Dtsch Med Wochenschr 2023; 148(08): 475-482
DOI: 10.1055/a-2007-5450
Review

Hypoxische, anämische und kardial bedingte  Hypoxämie: Wann beginnt die Hypoxie im Gewebe?

Artikel in mehreren Sprachen: deutsch | English
Dieter Köhler
1   Philipps University Marburg, Marburg, Germany
,
Thomas Voshaar
2   Stiftung Krankenhaus Bethanien Moers, Medizinische Klinik 3, Klinik für Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie und klinische Immunologie, Zentrum für Schlaf- und Beatmungsmedizin, Lungenkrebszentrum, Lungen- und Thoraxzentrum, Germany
,
Patrick Stais
2   Stiftung Krankenhaus Bethanien Moers, Medizinische Klinik 3, Klinik für Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie und klinische Immunologie, Zentrum für Schlaf- und Beatmungsmedizin, Lungenkrebszentrum, Lungen- und Thoraxzentrum, Germany
,
Peter Haidl
3   Krankenhaus Kloster Grafschaft, Schmallenberg, Germany
,
Dominic Dellweg
4   Department for Internal Medicine, Gastroenterology and Pulmonology, Pius Hospital Oldenburg, Oldenburg
› Institutsangaben

Zusammenfassung

Bei einer Hypoxämie ist oft der Sauerstoffgehalt noch im unteren Normbereich, sodass keine Hypoxie im Gewebe vorliegt. Wird die Hypoxie-Schwelle im Gewebe bei einer hypoxisch, anämisch und auch kardial bedingten Hypoxämie erreicht, kommt es im Zellstoffwechsel, unabhängig von der Genese, zu identischen Gegenregulationen. Im klinischen Alltag wird diese pathophysiologische Tatsache mitunter ignoriert, obwohl je nach Hypoxämie-Ursache die Beurteilung und die Therapie stark unterschiedlich sind. Während für die anämische Hypoxämie restriktive und allgemein akzeptierte Regeln in den Transfusionsrichtlinien festgelegt sind, wird bei einer hypoxischen Hypoxie früh die Indikation zu einer meist invasiven Beatmung gestellt. Die klinische Beurteilung und Indikationsstellung fokussiert dabei auf die Parameter Sauerstoffsättigung, Sauerstoffpartialdruck und Oxygenierungsindex. Während der Corona-Pandemie sind Fehlinterpretationen der Pathophysiologie sichtbar geworden und haben vermutlich zu überflüssigen Intubationen geführt. Für die Behandlung einer hypoxischen Hypoxie mittels invasiver Beatmung aber gibt es keine Evidenz. Im vorliegenden Review wird auf die Pathophysiologie der verschiedenen Hypoxieursachen unter besonderer Berücksichtigung der Intubation und Beatmung auf der Intensivstation eingegangen.

Kernaussagen
  • Für die suffiziente Behandlung von hypoxämischen Erkrankungen auf der Intensivstation ist eine Kenntnis der Pathophysiologie des Sauerstofftransportes unerlässlich.

  • Eine Hypoxie auf zellulärer Ebene kann kardial, pulmonal oder anämisch bedingt sein. Die Folgen des Sauerstoffmangels auf zellulärer Ebene sind unabhängig von der Ursache die gleichen. Erst bei schwerer Hypoxämie tritt eine Hypoxie im Gewebe auf.

  • Zumeist wird die kritische Hypoxieschwelle nicht unterschritten, sodass viele Maßnahmen zur Anhebung des sO2 oder des Hämoglobinwerts unnötig sind und die Patienten nur zusätzlich belasten.

  • Eine Intubation bei isolierter Hypoxämie kann fast immer vermieden werden. Nach den Literaturdaten und der eigenen klinischen Erfahrung ist als Richtwert ein caO2 von 10mlO2/dl Blut in den allermeisten Fällen unkritisch.

Take home messages
  • Knowledge of the pathophysiology of oxygen transport is essential for the sufficient treatment of hypoxemic diseases in the intensive care unit.

  • The consequences of hypoxia at the cellular level are the same regardless of the cause. Only when hypoxemia is severe, tissue hypoxia occurs.

  • In most cases, the critical hypoxia threshold is not undercut, so many measures to raise sO2 or Hb are unnecessary and only add to the patient’s burden.

  • Intubation for isolated hypoxemia can almost always be avoided. According to the literature data and our own clinical experience, a caO2 of 10mlO2/dl blood is not critical in the vast majority of cases as a guideline value.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
29. März 2023

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