Nervenheilkunde 2024; 43(01/02): 32-40
DOI: 10.1055/a-2115-7748
Schwerpunkt

Eingriffe in einen gesunden Körper

Medizinethische Überlegungen zur Differenzierung der Body Integrity Dysphoria und der GeschlechtsinkongruenzInterventions in a healthy bodyMedical-ethical considerations in differentiating body integrity dysphoria and gender incongruence
Laura Lalee
1   Institut für Psychologie, Humboldt-Universität zu Berlin
,
Rasoul Lalee
2   Praxisklinik Dresden
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ZUSAMMENFASSUNG

Operative Eingriffe, um den Körper seinem inneren Empfinden anzugleichen, sind keine Seltenheit mehr. Geschlechtsangleichende Maßnahmen sind medizinischer Alltag geworden. Jedoch gilt das nicht für jede Form der Körpermodifikation. Die Body Integrity Dysphoria (BID) ist ein wenig erforschtes Phänomen, bei dem die Betroffenen das Verlangen nach einer Behinderung verspüren. Oftmals äußert sich diese Störung durch den Wunsch nach einer fehlenden Extremität. Bisweilen gelten Amputationen, ohne eine konventionelle medizinische Indikation, als rechtswidrig. Im Rahmen einer Literaturrecherche wurden Argumente zusammengetragen, welche für bzw. gegen eine Legalisierung von Amputationen bei BID-Betroffenen sprechen. Im Zuge dessen wurde, unter Berücksichtigung medizinethischer Prinzipien, ein theoretischer Vergleich zur Geschlechtsinkongruenz gezogen.

Als zentrales Argument zugunsten einer Legalisierung wurde die Linderung des Leidensdrucks und dadurch die Verhinderung selbstdurchgeführter, lebensgefährlicher Amputationen aufgeführt. Weiterhin wurde der Vergleich zur Geschlechtsinkongruenz gezogen und im Sinne der Gleichbehandlung verschiedener Patientengruppen ebenfalls für eine Legalisierung argumentiert. Entgegengesetzt wurde verdeutlicht, dass geschlechtsangleichende Maßnahmen, im Gegensatz zu Wunschamputationen, keine Behinderung erzeugen. Zudem wurde festgestellt, dass ein solch schwerwiegender Eingriff nicht lediglich aus der Tatsache heraus legalisiert werden sollte, dass andere gesundheitsschädigende Operationen etabliert sind. Letztlich ist die BID noch zu unerforscht, um fest für eine Legalisierung von Wunschamputationen sprechen zu können.

ABSTRACT

Surgical interventions to align the body with its inner sensation are no longer a rarity. Gender reassignment procedures have become part of everyday medical life. However, this does not apply to every form of body modification. Body Integrity Dysphoria (BID) is a little-researched phenomenon in which those affected feel the need for a disability. Often, this disorder is manifested by a desire for a missing limb. At times, amputations, without a conventional medical indication, are considered illegal. In the course of a literature review, arguments were collected that speak for and against a legalization of amputations for BID sufferers. In the course of this, a theoretical comparison to gender incongruence was drawn, taking into account principles of medical ethics.

The central argument in favor of legalization was the alleviation of suffering and thus the prevention of self-performed, life-threatening amputations. Furthermore, a comparison was drawn with gender incongruence and, in the sense of equal treatment of different patient groups, arguments were also made in favor of legalization. In contrast, it was clarified that gender reassignment procedures, in contrast to elective amputations, do not create a disability. In addition, it was noted that such a serious procedure should not be legalized merely because other health-damaging surgeries are established. Ultimately, BID is still unexplored to speak firmly for legalizing elective amputations.



Publication History

Article published online:
19 February 2024

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