Ernährung & Medizin 2023; 38(03): 138-139
DOI: 10.1055/a-2100-0294
Spektrum

Leserbrief zum Beitrag „Vegan – Lösung oder Irrweg?“

Sehr geehrte Frau Dr. Wenzel,

mit Erstaunen las ich Ihren Artikel „Vegan – Lösung oder Irrweg?“ (in der Ausgabe 2/23 dieser Zeitschrift; Anm. d. Redaktion).

Die „Planetary Health Diet“ nach der Eat Lancet Commission beinhaltet durchaus eine vegane Ernährung, da die von Ihnen angegebenen Zahlen die maximale Menge an tierischen Produkten angeben. Ebenso wird eine tierfreie (vegane) Ernährung in der Planetary Health Diet beschrieben. Ihre Aussage hierzu ist irreführend.

Könnten Sie bitte die Quelle für den schlechten „footprint“ einer veganen Ernährung nennen? Zu beachten ist immer, dass auch omnivor lebende Menschen Gemüse und Obst aus Spanien konsumieren und daher Ihre Aussage (zudem ohne Quellenangabe) fragwürdig erscheint in Anbetracht des hohen Wasserbedarfs insbesondere bei der Rinderhaltung.

Der von Ihnen zitierte Erfahrungsbericht einer schlecht ernährten, ehemaligen Veganerin ist sehr populistisch! Gerne könnten Sie hier millionenfach Menschen mit einer omnivoren Ernährung zitieren – die Krankenhäuser sind voll davon!

Sicherlich gilt es auch in der veganen Ernährungform – so wie in der omnivoren –, eine vollbilanzierte, durchdachte Ernährung umzusetzen. Daher ist es wichtig, Menschen, welche sich vegan ernähren bzw. sich mit diesem Gedanken tragen, gut zu informieren und nicht mit Horrorszenarien abschrecken zu wollen.

Die von Ihnen beschriebenen fehlenden Mikronährstoffe sind ebenso in einer omnivoren und vegetarischen Ernährung anzutreffen bzw. in einer veganen, vollbilanzierten Ernährung gleichwertig teilweise besser(!) als in einer omnivoren Ernährung (s. Neufingerl N et al. Nutrients 2022; Alexy U et al. Nutrients 2020; Weikert C et al. Dtsch Ärztebl Int 2020; Lönnerdal B et al. Am Clin Nutr 2006; Weder S et al. Eur J Nutr 2022).

Zu Taurin ist folgendes anzumerken: Alle Tiere, also auch der Mensch, enthalten und benötigen Taurin im Körper. Im Stoffwechsel von Erwachsenen entsteht Taurin aus der Aminosäure Cystein, die unter Sauerstoff- und NAD+-Verbrauch in mehreren Zwischenschritten oxidiert wird. Ein zweiter Entstehungsweg ergibt sich beim Abbau von Coenzym A durch Decarboxylierung von Cysteamin. Eine Zufuhr durch Nahrungsmittel ist bei Erwachsenen nicht nötig.

Für Carnitin ist anzumerken: Der menschliche Körper kann L-Carnitin aus den Aminosäuren Methionin und Lysin selbst bilden.

Zu Coenzym Q 10 : Coenzym Q10 und andere Ubichinone sind in der Nahrung enthalten, wobei Fleisch und Geflügel, aber auch Hülsenfrüchte, Soja und Nüsse sowie pflanzliche Öle Coenzym Q10-Quellen darstellen.

Omega-3-Fettsäuren: Der Gehalt an EPA+DHA hat sich im Zeitraum 2006–2015 in Lachs um die Hälfte reduziert. Meist wird allerdings noch mit den „guten“ Werten gerechnet. Dies stellt eine verzerrte Wirklichkeit mit einer langfristigen Mangelernährung dar (Sprague M et al. Nature 2016). Hier stellt die Gabe von Algenöl eine messbare und ökologisch sinnvoll Alternative dar – auch in Anbetracht der Überfischung und dem Zustand der Weltmeere.

Ebenso ist es durchaus fragwürdig in einem wissenschaftlichen Artikel, eine populistische Rede zu zitieren, welche zudem noch falschen Inhalt darstellt, wie hier Landwirt Reinhard Jung zu Tofu aus Brasilien: Tofu wird aus nicht genmanipulierten Sojabohnen aus EU-Anbau (Polen, Österreich, Frankreich, aber auch geringe Mengen in Deutschland) hergestellt. Der vom Landwirt zitierte Sojaanbau aus Brasilien dient der Fütterung seiner Tiere! Daher steckt laut www.sojacoalitie.nl: „605 grams of soy is used to produce one kilo of chicken.336 grams for one kilogram of pork and 400 grams of soy for one kilogram of beef. An average of 36 grams of soy is needed for the production of 1 egg of 60 grams.“ Ebenso interessant ist hierzu die Analyse von www.ourworldindata.org: „Most of the soybeans are used to produce livestock feed for the production of meat, milk and eggs.“

Somit schlägt der Verzehr von Sojabohnen aus Brasilien bei einem omnivoren Menschen wesentlich höher ins (ökologisch zudem bedenkliche) Gewicht als der eines Veganers!

Zudem bin ich überrascht, dass Sie für die gesundheitliche Diskussion von Milchprodukten in diesem Artikel ebenso populistische Quellen nutzten (Irrweg vegan. WDR Markt 2022). Gerne können Sie hierfür ein wissenschaftliches Statement der US Dietary Guidelines (dietaryguidelines.gov. s. 42) zitieren, welches Sojamilchprodukte mit den tierischen Milchprodukten gleichsetzt.

Auch das Argument einer Unverträglichkeit ist längst überholt, da Milchprodukte ein wesentlich höheres Anaphylaxierisiko bei Kindern bergen als Sojaprodukte (Worm M et al., Allergol Select 2021: Soja 1%, Milchprodukte 13%).

Aber wirklich überrascht hat mich der letzte Abschnitt Ihres Artikels, indem Sie tatsächlich einen Gastronomiekritiker zitieren. Das Argument, hohe Kochkunst wäre nur mit tierischen Produkten möglich, scheint mir erneut sehr populistisch und zudem veraltet. Es gibt mittlerweile zahlreiche Sterneköche, welche eine exquisite vegane Küche anbieten.

Ich stimme Ihnen zu, dass eine vegane Ernährung (leider) immer noch sehr umstritten ist. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es heute allerdings einige Daten, welche aufzeigen, dass eine gut geplante vegane Ernährung ohne Mangel umzusetzen ist. Dies aufzuzeigen, sollte der Zweck eines Artikels sein. Menschen, die sich aufgrund ethisch-moralischer Gründe vegan ernähren möchten, werden sich durch Aussagen von Jungbauern und WDR-Sendungen nicht davon abhalten lassen.

Hier sollten wir in einer Zeitschrift für Ernährungsfachkräfte ansetzen: Fundierte, wissenschaftliche Daten zur Umsetzung einer gesunden, veganen Ernährung!

Mit freundlichen Grüßen

Susanne Baum



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Article published online:
26 September 2023

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