Nervenheilkunde 2023; 42(08): 569-571
DOI: 10.1055/a-2083-8176
Gesellschaftsnachrichten

Kopfschmerz News der DMKG

Prolaktin und Oxytocin als mögliche neue Ansatzpunkte für die Migränebehandlung

*** Szewczyk AK, Ulutas S, Aktürk T, et al. Prolactin and oxytocin: potential targets for migraine treatment. J Headache Pain 2023; 24(1): 31. doi: 10.1186/s10194-023-01557-6

Hintergrund

Migräne tritt bei Frauen 2- bis 3-mal so häufig auf wie bei Männern. Zyklische Fluktuationen der Sexualhormone, insbesondere Östrogen und Progesteron, haben einen Einfluss auf die Migränepathophysiologie. Dennoch könnten das hypophysäre Hormon Prolaktin sowie das hypothalamische Hormon Oxytocin eine modulierende Funktion ausüben und zu geschlechtsabhängigen Unterschieden bei Migräne beitragen. In dieser narrativen Übersichtsarbeit wurde die mögliche Rolle von Prolaktin und Oxytocin bei Migräne beschrieben und kritisch diskutiert.


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Zusammenfassung

Prolaktin wird hauptsächlich im Hypophysenvorderlappen gebildet und führt zur Induktion und Erhalt der Milchproduktion während der Stillzeit. Neben dieser Funktion spielt Prolaktin jedoch eine pleiotrope Rolle in der Immunantwort, Verhaltensregulation, Wachstum und Stoffwechsel. Bei Schmerzerkrankungen und insbesondere bei Migräne scheint Prolaktin pronozizeptiv zu wirken. Prolaktinrezeptoren sind in schmerzrelevanten neuronalen Strukturen weit exprimiert. Im Tiermodell führt die durale Verabreichung von Prolaktin zu migräneartigen Verhaltensweisen, allerdings nur bei weiblichen Tieren. Am Menschen wurden erhöhte Prolaktinkonzentrationen bei Patienten mit Migräne nachgewiesen. Diese waren mit einer Chronifizierung der Erkrankung vergesellschaftet. Darüber hinaus können Menschen mit Prolaktinomen migräneartige Kopfschmerzen entwickeln, die sich unter Prolaktinsuppression bessern. Interessanterweise führen auch einige Migräne-Akutmittel, wie Paracetamol und Sumatriptan, zu einer Abnahme der Prolaktinkonzentrationen.

Oxytocin ist ein hypothalamisches Neuropeptid mit multiplen Funktionen, darunter Verhaltenssteuerung, Modulation des autonomen Nervensystems und des Immunsystems. Oxytocin hat einen antinozizeptiven Effekt, welcher bei Migräne relevant sein könnte. Kleinere Studien zeigten eine Besserung in einigen Migränesymptomen nach Gabe von nasalem Oxytocin. Eine weitere Open-label-Studie konnte eine prophylaktische Wirkung von Oxytocin bei Migräne nachweisen.

Zusammenfassend scheinen Prolaktin und Oxytocin auf entgegengesetzte Weise an der Nozizeption beteiligt zu sein. Prolaktin hat eine pronozizeptive Wirkung und könnte zur Migräneentstehung beitragen, während Oxytocin eine antinozizeptive Wirkung hat, die auch bei Migräne therapeutisch hilfreich sein könnte. Möglicherweise sind die Effekte dieser Hormone bei Frauen ausgeprägter als bei Männern, was zu den Geschlechtsunterschieden bei Migräne beitragen könnte.


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Kommentar

Geschlechtsunterschiede bei Migräne sind seit jeher bekannt, die genauen Mechanismen dahinter nach wie vor nicht vollständig erforscht. Während sich die meiste Forschung auf die gonadalen Steroidhormone fokussiert, befasst sich diese narrative Übersichtsarbeit mit 2 anderen Hormonen, Prolaktin und Oxytocin, die ebenfalls eine relevante modulierende Funktion in der Migränepathophysiologie haben könnten. Obwohl die Forschung begrenzt ist, bieten diese 2 Substanzen neue interessante Ansatzpunkte für die Migränetherapie. So könnten auf der einen Seite prolaktininhibierende Substanzen und auf der anderen Seite Oxytocin oder oxytocinähnliche Substanzen in der Migränebehandlung eingesetzt werden. Diese sind jedoch zunächst theoretische Überlegungen, deren Überprüfung noch weitere Studien benötigt. Zuletzt ist es bedeutsam zu erwähnen, dass diese Übersichtsarbeit Produkt einer internationalen Kooperation ist, die im Rahmen der School of Advanced Studies der European Headache Federation entstanden ist.

Bianca Raffaelli, Berlin/Kopenhagen


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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
02. August 2023

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