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DOI: 10.1055/a-2124-0037
Realsatire
Vor Kurzem sah ich in der Wochenzeitung „Die Zeit“ ein Tortendiagramm zum Thema „Digitalisierung in Deutschland“. Sehr überzeugend wurde die Hypothese dargestellt, dass Deutsche in der Nutzung digitaler Inhalte immer noch sehr häufig darauf zurückgreifen, diese auszudrucken…
Früh im Jahr 2023 wurde uns Ärzten vermittelt, dass zum Jahreswechsel 2024 das E-Rezept Pflicht werde. Unser Klinikum bereitete sich vor: Ich selbst forderte meine ärztlichen Kolleg*innen auf, ihren bisher nicht nutzbaren elektronischen Heilberufsausweis, kurz eHBA genannt, wo auch immer zu suchen und nun aber dringend zu aktivieren. Vorangegangen war eine schon Jahre zurückliegende Diskussion in der Klinikleitung, ob der Arbeitgeber Kolleg*innen für etwas unter Druck setzen solle, dessen Effekt auf das tägliche Arbeiten erst in weit entfernter Zukunft erfahren werden könne. Auch jetzt erntete ich nach meinen eindringlichen Ermahnungen müdes Grinsen, und das Selbstwirksamkeitserleben in meiner Leitungsfunktion sank innerhalb weniger Minuten wieder einmal drastisch.
Einige Kollegen fischten die notwendigen PINs und PUKs noch kurz vor der Müllabfuhr aus dem häuslichen Papierkorb, andere waren tagelang mit der Durchsicht von Schubladen und Kartons befasst. Es kam auch der größte anzunehmende Unfall vor: Ausweis nicht auffindbar, Brief mit PINs und PUKs entsorgt. Konsequenz: neue Beantragung…
Am 02.01.2024 haben wir trotzdem begonnen, mit dem eHBA E-Rezepte in unserer Institutsambulanz zu erstellen: Patient*innen und wir waren gleichermaßen kindlich gefesselt vom Rauschen des Geräts, das sehr lautmalerisch den Vorgang des Abschickens unterstrich. Und wir waren glücklich wie 4-Jährige, die sich über ein brummendes Auto freuen, wenn diese Patient*innen nur eine halbe Stunde später nach dem Apothekenbesuch anriefen und telefonisch mit uns teilen wollten, dass „es“ geklappt habe. Von einem meiner Supervisoren hatte ich vor Jahrzehnten einmal nach einer gelungenen Intervention die folgende Frage mitgenommen: „Und – seid Ihr beeindruckt?“ Genau so war es auch jetzt: Wir waren gemeinsam schwer beeindruckt!
Am 12.01.2024 erreichte mich dann folgende verstörende Nachricht: Es gäbe in einigen Ambulanzen doch eine Menge Probleme; grundsätzlich sei die Pflicht zum E-Rezept daher zum 01.01.2025 hin verschoben. Eine lösungsorientierte Mitarbeiterin hatte daraufhin eine bahnbrechende Idee: Bei großen Schwierigkeiten könne man das E-Rezept ja ausdrucken und der Apotheke als Fax zukommen lassen…
Bettina Wilms, Querfurt
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
05. März 2024
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