Arthritis und Rheuma 2023; 43(01): 57-58
DOI: 10.1055/a-2006-9574
Kasuistik Kinderrheumatologie

Autoimmun-Enzephalitis bei einer 14 Jahre alten Patientin

Maria Faßhauer
1   Pädiatrische Rheumatologie, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Klinikum St. Georg gGmbH Leipzig, Leipzig
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Fallbericht

Eine 14 Jahre alte Patientin mit unauffälliger Eigen- und Familienanamnese beklagte seit 2 Wochen bestehende Kopfschmerzen. Zur stationären Aufnahme in einem peripheren Krankenhaus führten stärkste Zephalgie (8/10) und unstillbares Erbrechen (ohne Fieber bzw. Durchfall) seit dem Vortag. Es entwickelte sich eine progrediente, sich rasch verschlechternde neurologische Funktionsstörung, im Sinne von Visusverlust, Gleichgewichtsstörung, verwaschener Sprache und Apathie, weiterhin ohne Fieber. Das führte zur Akutverlegung in unsere intensivmedizinische Betreuung.

Klinik

In der klinischen Untersuchung zeigte sich ein 14-jähriges Mädchen in deutlich reduziertem Allgemeinzustand, orientiert, aber mit verlangsamten Reaktionen, stärksten Kopfschmerzen ohne meningitische oder Infekt-Zeichen, intern keine Auffälligkeiten bis auf Tachykardie sowie hypertone RR-Werte (145/95 mmHg). Haut reizlos, ohne Petechien, äußerlich sichtbare Verletzungen, Exantheme oder Ekzeme, unauffälliger Gelenkstatus, keine Organomegalie.


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Labor

Die Laboruntersuchungen zeigten initial keine Entzündungszeichen: Blutbild und Differenzierung sowie BSR und CRP unauffällig und verblieben während des ganzen Aufenthaltes normwertig. Die serologischen Untersuchungen ergaben bis auf schwach positive IgM- und IgG-Antikörper gegen Coxsackie-Virus und am 2. stationären Tag in unserer Klinik positive IgA-Antikörper für Adenoviren, ansonsten keine Hinweise auf eine infektiöse Ursache. Aufgrund des rezidivierenden Erbrechens zeigte sich initial eine Azidose mit Basenüberschuss von –10,7 mmol/l bei normwertigen Elektrolyten. Blut- und Liquorkulturen verblieben mehrfach ohne Wachstum von Bakterien und Pilzen. Die untersuchten virologischen Direktnachweise aus Plasma und Liquor blieben unauffällig.


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Bildgebung

Das im peripheren Krankenhaus durchgeführte erste MRT schloss eine Blutung bzw. tumoröse Veränderung aus und zeigte eine Zerebellitis: ödematöse Veränderungen kortikal im Zerebellum bei raumfordernder Wirkung auf den 4. Ventrikel und diskret eingeengten basalen Zisternen; leicht erweitertes Ventrikelsystem supratentoriell im Sinne einer Liquorzirkulationsstörung ohne supratentorielle Parenchym-Manifestation.


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Therapie

Nach Verlegung wurde eine Lumbalpunktion durchgeführt, die eine Pleozytose zeigte, sodass initial antimikrobiell mit Cefotaxim und Aciclovir behandelt wurde. Es erfolgte eine antiemetische Therapie mit Ondansetron, supportiv wurde mit Paracetamol, Ibuprofen bzw. Novaminsulfon behandelt, im Verlauf Eskalation mit Morphin bzw. Piritramid.

Die Patientin sprach nicht auf die antimikrobielle Therapie an und es persistierten die bestehenden neurologischen Ausfälle. Am 5. Tag kam es zu einer neu aufgetretenen Harninkontinenz und die Bildgebung (MRT-Schädel/-Wirbelsäule) zeigte eine unveränderte Zerebellitis ohne Hinweis auf eine enzephalitische Mitbeteiligung oder eine Ausdehnung nach spinal. Eine autoimmune Genese der aseptischen Zerebellitis wurde nach Ausschluss von MS bzw. ADEM oder einer anderen spinalen Ursache der Symptomatik vermutet und es wurde eine Methylprednisolon-Pulstherapie über 3 Tage und eine hochdosierte Immunglobulintherapie für 5 Tage durchgeführt. Darunter kam es zu einer milden Besserung der Symptomatik. Am 12. stationären Behandlungstag trat erneut eine Visusstörung auf, die sich im MRT durch eine Störung im blickmotorischen Hirnstammzentrum (zerebelläre Herde im Arteria-cerebelli-anterior-inferior-Gebiet bds.) erklärte, sodass ein erneuter Methylprednisolon-Puls für 3 Tage und anschließende orale Prednisolon-Therapie (nach Neuritis-N.-optici-Schema) initiiert wude unter supportiver Behandlung mit Carboanhydrase-Hemmer bei noch bestehendem zerebellärem Ödem.

Ursache dieses Geschehens war letztlich eine in der Lumbalpunktion nachgewiesene Glutamat-Rezeptor (Typ N-methyl-D-Aspartat, NMDA)-Enzephalitis mit intrazellulärem Inositol-1,4,5-Triphosphat-Rezeptor-Typ-1 (iTPR1)-Autoantikörper-positive Zerebellitis. Anti-NMDA-Antikörper ließen sich nur im Liquor, nicht jedoch im Serum nachweisen. Die Untersuchungen auf sonstige autoimmunologische oder immunologische Erkrankungen blieben unauffällig. Im Verlauf wurde auf Plasmapherese verzichtet, jedoch die Therapie mit anti-CD20 monoklonalen Antikörpern – Rituximab (insgesamt 6 Pulse) – begonnen, was zu einer raschen Besserung der neurologischen Symptomatik führte. Unter intensiver Physiotherapie und rehabilitativer Anschlussheilbehandlung kam es zu einer Restitutio ad integrum, die Patientin besucht die Schule und ist beschwerdefrei, wird aber aufgrund der iatrogenen B-Zell-Depletion immunologisch überwacht.


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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
14. März 2023

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  • Literatur

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