Nervenheilkunde 2023; 42(06): 383-384
DOI: 10.1055/a-2022-0374
Gesellschaftsnachrichten

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e.V.

Joachim Sproß

Wegweiserangebot – Patientenlotsen an Neuromuskulären Zentren (NMZ)

Der 26. Kongress des Medizinisch-Wissenschaftlichen Beirates der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e. V. (DGM) fand im Haus der Technik in Essen statt. Ca. 600 teilnehmende Wissenschaftler und Mediziner stellten innovative diagnostische und therapeutische Verfahren vor, diskutierten über Behandlungsoptionen und Studien. Neben Gen-, Enzymersatztherapien und Entwicklungen neuer Ansätze standen die Versorgung und Strukturierung des Gesundheitswesens für Patienten mit chronischen Erkrankungen im Fokus. Das Symposium zum aktuellen Thema „Patientenlotsen an Neuromuskulären Zentren“ bildete den Auftakt am Vortag des DGM-Kongresses.

Die Kongresspräsidentin, Prof. Ulrike Schara-Schmidt, begrüßte auf dem Symposium ca. 100 Teilnehmende. Im Fokus der Veranstaltung stand der Mehrgewinn von Wegweiserangeboten für das medizinische Setting, und damit auch der ökonomische Effekt auf das Gesundheitswesen. Expertenvorträge machten zudem deutlich, dass die Lotsentätigkeit im direkten Kontakt mit den Patienten nicht nur kommunikativ wirkt. Als Ansprechperson, Vermittler und Koordinierende innerhalb des NMZ optimieren die Lotsen die gesamte Versorgungssituation für neuromuskulär erkrankte Menschen erheblich.

Unter dem Titel „Evaluation und aktueller Stand“ gab PD Dr. Thorsten Langer, Universitätsklinikum Freiburg, mit Joachim Sproß, Bundesgeschäftsführer DGM, ein Update über den Stand im Pilotprojekt. Als bemerkenswert ist benannt worden, dass nach der jetzt auslaufenden Dreijahres-Projektzeit die Gespräche für eine Verstetigung der Lotsentätigkeit durch Finanzierungsmodelle der Universitätskliniken erste Erfolge zeigen. An den Kliniken wird der positive Effekt auf das Versorgungsmanagement gesehen. Auch die ersten Zwischenergebnisse der projektbegleitenden Evaluation unterstreichen diese Wirkungen, Langer stellte einige Ergebnisse der unabhängigen Evaluation vor.

Zoom Image
PD Dr.Thorsten Langer und Joachim Sproß referieren über das Patientenlotsen-Projekt. Foto: ©DGM, Freiburg

Prof. Leonie Sundmacher und Marie Coors, TU München, stellten die „Gesundheitsökonomische Sicht auf Wegweiser- und Lotsentätigkeiten in der stationären Versorgung“ vor und kamen zu dem Schluss, dass weiterer Forschungsbedarf im Hinblick auf die Wirksamkeits- und Kostenevaluation von Lotsenprojekten besteht. Konkrete Zahlen zeigte Coors in ihrer Studie über die Cardiolotsen: „Die Zahl an Krankenhaus-Wiedereinweisungen konnte für die Interventionsgruppe signifikant reduziert werden und die durchschnittliche Krankenhausverweildauer war signifikant geringer. Innerhalb von 12 Monaten mussten Patienten, die von einem Cardiolotsen betreut wurden, im Schnitt rund 2 Tage weniger im Krankenhaus bleiben.“ Daraus können gesundheitsökonomische Einsparungspotenziale konkret abgeleitet und beziffert werden.

Wolfgang van den Bergh hielt einen Vortrag mit dem Titel „Gesundheitssystem und Präzisionsmedizin – Dolmetscher für Komplexität gesucht“. Seine Quintessenz fiel deutlich aus: „Ärzte, Kassen, Industrie und Patienten bilden eine Versorgungsallianz, um dem Leistungsversprechen der Politik Rechnung zu tragen!“ Van den Bergh verwies auf die politischen Diskussionen und Vorhaben, z. B. die unabhängige Patientenberatung, Gesundheitskioske. Ausgehend vom Versprechen der Ampel-Parteien im Koalitionsvertrag, „für erfolgreich geförderte Projekte, wie die der Patientenlotsen werden wir einen Pfad vorgeben, wie diese in die Regelversorgung überführt werden können“, kam er zu dem Fazit: „Ohne Patientenlotsen und Dolmetscher wird die Versorgung teurer!“

Über „Patientenlotsen im Kontext regionaler Versorgung“ berichtete Malte Behmer, BMC, Berlin. Er gab einen Einblick in konkrete Umsetzungsmodelle mit regionalem Bezug. Dabei regte er an, in gefestigten Strukturen funktionierende Lotsenprojekte starten zu lassen. Behmer motivierte die regionalen Akteure mit seinem Fazit: „Gesundheitsregionen können neue Versorgungslösungen in der Fläche ausrollen und dabei bestehende Hürden aus der Regelversorgung überwinden.” Die Überleitung zur Bundespolitik zeigte er mit Verweis auf die 2 Versorgungsgesetze 2023:

  • I. Stärkung der Medizin in der Kommune (u. a. Gesundheitskioske, Primärversorgungszentren, Maßnahmenpaket Gesundheitsregionen) und

  • II. Stärkung des Zugangs zu gesundheitlicher Versorgung (u. a. Regelungen zu MVZ & Gesundheitsberufen).

Als Gesundheitspolitiker und Bundestagsabgeordneter sprach Dirk Heidenblut, Essen, und zeigte „Die Einstufung von Patientenlotsen im Fokus der Fachpolitik – Gesundheitsausschuss“ auf. Der enorme Transformationsprozess im Gesundheitswesen mit den vielen Ansätzen stellt die Gesundheitspolitik vor besondere Herausforderungen. Diese drücken sich auch in den von Behmer erwähnten Versorgungsgesetzen aus. Laut Heidenblut werden Ansätze von wegweisenden Lotsenprojekten in die Überlegungen zu Versorgungsgesetzen einfließen.

In einem abschließenden Austausch wurden die Vorteile von DGM-Patientenlotsen herausgestellt. Diese Lotsen organisieren die interdisziplinären Konsultationen, leiten Patienten zu den notwendigen Stellen und übernehmen administrative und organisatorische Aufgaben für ein passgenaues Behandlungs- und Versorgungssetting. Es zeigte sich, wie mehrdimensional die Lotsentätigkeiten positive Wirkungen zeigen. Gerade in den Behandlungen von komplexen Erkrankungen ist für Diagnostik und Therapie eine Koordinierung sinnvoll. Die ressourcenbewussten Effekte steigern Therapieerfolge und bewirken direkte Korrelationen zur Kostenreduzierung.

Für die DGM ist es bedeutend, dass die Patienten mit einer chronischen und komplexen Erkrankung, die zumeist in ihrer Mobilität beeinträchtigt sind, Unterstützungsmodelle für eine bestmögliche klinische Versorgung erhalten. Von der anspruchsvollen Diagnosestellung bis zur medizinisch-therapeutischen Unterstützung ist die Versorgung oft mit enormem Aufwand verbunden. Indem mit Unterstützung von Patientenlotsen Wartezeiten abgebaut und das medizinische Personal entlastet wird, wird die Gesundheitsversorgung patientenzentrierter organisiert.

Kongresspräsident Prof. Tim Hagenacker zeigte sich von den Vorzügen überzeugt: „In Essen haben wir eine Patientenlotsin, die als Teil der Transition in beiden Kliniken tätig ist. Wir erleben das als sehr positiv, als gewinnbringend. Weil uns durch das, was die Patientenlotsin leistet, mehr Zeit für die Patienten zur Verfügung steht. Der Patient fühlt sich von Anfang an gut mitgenommen, weil die Behandlung nicht erst im Wartezimmer oder im Zimmer des Arztes beginnt.“ Schon jetzt zeige das DGM-Projekt, dass mit Patientenlotsen die limitierten Ressourcen in den NMZ optimaler zu nutzen seien.

Joachim Sproß, Freiburg



Publication History

Article published online:
31 May 2023

© 2023. Thieme. All rights reserved.

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York