Geburtshilfe Frauenheilkd 2023; 83(09): 1075-1080
DOI: 10.1055/a-2112-5765
GebFra Magazin
Geschichte der Gynäkologie

Nach den Schlachten um Stalingrad und am Kursker Bogen: Josif F. Zhordania und die Gründung der Militärgynäkologie 1942–1943 in der sowjetischen Armee

Andreas D. Ebert
,
Matthias Uhl

Als sich die Rote Armee nach den verlustreichen Schlachten gegen die deutsche Wehrmacht vor Moskau (1941), in Stalingrad (1942/43) und am Kursker Bogen (1943) bereits auf dem Vormarsch nach Westen befand, gab am 18. November 1943 der Chefgynäkologe der Roten Armee und Oberst des Medizinischen Dienstes, Prof. Dr. med. J. F. Zhordania ([Abb. 1]) [1] [2] [3], ein heute unscheinbares Heft in Druck. Der etwas sperrige Titel der Schrift lautete „Anleitung zur Organisation der gynäkologischen therapeutisch-prophylaktischen Hilfe für Frauen, die in der Roten Armee dienen“. [4]. Dieses Dokument und Zhordanias Nachkriegspublikation über die „Gynäkologie der Kriegszeit“ [5] sind die „Geburtsurkunden“ der Militärgynäkologie, einer neuen Subdisziplin der modernen Militärmedizin.

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Abb. 1 Josif F. Zhordania (1895–1962) als Oberst des Medizinischen Dienstes der Roten Armee (mit Dank an seinen Sohn Prof. Dr. med. K. J. Zhordania, Moskau).

Josif Fedorovich Zhordania wurde am 15. Mai 1895 in Tiflis (Georgien) geboren. Von 1918 bis 1925 diente er in der Roten Armee, besuchte 1915–1923 die offiziell 1798 von Zar Paul I. (1754–1801) gegründete Militärmedizinische Akademie (MMA) in St. Petersburg [6] und trat dann 1924 als Assistenzarzt in die dortige Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe der MMA unter dem Direktorat von Prof. Dimitrius I. Schirschov (1868–1931) ein [1] [2] [3]. 1927 bis 1931 wirkte Zhordania hier als Dozent [1]. 1931 ging er als Oberassistent an das 1. Leningrader Medizinische „Pavlov“ Institut (zu Zarenzeiten St. Petersburger Medizinisches Institut für Frauen, heute St. Petersburger Staatliche Medizinische „Pavlov“-Universität) [2]. Nach seiner Habilitation über „den Einfluss hypophysär-ovarieller Hormone auf die uterine Kontraktilität von Tieren in verschiedenen Phasen des Zyklus und der Schwangerschaft“ (1937) wurde er 1939 zum Leiter des Lehrstuhls für Gynäkologie und Geburtshilfe der in Kuibyshew (vor 1935 und nach 1990 Samara) neu geschaffenen Militärmedizinischen Akademie der Roten Armee gewählt [1] [2] [3]. Unmittelbar nach Beginn des deutschen Angriffes 1941 auf die Sowjetunion trat Zhordania wieder in die Rote Armee ein [7]. Von 1942 bis zum Sommer 1947 diente er als Chefgynäkologe der sowjetischen Streitkräfte. In dieser Funktion und aufgrund seiner profunden endokrinologisch-gynäkologischen Kenntnisse wurde er auch zum Gutachter über die wissenschaftlichen Arbeiten Carl Claubergs (1898–1957) bestellt, der sich nach seinen verbrecherischen Sterilisationsexperimenten im Konzentrationslager Auschwitz bis 1955 in sowjetischen Kriegsgefangenenlagern befand [8]., Nach dem Großen Vaterländischen Krieg (1941–1945) und seiner 1947 erfolgten Demobilisierung leitete Zhordania renommierte Kliniken in Moskau und Tiflis (Georgien) und war auch Chefgynäkologe des Gesundheitswesens der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) [1] [2] [9] [10]. Hochdekoriert [11], wissenschaftlich sehr produktiv [12] [13] [14] [15] und international extrem gut vernetzt (so war er u. a. FIGO-Präsidiumsmitglied), starb Josif F. Zhordania am 12. August 1962 tragisch auf dem Rückflug von einer Kongressreise in Brasilien bei einem Flugzeugabsturz [9] [10]. Das National Center for Reproductive Medicine in Tiflis trägt heute noch seinen Namen [16].



Publication History

Article published online:
12 September 2023

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