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DOI: 10.1055/a-2109-7704
„Der wichtigste Auftrag der Palliativmedizin ist, dass der Patient dort versterben sollte, wo er sterben möchte“
Studium der Humanmedizin an der Universität Bonn und der University of Manchester; Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin mit den Zusatzbezeichnungen Palliativmedizin, Schmerzmedizin, Sportmedizin; seit 1995 Hausarzt in eigener Praxis in Köln; seit 2012 Mitarbeit im Palliativteam SAPV Köln
DZO: Was hat sich aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren in der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung im Wesentlichen getan und wo sehen Sie Chancen für die Zukunft?
Die Zahl an SAPV-Teams nimmt nahezu täglich zu und es ist nun in den meisten Regionen in Deutschland möglich, dass schwerstkranke und sterbende Patienten – neben der Versorgung durch die Hausärztinnen und Hausärzte und anderer Strukturen – zu Hause gut versorgt sind. Dies weiter auszubauen, um mehr Menschen zu ermöglichen in der häuslichen Umgebung zu versterben, ist die große Chance.
Wichtig ist aber, dass sich hinter dem Begriff SAPV nicht nur eine besondere Abrechnungsmöglichkeit verbirgt, sondern durch sinnhafte Qualitätskontrollen und Strukturvorgaben eine wertvolle Ergänzung der bereits jetzt zur Verfügung stehenden Versorgungsebenen weiter ausgebaut wird. Hier liegt hoffentlich auch die große Chance, wenn der neue Bundesrahmenvertrag zur Palliativmedizin in den Landesverbänden umgesetzt wird.
DZO: Wie sieht in Köln konkret die ambulante Palliativversorgung aus? Gibt es zum Beispiel regelmäßige interdisziplinäre Besprechungen? Und welche Vernetzungen gibt es mit anderen Berufsgruppen?
In Köln sind wir hervorragend aufgestellt und vernetzt. Über das sehr lebendige Hospiz- und Palliativnetzwerk sind sowohl die niedergelassenen Ärzte als auch die Pflegedienste, die ehrenamtlichen Hospizvereine und die pflegerischen stationären Strukturen in enger Zusammenarbeit tätig. Die bestehenden SAPV-Teams sind seit Jahren in die Netzwerke eingebunden und freundschaftlich verbunden. Der Übergang von der Regelversorgung zu AAPV und SAPV gelingt in aller Regel gut.
Schwierig ist die Situation mit entsprechend qualifizierten Pflegediensten. Der Personalmangel führte dazu, dass einige Dienste im Bereich der AAPV eingestellt werden mussten, so dass hier eine Lücke klafft, wenn ich als Hausarzt einen speziell ausgebildeten Palliativ-Pflegedienst einbinden will.
Und manchmal ist es auch schwierig, als Hausarzt einen Platz im Hospiz für einen Patienten zu bekommen, wiewohl dies dann mit einigem Engagement irgendwie doch immer recht zeitnah gelingt.
DZO: Was steht Ihrer Ansicht nach im Vordergrund bei der ambulanten Palliativversorgung? Welche Wünsche werden von Seiten der Patienten und Angehörigen am häufigsten geäußert?
Das wichtigste ist die Sicherheit, im Notfall jemanden zu haben, der den Patienten kennt und dann mit fachlicher Expertise Entscheidungen treffen kann. Viele der Patienten sind auch so schwerkrank, dass dann zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Hausbesuch erfolgen kann bzw. muss. Dies können letztlich nur die Hausärzte leisten, die den Patienten ihre private Nummer geben, oder eben breit aufgestellte SAPV-Teams.
Notärzte und kassenärztlicher Notdienst sind als erste Ansprechpartner für diese Patienten und ihre Zugehörigen nicht geeignet. Denn im Notdienst bleibt dann leider häufig doch nur die Möglichkeit, den Patienten einzuweisen. Und wenn wir einen der wichtigsten Aufträge der Palliativmedizin ernst nehmen, nämlich dass der Patient dort versterben sollte, wo er sterben möchte, dann ist das keine aufrichtige Option.
DZO: Wie kann Ihrer Erfahrung nach die Begleitung für Sterbende in der letzten Lebensphase wertvoll und angstfrei gestaltet werden?
Eine große Studie aus Augsburg hat seinerzeit untersucht, was sehr wichtige Elemente einer SAPV-Betreuung sind. An vorderster Stelle steht das sogenannte Sicherheitsversprechen. Ich kann als Betroffener jederzeit Hilfe und Rat von spezialisierten Ärztinnen und Ärzten und Pflegefachkräften erhalten. Der zweite wichtige Aspekt ist die Symptomlinderung. Die Patienten melden sich bei Beschwerden, wie Schmerzen oder Luftnot und es kommt jemand, der genau weiß, wie viel Morphin und/oder Midazolam nun zu einer raschen Symptomlinderung führt.
DZO: Inwieweit erfolgt im Rahmen der ambulanten Palliativversorgung auch eine spirituelle Begleitung?
Die Spiritualität ist ein wesentliches Element der Palliativversorgung. Schon im „Total Pain“-Konzept von Cicely Saunders ist die Spiritualität ein gleichwertiger Aspekt, der neben physischen, psychischen und sozialen Einflussfaktoren zu würdigen ist.
In unserem Kölner SAPV-Team haben wir seit mehr als fünf Jahren zwei konfessionell ungebundene Diplom-Theologen mit einem Stellenumfang von 75% fest eingebunden. Die Finanzierung erfolgt teils aus Spenden und teils aus Eigenmitteln.
Die Bereicherung durch die spezialisierten Spiritual-Care-Mitarbeiter ist ungemein wichtig. Wir kämpfen an verschiedenen Stellen dafür, dass die konfessionsungebundene spirituelle Begleitung als „Regelversorgung“ innerhalb der Palliativversorgung implementiert wird.
DZO: Wie gehen Sie damit um, wenn ein Patient sein Lebensende selbst bestimmen möchte und ausdrücklich einen Freitod wünscht?
Im Rahmen der SAPV werden wir häufig mit Suizidwünschen konfrontiert. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahre 2022 und der Änderung der Musterberufsordnungen in allen Ärztekammern haben einige Patienten auch die Erwartung, dass wir als SAPV-Team sie beim assistierten Suizid unterstützen. Festzuhalten bleibt, dass dies ein verfassungsgemäß garantiertes Recht ist und wir uns mit solch einer an uns herangetragenen Bitte intensiv auseinandersetzen.
Auch wenn die Erfahrung zeigt, dass die Segnungen der Palliativmedizin doch in aller Regel dazu führen, dass der Todeswunsch durch die Linderung der Symptome und die umfassende Betreuung schwindet, werden einige wenige Patienten weiter den Wunsch in sich tragen, mit Assistenz aus dem Leben zu scheiden. Und in der Tat kann dieser Wunsch nach unserer Auffassung selbstbestimmt und frei getroffen worden sein. Wir verfahren dann so, dass wir im Rahmen eines umfangreichen Diskussions- und Betreuungsprozesses außerhalb der SAPV Hilfe anbieten können.
DZO: Der erkennbare Beginn des Sterbeprozesses bei einem Patienten ist eigentlich kein Grund für eine Krankenhauseinweisung. Dennoch sterben die meisten chronisch kranken Patienten immer noch in Krankenhäusern, die wenigsten zuhause oder in Hospizen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Es gibt hierfür eine Reihe von Gründen. Aus meiner Sicht gibt es zwei wesentliche: Der erste Grund ist der Glaube der Patienten an die Allmacht der Medizin. Manchmal auch getragen von der Erfahrung, dass dann, wenn eine Therapie in erster Linie nicht angeschlagen hat, ja auch noch die zweite, dritte oder vierte Therapielinie zur Verfügung steht.
Viele haben zudem die Hoffnung, dass ein Aufenthalt in der Klinik den Verlauf einer Erkrankung noch einmal zum Guten wenden kann. Häufig wird dies auch sehr gewünscht von den verzweifelten Angehörigen. Der nahende Tod kann nicht akzeptiert werden. Hier erleben wir es aber, dass auch Menschen, die möchten, dass alles technisch Mögliche auch gemacht wird, durch die vielen Gespräche und Beratungsangebote ihre Meinung ändern, wenn sie sich in die Obhut der Palliativmedizin begeben. Allerdings eben nicht alle.
Der zweite Grund ist der, dass die vorhandenen medizinischen Strukturen aus den verschiedensten Gründen die Netzwerke der Palliativmedizin zu spät einschalten.
Ich bin seit 28 Jahren als Hausarzt niedergelassen und ich habe am Anfang der Zeit – als es noch keine AAPV oder SAPV gab – so manchen Einsatz Tag und Nacht bei Sterbenden gehabt. Als es dann aber die SAPV gab, war ich froh, dass ich meine Patienten und deren Zugehörigen – nicht nur im Urlaub – in eine Struktur übergeben konnte, die meine Patienten gut versorgt und mich nicht ausgrenzt.
Wenn es mir ernst damit ist, dass ich eine gute Versorgung und das Sterben zu Hause ermöglichen möchte, muss ich als verantwortlicher Arzt 24 Stunden täglich erreichbar sein. Wie gesagt: auf den kassenärztlichen Notdienst bzw. den Notarzt zu verweisen ist für die Patienten keine faire Alternative. Natürlich wird der Patient durch diese Strukturen auch versorgt, aber das ist nicht das, was ich als Hausarzt will. Ich möchte, dass meine Patienten so leben und sterben, wie sie und ihre Familien es sich wünschen.
DZO: Die palliativmedizinische Versorgung stellt hohe Anforderungen an das betreuende Personal. Wie lässt sich hier ein „Burn-out“ am besten verhindern?
Es gibt viele Möglichkeiten, Resilienz zu stärken. Zunächst muss klar sein, dass man sich wirklich als Mensch in der Lage sieht, in diesem Bereich der Medizin, der tagtäglich mit Tod und Leiden zu tun hat, längerfristig zu arbeiten. Wenn die individuellen Voraussetzungen gegeben sind, dann geht es darum, Strukturen innerhalb meines Arbeitsbereiches zu schaffen, die sowohl Techniken vermitteln, mit den belastenden Situationen klarzukommen als auch den Raum zu geben, sich innerhalb eines Teams auszutauschen.
Zeit ist hier ein entscheidender Faktor. Ich brauche einfach in diesem weiten Feld der Versorgungen von Patienten, die zu Hause sterben, sowohl die Zeit, mich vor Ort auf die Situation einzulassen als auch die Möglichkeit, mich vor Beginn oder am Ende der Arbeit mit anderen auszutauschen.
Wenn hier die Rahmenbedingungen stimmen, dann kann ich Jahre in der Palliativversorgung arbeiten, ohne Angst vor einem Burn-out zu haben, welcher durch die Arbeitssituation getriggert wurde.
DZO: Was können Sie niedergelassenen Hausärzten raten, wie die palliativmedizinische Versorgung in der Praxis optimiert werden kann?
Es macht Sinn, sich entsprechend zu qualifizieren. Die Berechtigung, die Zusatzbezeichnung zu erwerben, erfolgt über Kurse im Umfang von 160 Stunden.
Und dann sollten wir Hausärzte die Patienten so lange wie möglich behandeln, dabei aber auch unsere Grenzen beachten. Unter Berücksichtigung des Aspektes der ständigen Verfügbarkeit, die dann doch für viele Palliativpatienten am Lebensende notwendig ist, muss ich Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit anderen Kollegen oder SAPV-Strukturen suchen.
Hierbei halte ich es für wesentlich, dass ich nur mit Strukturen zusammenarbeite, die mich so einbinden, wie ich das wünsche. Wenn ich mich 15 oder 20 Jahre um einen Patienten und seine Familie intensiv gekümmert habe, dann möchte ich auch am Lebensende in die Behandlung eingebunden sein.
Wenn ich all das umsetzen kann und die Familie sich am Ende bei mir dafür bedankt, dass ich es durch vorausschauende Planung ermöglicht habe, dass ihre Zugehörigen zu Hause versterben konnten, ist dies ein sehr befriedigender Aspekt hausärztlichen Wirkens.
DZO: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was tun Sie für sich, um gesund zu bleiben?
Es gibt ja hier keinen Königsweg. Für mich kann ich sagen, dass ich sehr von den Techniken profitiert habe, die ich als junger Arzt in den obligaten Psychosomatik-Kursen und den Balint-Gruppen erlernt habe und die es mir erlauben, in meiner Rolle als Palliativmediziner bei aller Empathie eine professionelle Distanz zu wahren. Dies gelingt dann auch sehr gut in dem SAPV-Team, in dem ich mitarbeite. Hier werden Patienten, die einem sehr nachgehen, gemeinsam besprochen, und man bekommt durch die vielen Diskussionen immer das Gefühl, das Bestmögliche für den Patienten getan zu haben.
Und das, was dann noch übrig bleibt, radele ich auf ausgedehnten Bike-Touren mit und ohne E-Bike weg.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
25. September 2023
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