Endo-Praxis 2023; 39(04): 158
DOI: 10.1055/a-2111-0166
Editorial

Die Appendix vermiformis – „Ist das nützlich oder kann das weg?“

Rainer Duchmann

Endoskopisch ist die Appendix vermiformis (Wurmfortsatz; umgangssprachlich nicht ganz korrekt als „Blinddarm“ bekannt) als kleine Ausstülpung am Zökalpol erkennbar. Sie ist uns insofern eine tägliche, gut vertraute Bekannte und dient neben dem Zökalpol selbst und der seitlich angrenzenden Ileozökalklappe als Landmarke in dieser Region.

Doch wozu dient das kleine Ding, was ist seine physiologische Funktion und welche Erkrankungen können von ihm ausgehen?

Die erste anatomische Erwähnung der Appendix vermiformis erfolgte durch Leonardo da Vinci im frühen 15. Jahrhundert. Spätere entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zeigten, dass die Appendix zusammen mit dem Zökum in der 8.–12. Gestationswoche als Teil des Mitteldarmes entsteht. Zunächst eine winzige Ausstülpung und vom Zökum anatomisch durch die Gerlach Klappe separiert, liegt sie meist intraperitoneal und erreicht beim Erwachsenen eine Größe von etwa 10 cm, bei großer interindividueller Variabilität.

Von Charles Darwin 1871 noch als nutzloses Überbleibsel aus vergangenen Zeiten mit anderen Nahrungsgewohnheiten angesehen, wissen wir heute, dass die Appendix bei Säugetieren vor mindestens 80 Millionen Jahren erstmals nachweisbar wurde und sich seither mehrmals, unabhängig von Nahrungsgewohnheiten sowie sozialen Strukturen und Größe des Zökums, zurückbildete und wieder entstand. Sie scheint demnach für irgend etwas anderes vorteilhaft, bzw. nützlich, zu sein.

Hinsichtlich der physiologischen Funktion ist ein Blick auf den feingeweblichen Aufbau und die Struktur hilfreich. Obwohl sich diese bei Appendix und Dickdarm grundsätzlich ähneln, unterscheiden sie sich hinsichtlich der dort vorhandenen Zelltypen und deren Funktion, was u.A. auch durch die besondere Ausbildung von Lymphfollikeln in der Appendix erkennbar wird. Diese Besonderheiten charakterisieren die Appendix als lymphatisches Gewebe mit immunregulatorischer Funktion und als Bestandteil des „gut-associated-lymphoid tissue“, GALT. Das lymphatische Gewebe im Darm entsteht in wechselseitiger Beeinflussung mit dem Inhalt des Darmlumens. Da die Appendix nicht an der Stuhlpassage teilnimmt, scheint vor allem der aufliegende mikrobielle Biofilm von Bedeutung. Aktuelle Theorien vermuten, dass Bakterien des intestinalen Mikrobioms, insbesondere nach Durchfallerkrankungen, den Darm aus dem Appendixreservoir neu besiedeln. Andererseits könnte eine Störung des Mikrobioms der Appendix entzündliche Erkrankungen triggern. Diese Funktion scheint vor allem in Regionen mit schlechten hygienischen Verhältnissen eine Rolle zu spielen, wogegen die Entfernung der Appendix in „entwickelten Ländern“ keine negativen Auswirkungen hat. Für die Entwicklung einer Colitis ulcerosa scheint die Appendektomie nach Appendizitis sogar protektiv zu sein.

Die Appendizitis ist die häufigste Erkrankung der Appendix. Seit der ersten Appendektomie in der zweiten Hälfte des 19. Jh. ist die Behandlung der Appendizitis eine Domäne der Chirurgie. Auf neuere Studien zur antibiotischen oder endoskopisch retrograden Therapie der Appendizitis (ERAT) hatte ich in meinem Editorial, Heft 3/2022, hingewiesen.

Neoplasien der Appendix sind selten. Karzinome treten bei ca. 1/100.000 Personen pro Jahr auf. Das klassische colonic-type Adenokarzinom präsentiert sich klinisch wie eine Appendizitis und wird daher in der Regel durch die Appendektomie identifiziert. Zudem gibt es verschiedene Formen von muzinösen Adenokarzinomen, oft mit einem schlechteren klinischen Verlauf. Sie werden meist als Zufallsbefund der Bildgebung oder im Rahmen eines Pseudomyxoma peritonei erkannt. In 3–5/1000 aller Appendektomien finden sich neuroendokrine Neoplasien. Sie sind meist hochdifferenziert und prognostisch günstig. Aggressive Varianten wie das gering differenzierte neuroendokrine Karzinom oder gemischte Tumore sind glücklicherweise seltener. Eine eigene Entität stellt das Becherzelladenokarzinom dar. Es enthält Anteile eines epithelialen und eines endokrinen Tumors mit Becherzellen. Primäre Lymphome der Appendix (1–3% aller GI-Lymphome) sind ebenfalls sehr selten.

Auch der Appendix sollten wir bei der Endoskopie also durchaus einen respektvollen Blick zukommen lassen.

Herzliche Grüße

Ihr Rainer Duchmann



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Article published online:
06 December 2023

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