehen. Hiervon wären auch positive Signale für die Situation der Notaufnahmen zu erwarten.

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen eine interessante Lektüre mit unserer neuen Auflage der Notaufnahme up2date

Ihre Herausgeber

Thomas Henke, Michael Bernhard, Frank Eifinger, Ingo Gräff, Bernhard Kumle, Philipp Kümpers, Dominik Michalski, Martin Pin, Sylvia Schacher, Benjamin Ondruschka



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
13. Januar 2023

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