Suchttherapie 2023; 24(03): 128-137
DOI: 10.1055/a-2078-0959
Schwerpunktthema

Digitale Kontrolle der Adhärenz für die Behandlung von Drogenmissbrauch

Digital Monitoring of Adherence for the Treatment of Drug Abuse
Kaarlo Simojoki
1   Universität Helsinki, Medizinische Fakultät
,
Manfred Nowak
2   Schwerpunktpraxis ADHS und Sucht, Landau
,
Stephan Pitten
3   Praxis für Psychotherapie, Köln
,
Klaus Baum
4   Trainingsinstitut Prof. Dr. Klaus Baum, Köln
› Author Affiliations
Finanzielle Unterstützung Die verwendete Applikation wurde von Ruma GmbH kostenlos für Studienzwecke zur Verfügung gestellt.

Zusammenfassung

Ziel der Studie Die Kontrolle der Adhärenz gehört unabdingbar zur Therapie drogenabhängiger Patient:innen. Die dazu meistgenutzte Matrix ist der Urin, bei deren Gewinnung bis vor kurzem die Sichtkontrolle beim Urinieren oder bei der Einnahme einer Urinmarkersubstanz notwendig war, um mögliche Manipulationen aufzudecken. In den letzten Jahren wurde ein telemedizinisches Verfahren entwickelt (Ruma Digital-System (Pro), Ruma GmbH, Deutschland), bei dem der/die Patient:in während einer zweiminütigen Smartphone-Videoaufzeichnung mit offline-Kontrolle eine Urinmarker-Substanz schluckt (Polyethylenglykole) und die nachfolgende Urinprobe selbstständig an das zuständige Labor verschickt. In der vorliegenden Beobachtungsstudie wurde überprüft, ob es eine Patientengruppe mit bestimmten Merkmalen ist, die das telemetrische Verfahren akzeptiert, inwieweit das Ruma Digital-System (Pro) für Interessierte auch nach mehrmaliger Nutzung als Kontrolle der Beigebrauchsfreiheit vorstellbar ist und welche Vor- und Nachteile aus dem telemetrischen Verfahren hervorgehen.

Methodik Die Gruppenzuordnung der Patient:innen erfolgte auf freiwilliger Basis. Insgesamt 133 Patient:innen (48 Frauen, 85 Männer) nahmen in einer Kontroll- (KG, n=65) und einer Interventionsgruppe (IG, n=68) teil. IG verwendete das Ruma Digital-System (Pro), bei KG wurden die Urinproben unter Sichtkontrolle genommen. Unmittelbar nach der ersten (TK1) und nach der 5. Urinkontrolle (8 bis 12 Wochen, TK5) wurde der psycho-sozial orientierte Fragebogen PARADISE 24 eingesetzt, in der Interventionsgruppe wurden zusätzlich Fragen zum Umgang und der Zufriedenheit mit dem Ruma-Digital-System (Pro) gestellt. Die Antworten dieser Fragen wurden in Quartilen der PARADISE 24 Ergebnisse zum Zeitpunkt TK5 differenziert.

Ergebnisse Die Patient:innen, die sich für das Ruma Digital-System (Pro) entschieden, waren überwiegend jünger, männlich und hatten geringere psycho-soziale Schwierigkeiten. Im beobachteten Zeitraum verstärkte sich die Akzeptanz für das telemedizinische Verfahren. In dieser Gruppe kam es zu folgenden Veränderungen: Die überwiegende Mehrheit der Patient:innen hatte ein verringertes Schamgefühl bei der Urinkontrolle, konnte ihren Alltag besser bewältigen und würde das Verfahren weiterempfehlen. Bei ca. zwei Drittel der Patient:innen kam es zu einer Zeitersparnis infolge des Wegfalls von Anreise- und Wartezeiten für die Kontrolle.

Schlussfolgerung Das telemedizinische Verfahren stärkt die Selbstwirksamkeit derjenigen Patient:innen, die das System akzeptieren. Es ist psychologisch gegenüber der Sichtkontrolle weniger belastend und kann auch im Falle einer pandemischen Lage für die Kontrolle der Therapietreue uneingeschränkt genutzt werden.

Abstract

Purpose Monitoring adherence is an essential part of the therapy of drug-dependent patients. The most commonly used matrix for this purpose is urine, which until recently required direct supervision when urinating or when ingesting a urine marker substance in order to detect possible manipulations. In recent years, a telemedical procedure has been developed (Ruma Digital-System (Pro), Ruma GmbH, Germany), in which the patient swallows a urine marker substance (polyethylene glycols) during a two minute smartphone video recording with offline verification and then sends the subsequent urine sample to the appropriate laboratory on their own accord. In the present observational study, it was examined whether it is a patient group with certain characteristics that accepts the telemetric method, to what extent the Ruma Digital System (Pro) can be imagined for those interested after repeated use, and what advantages and disadvantages result from the telemetric procedure.

Methods Assignment to two groups was executed on a voluntary basis. A total of 133 patients (48 women, 85 men) participated in a control group (CG, n=65) and an intervention group (IG, n=68). IG used Ruma Digital-System (Pro), in CG urine samples were collected under direct observation. Immediately after the first (TK1) and after the fifth urine testing (8 to 12 weeks, TK5) the psycho-socially oriented questionnaire PARADISE24 was applied with additional questions regarding handling of and content with Ruma Digital-System (Pro) for the intervention group. The answers to these questions were differentiated into quartiles of the PARADISE 24 results at time TK5.

Results Patients who entered IG were predominantly younger, male and had fewer psycho-social difficulties. In the observed period, acceptance of the procedure increased. The following changes occurred in this group: The majority of the patients had a reduced feeling of shame during the urine test, were able to cope better with their everyday life and would recommend the procedure to others. About two third of patients saved time as a result of the elimination of travel and waiting times for the tests.

Conclusion The telemedical procedure strengthens the self-efficacy of those patients who accept the system. It is psychologically less stressful than direct observation and can also be used without restrictions for adherence monitoring in the event of a pandemic situation.



Publication History

Article published online:
06 June 2023

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