Sportphysio 2023; 11(02): 101-104
DOI: 10.1055/a-2045-0739
Notes
Veranstaltungsbericht

Notes | Veranstaltungsbericht

Martina Leusch
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Johannes Ermel

20th Sportfisio Symposium SSPA/SSVSP

Zum 20-jährigen Jubiläum des Schweizerischen Verbands für Sportphysiotherapie (SVSP) und zur ersten Austragung vor Ort nach der Pandemie kamen rund 500 interessierte Sportphysiotherapeuten am 4. November 2022 nach Bern.

Das Jubiläum bot unter dem Titel „Best Practice“ Updates zu den wichtigsten Verletzungen wie Vordere-Kreuzband-(VKB-)Ruptur, Muskel, Leiste, Schulter, Lendenwirbelsäule (LWS) und oberes Sprunggelenk (OSG). Die eingeladenen Referenten aus England, Australien und den USA ([ Abb. 1 ]) waren alle bereits einmal an einem der früheren Kongresse dabei und überzeugten schon damals als Experten auf ihrem Gebiet.

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Abb. 1 Mario Bizzini im Kreis der Referentinnen und Referenten des 20. Sportfisio-Symposiums: Eamonn Delahunt, Andrea Mosler, Lynn Snyder-Mackler, Mario Bizzini (SVSP), Fiona Wilson, Phil Glasgow (v. l. n. r.). (Quelle: © SportfisioSwiss – York Production)

Update VKB-Ruptur: Lynn Snyder-Mackler (USA)

Lynn Snyder-Mackler präsentierte die neu aktualisierten Reha-Guidelines mit den wichtigsten klinischen Meilensteinen. Diese neue Version aus dem Jahr 2021 basiert auf Studien mit einem Follow-up von bis zu 10 Jahren mit rund 300 VKB-Patienten in Norwegen und den USA. Der Hauptfokus liegt auf sofortigem Implementieren von Quadrizepsübungen in der offenen Kette, regelmäßigem Testen der Quadrizepskraft, bedachter Wahl des Return-to-Sport-Zeitpunkts, kriterienbasierter Progression in der späten Rehabilitation und der Instruktion eines Präventionsprogrammes.

Lynn betonte die Wichtigkeit, Quadrizepsübungen in der offenen kinetischen Kette unmittelbar postoperativ zu implementieren, da diese für das VKB weniger belastend sind als Gehen und für die Quadrizepskraft eine große Bedeutung haben. Messungen zeigen, dass das VKB im Mid Stance eine 3-mal höhere Zugbelastung erfährt. Das regelmäßige Testen der Quadrizepskraft im Reha-Verlauf ist wichtig zum Erreichen der Meilensteine: nicht nur zum Beispiel für die Entscheidung, mit dem Joggen zu starten, sondern auch zum Ende der Rehabilitation hin für den Return to Sport. Falls keine isokinetische Messung zur Verfügung steht und das Einwiederholungsmaximum (1RM) am Kraftgerät getestet wird, sollte ein Limb Symmetry Index (LSI) von 100 % angestrebt werden. Die symmetrische Quadrizepskraft ist unmittelbar mit dem Wiederverletzungsrisiko verknüpft.

Bezüglich der Entscheidung hinsichtlich des Return to Sport zeigte sie die Wichtigkeit auf, sowohl die biologische zeitbasierte Heilung als auch die auf physischen Kriterien basierten Meilensteine und die psychische Bereitschaft zu berücksichtigen. Dementsprechend sollte man mindestens 9 Monate abwarten (bei Jugendlichen unter 18 Jahren bis zu 12 Monate!), bevor man nach solch einer Verletzung wieder mit dem Sport beginnt. Dieses Vorgehen resultiert in einer deutlichen Reduktion von Wiederverletzungen. Leider zeigen Studien, dass physische Kriterien wie Kraft und Sprünge selten erreicht werden und Patienten ungenügend vorbereitet in den Sport zurückkehren.

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Die Leitlinie ist öffentlich verfügbar unter: https://bit.ly/ACLguideline.


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Update Muskel: Phil Glasgow (UK)

Phil Glasgow präsentierte Daten aus dem irischen Profi-Football zum Thema Muskelverletzungen. Anstelle von Präventionsprogrammen sprechen sie in der Football-Liga von Robustheit („robustness“), was von Spielern und Coaches besser akzeptiert wird.

Der Schwerpunkt des Vortrags lag darin, nicht die ganze Reha bei Hamstring-Verletzungen auf exzentrischem Training aufzubauen. Er hob die Wichtigkeit des Sprintens für die Wiederherstellung der Hamstrings-Funktion hervor, da bei maximalem Sprinttempo die Kraftspitzen für die Hamstrings auch maximal sind, während im Vergleich dazu die der Wade über alle Geschwindigkeiten hinweg in etwa gleichbleiben.

Zudem sollte die Reha im Football dem Verletzungsmechanismus Sprint plus Rumpfrotation Rechnung tragen und die Übungen sollten auch diese Bewegungskombination aufgreifen. Für die Robustheit sollte ein regelmäßiges Sprinttraining in maximalen Geschwindigkeiten ins Training aufgenommen werden nach dem Motto: „Train high – play low“. Gerade bezüglich der Intensität (Beschleunigung, Tempo, Richtungswechsel, Plyometrie) sollte das Training eine hohe Konsistenz aufweisen, während das Gesamtvolumen saisonale Schwankungen aufweisen kann.


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Update Hüfte/Leiste: Andrea Mosler (AUS)

Der Beitrag von Andrea Mosler hatte seinen Fokus auf dem hüftbasierten Leistenschmerz, da dieser nicht in die klassische Einteilung in die 4 Einheiten des Leistenschmerzes (Iliopsoas, Adduktoren, Leiste, Schambein) hineingehört. Trotzdem muss man diesen Beschwerden aber Rechnung tragen. Zum hüftbasierten Leistenschmerz zählen bei jungen Sportlern das femoroazetabuläre Impingement, die azetabuläre Hüftdysplasie und/oder -instabilität sowie weitere Erkrankungen ohne veränderte knöcherne Morphologie zum Beispiel des Labrums.

In der physischen Untersuchung kann die Hüfte in der Regel ausgeschlossen werden, wenn das Bewegungsausmaß normal ist und auch der FADDIR(Flexions-Adduktions-Innenrotations)- und der FABER(Flexions-Abduktions-Außenrotations)-Test negativ ausfallen. Eine alleinige Bildgebung ist wenig aussagekräftig, da bei Sportlern Veränderungen am Labrum und/oder am Knorpel unabhängig von den Symptomen bei 50–70 % und CAM-Veränderungen am Schenkelhals bei 60–70 % auftreten.


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Update Schulter: Kevin Wilk (USA)

Kevin Wilk wurde online zugeschaltet und präsentierte eine breite Auswahl an Übungen für die späteren Reha-Phasen einer Schulterrehabilitation. Hierbei lag der Fokus auf reaktiven Übungen mit neurokognitivem Charakter.


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Update Lendenwirbelsäule: Fiona Wilson (UK)

Der Vortrag von Fiona Wilson griff die Problematik von lumbalen Rückenbeschwerden im Rudersport auf. Ein wichtiger Aspekt war der Hinweis auf die weitverbreitete Annahme, dass die Zugabe von Schwächen oder Beschwerden die eigene Karriere gefährden könnte. Vor allem die jugendlichen Ruderer trauten sich nicht, Coaches und Teamkollegen gegenüber Beschwerden früh anzusprechen – aus Angst, Schwäche zu zeigen und nicht selektioniert zu werden. Deswegen wurde eine Guideline als „Infografik“ aufgesetzt, um über den Umgang mit Rückenschmerzen zu informieren.

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Die Guidelineist zusammen mit weiteren Informationen und dem Artikel verfügbar unter: https://bit.ly/LBP_rowers.

Die Angaben basieren auf mehreren Studien und einem weiterführenden „Consensus Statement“ von Experten aus dem Rudersport aus der ganzen Welt. Das Projekt wurde unterstützt von der medizinischen Kommission des Weltruderverbands.

Maßnahmen beinhalten, dass betroffene Athleten früh medizinisch begleitet werden, da eine lange Geschichte von Rückenschmerzen den Verlauf negativ beeinflusst. Neben einer entsprechenden Vorgeschichte zählen Belastungsspitzen, ein hohes Trainingsvolumen, Übergang in die Wettkampfsaison sowie die Dauer der Ruderkarriere zu den Hauptrisikofaktoren.

Eine klare, einheitliche Kommunikation und Behandlungsstrategie im Team verbessern den Reha-Verlauf und vermindern das Problem, dass die Athleten mit widersprüchlichen Aussagen konfrontiert werden.


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Update Sprunggelenk: Eamonn Delahunt (UK)

Eamonn Delahunt erinnerte seine Zuhörer mit eindrücklichen Zahlen daran, dass nicht jedes Inversionstrauma unproblematisch verläuft, sondern dass um die 40 % der Betroffenen eine chronische Sprunggelenksinstabilität (CAI = Chronic Ankle Instability) entwickeln. Die Hauptdefizite liegen hierbei im Bereich Kraft, Propriozeption und motorischer Kontrolle sowie Laxität und haben auch veränderte Bewegungsmuster und Anpassungen bei den Aktivitäten zur Folge.

Delahunt wirft die Frage auf, ob mangelnde medizinische Betreuung nach einem Inversionstrauma die Entwicklung eines CAI fördern. Analysen zeigen, dass bei der Gruppe, die ein CAI entwickelt, 64 % der Verletzten keine Reha durchliefen. Auch das Vorkommen eines Rezidivs nach erstmaligem Trauma ist in der Gruppe ohne Reha höher. Des Weiteren zeigt sich, dass rezidivierende OSG-Verletzungen auch ein erhöhtes Risiko zur Entwicklung einer Sprunggelenksarthrose aufweisen.

Auch die „Tape and Play“-Kultur wird in Frage gestellt. 94 % der Patienten nach einem Inversionstrauma sind nach 1–2 Wochen zurück im Sport, wobei sowohl die Entzündung als auch die resultierenden Verletzungen (Laxität, Arthrokinematik und defizitäre neuromuskuläre Kontrolle) zu wenig berücksichtigt werden. Die Reha sollte statische (z. B. BESS – Balance Error Scoring System) und dynamische Balance-Assessments (Y-Balance Test, aber auch Analyse der Landungskinematik) beinhalten und die gefundenen Defizite gezielt behandeln.

Nach 2 Jahren, in denen der Kongress nur online stattfand, genossen es die Zuhörer, das Symposium mal wieder live zu erleben ([ Abb. 2 ]). Und auch dieses Jahr war der fachliche Standard hoch und die Veranstaltung ein rundum gelungenes Event.

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Abb. 2 Eindruck aus dem vollen Saal. (Quelle: © SportfisioSwiss-York Production)

Wir gratulieren dem SVSP zum 20-jährigen Jubiläum und freuen uns auf die nächsten 20 Jahre!

Der nächste Kongress findet am 24.11.2023 in Bern statt.

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Alle Vorträge sind online verfügbar unter: https://bit.ly/SVSP_Kongress_2022.

Martina Leusch


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Publication History

Article published online:
10 May 2023

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