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DOI: 10.1055/a-2040-7852
„Wie geht’s euch?“ Psychosoziale Gesundheit und Wohlbefinden von LSBTIQ*
Die WGE(Wie geht’s euch)-Studie befasst sich mit der psychosozialen Gesundheit und dem Wohlbefinden von LSBTIQ* in Deutschland. Dazu wurden 2018/2019 rund 8 700 lsbtiq* Personen im Alter von 16 bis 90 + Jahren online befragt. Durchgeführt wurde die Studie an der Frankfurt University of Applied Sciences unter der Leitung von Stefan Timmermanns (Professor für Sexualpädagogik und Diversität in der Sozialen Arbeit) und Prof. Dr. Heino Stöver (Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung), mitbeteiligt waren Niels Graf (wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Prävention und Gesundheitsförderung an der Universität Bielefeld) sowie Simon Merz (Kommunikationswissenschaftler und Jugendbildungsreferent in der Stiftung Akademie Waldschlösschen).
Die Stärken der Studie bestehen darin, dass ein sehr großes und diverses Sample befragt wurde und die Community im Sinne eines partizipativen Forschungsansatzes an der Fragebogen-Entwicklung beteiligt war. Gleichzeitig hat die Studie die Schwäche, dass die über Community-Institutionen angeworbenen Personen keinerlei Verallgemeinerungen auf die Gesamtheit der lsbtiq* Personen in Deutschland zulassen und dass in der Stichprobe zudem cisgeschlechtliche Männer (76 %), die sich als schwul (65 %) oder bisexuell (9 %) identifizieren, dominieren. Diese und weitere methodische Einschränkungen werden in der Publikation offengelegt und sind den Studienverantwortlichen nicht anzulasten, da es forschungspraktisch mit begrenzten zeitlichen und finanziellen Ressourcen bislang unmöglich ist, eine repräsentative Stichprobe der (unbekannten) LSBTIQ*-Population in Deutschland zu bilden, in der noch dazu alle Teilgruppen ausreichend stark vertreten sind, um statistische Detailanalysen zu ermöglichen.
Die Lösung kann daher nur darin bestehen, eine Überinterpretation der Daten zu vermeiden und die Studie explorativ zu verstehen. Zentrale theoretische Grundlagen und Konzepte stammen aus dem Minderheiten-Stress-Modell, einem ressourcenorientierten Empowerment-Modell, sowie aus der Coming-out-Forschung. Somit kann die Studie ein differenziertes Bild zeichnen und einerseits aufzeigen, dass und wie LSBTIQ* nach wie vor von besonderen Belastungen betroffen sind, etwa von Ängsten rund um das Coming-out sowie Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen – teilweise auch innerhalb ihrer eigenen Communitys. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass und wie LSBTIQ* ihre Ressourcen nutzen und ausbauen, sich etwa im Freizeitbereich über Clubs, queere Zentren und Online-Plattformen gegenseitig Unterstützung bieten.
Die Ergebnisse zeigen im Vergleich der Teilgruppen unter anderem, dass die befragten 658 trans* Personen am häufigsten queere Zentren und Gruppen besuchen (S. 82: 7 % wöchentlich), dass die 160 befragten genderdiversen Menschen am häufigsten Diskriminierungen in der Familie erlebten (S. 95: 43 % mehr als drei Mal) und dass die 21 befragten asexuell identifizierten Menschen die größte sexuelle Zufriedenheit empfinden (S. 127: 71 % sind sehr/eher zufrieden mit ihrem Sexualleben gegenüber 35 % des Gesamtsamples).
Der Band ist gut lesbar, denn die Inhalte sind übersichtlich strukturiert und die Kernkonzepte immer klar definiert. Der Schreibstil ist verständlich und pointiert. Zahlreiche Abbildungen und Tabellen lockern den Text auf. Nützlich ist das Buch sowohl für die Forschung und Lehre, vor allem als Anregung für zukünftige Studien, als auch für die Praxis, um Problemlagen besser zu verstehen und Unterstützungsangebote zielgerichteter auszubauen.
Nicola Döring (Ilmenau)
Publication History
Article published online:
05 June 2023
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