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DOI: 10.1055/a-2056-4720
Nachruf für Prof. Dr. Karl-Heinz Stäcker
Am 17. September 2022 verstarb in Essen Prof. Dr. phil. Dipl.-Psych. Karl-Heinz Stäcker im Alter von 91 Jahren. Karl-Heinz Stäcker gehörte zur ersten Generation der Medizinpsychologen in Deutschland, er war der erste Leiter des Instituts für Medizinische Psychologie an der Philipps-Universität Marburg (ab 1974) und der erste Inhaber des Lehrstuhls für Medizinische Psychologie am Universitätsklinikum der Gesamthochschule Essen (ab 1977), wo er 19 Jahre wirkte.
Während seines Studiums der Psychologie bei Albert Wellek in Mainz und dessen geistes-wissenschaftlicher Psychologie hatte er Kontakt zu Welleks Mitarbeiter Theo Herrmann, der ihn nach dem Studium nach Braunschweig und später nach Marburg mitnahm. In Marburg vertrat Karl-Heinz Stäcker zunächst die Klinische Psychologie und baute eine Studentenberatungsstelle auf: Damit wurde er unter den Studierenden zur Institution. War er in Marburg vielen Studierenden aller Fakultäten ein Notanker, so musste er sich in Essen zunächst im Großstadtleben zurechtfinden und vermisste vor allem den Kontakt zu den psychologischen Instituten.
Das Studium der Psychologie wählte er aufgrund seines frühen Interesses am Rorschach-Test; er zeigte hier besondere Fähigkeiten. Während eines Praktikums in einer Klinik für Psychiatrie soll ihm das Rorschach-Testprotokoll des berühmten Klinikchefs untergeschoben worden sein, den er allein auf dieser Basis so treffend beschrieb, dass es in der Klinik helles Erstaunen hervorrief. Sein Interesse am Rorschach-Test, den er immer als hypothesengenerierendes Verfahren kennzeichnete, hat er sein ganzes Leben hindurch bewahrt, allen kritischen Entwicklungen zum Trotz. Bis zum 90. Lebensjahr leitete er seine Rorschach-Gruppe, in der Psychologen aus dem Marburger Psychologischen Institut und Kliniker aus der Umgebung ihre diagnostischen Probleme mit konkreten Patienten diskutieren konnten. Frühere Studierende der Psychologie erinnern sich an seine psychodiagnostischen Gutachtenseminare, die so spannend waren, dass man buchstäblich die Stecknadel hätte fallen hören können.
Er hat mit seinem scharfen Intellekt und seiner unkonventionellen Art als Lehrer Generationen von Studierenden für die Psychologie begeistert – freilich in einer ihm eigenen, oftmals gegen den Strich gebürsteten Denke. Schnellschüsse waren ihm zuwider, stets bemühte er sich um überlegtes und rational begründetes Handeln. So kam es vor, dass er eine ganze Woche darüber nachdachte, wie er die spezifische Problemlage eines Patienten zu verstehen hatte; er ließ nicht nach, bis er zu einer schlüssigen Erklärung kam.
Besonders in seinen Publikationen, die an Zahl von manchen Kollegen übertroffen werden, tritt seine unerschütterlich eigenständige Haltung und seine akribische Arbeitsweise zutage. Ein Buchtitel wie „Die gehemmte Frau“, schon 1981 bei Verlagen kaum durchzusetzen, würde heute sicherlich nicht mehr in ein Verlagsprogramm aufgenommen. (Dabei wird nicht bemerkt, dass es sich um eine Anlehnung an Schultz-Henckes berühmtes Werk „Der gehemmte Mensch“ handelte.) Das kleine Büchlein „Psychologie des Rauchens“ (1974, zusammen mit Ulrich Bartmann) wird bis heute noch häufig gelesen und zeichnet sich unter anderem durch seine Auffassung aus, dass das Rauchen vor allem für disponierte Raucher schädlich sei, während es von nicht disponierten Rauchern gut toleriert werde. Sollten spätere Arbeiten (z.B. Hopkin et al., 1981) und das lange Leben des starken Rauchers Karl-Heinz Stäcker ihm unbeabsichtigt Recht geben? – Schließlich darf auch sein Buch „Frustration“ (1977) nicht unerwähnt bleiben, bis heute ein Klassiker, für den es bisher keine Weiterentwicklung gibt.
In allen seinen Arbeiten hat er stets um treffende Formulierungen gerungen, niemals hat er etwas herausgegeben, was seinem literarischen Anspruch nicht genügt hätte. Er war ein „Homme de lettre“, dem die sprachliche Kommunikation stets höchstes Anliegen war, wie schon in einem frühen Artikel im „Handbuch der Psychologie“ (Bd. 7/1, 1969, zusammen mit Theo Herrmann) deutlich wurde. Aber auch jenseits der Wissenschaft war er der Literatur verbunden: Er war ein Bildungsbürger im allerbesten Sinne des Wortes, der sich exzellent in der Literatur, aber auch in der Musik und in der Kunst auskannte. Jahrelang unterhielt er ein privates Literaturquiz mit Amateuren und Literaturwissenschaftlern, bei dem man Aufgaben der Art „Wer schrieb das Folgende über wen“ zu lösen hatte. Sein exzellentes Gedächtnis war ihm bei Vielem sehr von Nutzen: Längere Zitate aus dem Fahrplan der Deutschen Bundesbahn zeigten seinen Sinn für Skurriles und wurden von ihm mit einem selbstironischen Lächeln kommentiert. Dabei war er kein introvertierter Einzelgänger, man hatte auch beim Flippern oder beim Schachspielen gegen ihn kaum eine Chance.
Gegenüber seinen Mitarbeitern war er immer ein duldsamer, toleranter und fördernder Chef, der jeden in seiner Individualität aufmerksam wahrnahm. Auf sein Wort war Verlass und er bot für jeden Kollegen einen sicheren Raum, in dem man sich frei entwickeln konnte. Aus seinen Reihen sind mehrere Hochschullehrer, zahlreiche Psychotherapeuten und viele Menschen hervorgegangen, die sich der engagierten und auf das Schicksal des Einzelnen bezogenen psychologischen Arbeit verschrieben haben.
Es war ein Glück, diesem Menschen begegnet zu sein. Wir haben ihm viel zu verdanken.
Prof. Dr. med. Jürgen Neuser, Dipl.-Psych.
(Mainz) und Dr. phil. Ann Schaefer,
Dipl.-Psych. (Köln)
E-Mail: Info@psychoonkologie-alzey.de
Publication History
Article published online:
09 May 2023
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