Aktuelle Dermatologie 2024; 50(12): 572-580
DOI: 10.1055/a-2134-4784
Übersicht

Fisch-, Krebs- und Weichtier-Allergie

Fish, crustacean and mollusc allergy
Axel Trautmann
1   Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Uniklinikum Würzburg, Würzburg, Deutschland
,
Jörg Kleine-Tebbe
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Fisch-Allergie

Fische (lat. pisces), im Wasser lebende Wirbeltiere (Vertebrata oder auch Chordata/Chordatiere) mit Kiemen und Kiefern (Kiefermäuler), werden in zwei große Gruppen unterteilt, dabei stellen die fast ausschließlich in den Meeren vorkommenden Knorpelfische (Chondrichthyes: Haie und Rochen) nur ca. 4% aller Fischarten. In der Systematik der Knochenfische (Osteichthyes), der artenreichsten Wirbeltierklasse, werden wiederum anhand des anatomischen Aufbaus der Flossen die Fleischflosser (Sarcopterygii) mit nur noch sehr wenigen Arten, von den Strahlenflossern (Actinopterygii) abgegrenzt, die ca. 96% der heute lebenden Fischarten ausmachen.

Zum Verzehr geeignete Fische werden als Speisefische ([Abb. 1]) bezeichnet, in Deutschland haben Salzwasserfische (Seefische, Meerfische) mit ca. 60–70% den größeren Marktanteil, die Süßwasserfische kommen auf ca. 30–40%; einzelne Gattungen können sich im Lauf ihrer Entwicklung in beiden Lebensräumen aufhalten, z.B. Lachse oder Aale. Speisefische werden in Deutschland mit einem Anteil von ca. 30% am häufigsten als Fischkonserve (Dosenfisch) oder eingelegter Fisch (z.B. Bismarckhering oder Rollmops) verzehrt, gefolgt von ca. 25% Tiefkühlfisch (Filet oder Fischstäbchen); Frischfisch und Räucherfisch machen zusammen ca. 20% aus. Vier Fischgattungen werden mit jeweils ca. 20% am häufigsten angeboten und verzehrt: der zu den Dorschartigen gehörende, in der Küchensprache Seelachs genannte Fisch (hinter dem sich meist der Pazifische Pollack/Gadus, seltener auch der Kohlfisch/Pollachius verbirgt), Lachse und Forellen (Salmo, Oncorhynchus), Thunfisch (Thunnus) und Hering (Clupea); Kabeljau (Gadus), Makrele (Rastrelliger, Scomber) und Rotbarsch (Sebastes) liegen zusammen bei ca. 5%. Frischfisch ist nur sehr begrenzt lagerfähig, der gemeinhin als typisch empfundene, eher unangenehme Fischgeruch deutet auf bereits beginnende Verderbnis hin, aufgrund zu langer Lagerung und/oder zu hoher Lagertemperatur.

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Abb. 1 Frische Speisefische (Quelle: © K. Oborny/Thieme).

Beileibe nicht jede Unverträglichkeitsreaktion nach Verzehr von Fisch beruht auf einer Allergie. Gerade bei diesem Lebensmittel sind unterschiedliche, meist nur leichte, selten auch stärkere Vergiftungserscheinungen nicht selten, einige haben angesichts einer gewissen Häufigkeit eine eigene Bezeichnung erhalten, wie Scombrotoxismus, Barbencholera oder auch Ciguatera-Intoxikation. Fettreiche Fische sind schwer verdaulich und eine empfindliche Person kann auf eine größere Menge mit Übelkeit und Bauchschmerzen bis hin zu Erbrechen und Durchfall reagieren. In zu lange gelagertem Fisch vermehren sich schnell Toxin bildende Bakterien, kranke Fische können ebenfalls giftig wirkende Substanzen enthalten.

Die Fisch-Allergie hat mit dem Prausnitz-Küstner-Versuch Eingang in die Medizingeschichte gefunden. 1921 veröffentlichten Prausnitz und Küstner ihren Selbstversuch, bei dem sie die Fisch-Sensibilisierung von Heinz Küstner durch intrakutane Injektion seines Serums auf die Haut von Carl Prausnitz übertrugen (C. Prausnitz und H. Küstner. Studien über die Überempfindlichkeit. Zbl. Bakt. 1921 [86]: 160). Das Ergebnis dieses Versuchs belegt ein sensibilisierend wirkendes Molekül im Serum, das durch Injektion übertragen werden kann und zunächst als Reagin bezeichnet wurde. Die dafür verantwortliche Antikörperklasse, das IgE, wurde erst ca. 50 Jahre später entdeckt.

  • Im Sprachgebrauch des Allergologen ist mit dem Begriff Fisch eine Gattung oder Art aus der Wirbeltierklasse der Knochenfische (Osteichthyes) gemeint. Die phylogenetische Systematik und die Zuordnung einzelner Speisefisch-Gattungen zu Fisch-Familien und Fisch-Ordnungen, die in der Taxonomie über der Familie und unter der Klasse stehen, hat für den Allergologen bisher keine praktische Bedeutung.

  • Als Übersicht über die wichtigsten Fischarten scheint den Autoren die eher ins Einzelne gehende Einteilung in Familien weniger geeignet, stattdessen sollen sie an dieser Stelle unter einer Fisch-Ordnung (Endung: -formes) zusammengefasst werden – im Bewusstsein, dass die Zugehörigkeit einzelner Fischarten zu einer bestimmten Ordnung einem ständigen Wandel unterliegt und laufend an neue Forschungsergebnisse angepasst werden muss (s. z.B. Eschmeyerʼs Catalog of Fishes: https://www.calacademy.org).

    • Dorsch-ähnliche Fische (Gadiformes): Seelachs (Pazifischer Pollack/Gadus, Kohlfisch/Pollachius), Kabeljau oder Dorsch (Gadus), Seehecht (Merluccius), Hoki/Blauer Seehecht (Macruronus), Schellfisch (Melanogrammus)

    • Lachs-ähnliche Fische (Salmoniformes): Lachse und Forellen (Salmo, Oncorhynchus), Saiblinge (Salvelinus)

    • Herings-ähnliche Fische (Clupeiformes): Hering (Clupea), Sardine (Sardinops, Sardina)

    • Barsch-ähnliche Fische (Perciformes): Thunfisch (Thunnus), Makrele (Rastrelliger, Scomber), Rotbarsch (Sebastes), Zander (Sander), Schwertfisch (Xiphias), Barramundi (Lates)

    • Karpfen-ähnliche Fische (Cypriniformes): Karpfen (Cyprinus)

    • Wels-ähnliche Fische (Siluriformes): Pangasius (Pangasianodon), Flusswels/Waller (Silurius)

    • Plattfische (Pleuronectiformes): Scholle/Goldbutt (Pleuronectes), Heilbutt (Hippoglossus), Seezunge (Solea)

    • Doktorfisch-ähnliche Fische (Acanthuriformes): Dorade (Sparus)

    • Aal-ähnliche Fische (Anguilliformes): Flussaal (Anguilla)

  • Fisch gilt sowohl für Kinder als auch im Erwachsenenalter als bedeutsames Nahrungsmittelallergen und ist nicht selten Auslöser einer stärker ausgeprägten Anaphylaxie.

    • Voraussetzung für eine Sensibilisierung und ggf. Allergie auf Fische ist selbstverständlich ein gewisser Kontakt, in Gegenden mit hohem Fischkonsum und/oder fischverarbeitender Industrie wurde über eine Prävalenz von bis zu 3% der Gesamtbevölkerung berichtet.

    • Die in einer bestimmten Gegend häufiger mit einer allergischen Reaktion in Zusammenhang gebrachten Fischarten widerspiegeln in erster Linie die regionalen Essgewohnheiten. Einzelallergene wurden v.a. in Arten beschrieben, die verbreitet als Speisefisch verzehrt werden, wie z.B. Gadus morhua (Atlantischer Kabeljau), Salmo salar (Atlantischer Lachs), Thunnus albacares (Thunfisch), Oncorhynchus mykiss (Regenbogenforelle) oder Cyprinus carpio (Karpfen).

  • Eine Sensibilisierung gegen Fisch direkt über die Schleimhäute des Magen-Darm-Trakts ist grundsätzlich denkbar, erscheint aber aufgrund des zuverlässigen Mechanismus der intestinalen Immuntoleranz eher unwahrscheinlich. Vielmehr ist im Rahmen der Zubereitung von Fisch im privaten Haushalt und erst recht in der fischverarbeitenden Industrie eine Sensibilisierung über die Haut oder die Atemwege denkbar, besonders, wenn die epitheliale Barriere durch ein (atopisches oder irritatives) Handekzem oder eine Entzündung der Atemwegschleimhäute, eine chronische Rhinosinusitis oder ein Asthma, beeinträchtigt sein sollte.

  • Mindestens 70% (nach einigen Untersuchungen bis zu 95%) der Fischallergiker weisen eine Sensibilisierung gegen das Markerallergen der Knochenfische auf, die Parvalbumine, z.B. das Gad c 1 vom Baltischen Kabeljau (Gadus callarias) ([Tab. 1]).

    • Die Aminosäuresequenz der ca. 10–12 kDa schweren Parvalbumine bildet drei sog. EF-Handmotive aus (Helix-Schleife-Helix), die erst nach Bindung von Kalzium in die Lage versetzt werden, den Kontakt mit Motorproteinen herzustellen. Zur Proteinfamilie mit EF-Handmotiv gehören u.a. auch Troponin C und Calmodulin, die wie das Parvalbumin nach Bindung von Kalzium in Muskelzellen denn ersten Schritt der Muskelkontraktion in Gang setzen, die Bindung des Motorproteins Myosin an Aktinfasern. Proteine mit EF-Handmotiv sind für die Funktion von Muskelfasern unverzichtbar und finden sich in unterschiedlicher Menge im Muskelgewebe aller Wirbeltiere.

    • Die Parvalbumine sind als eher gedrungene Proteine ziemlich unempfindlich gegen die Einwirkung von Proteasen und Hitze, durch Kochen, Braten, Räuchern oder Marinieren (in Salzlake einlegen) kann die Bindung von Parvalbumin-spezifischem IgE nur um durchschnittlich 20% (bis zu maximal 60%) verringert werden.

    • Die Sekundär-/Tertiärstruktur der Parvalbumine verschiedener Fische ist sehr ähnlich (= hoch konserviert = in der Evolution über sehr lange Zeiträume und selbst im Verlauf der Ausbildung verschiedener Gattungen nur geringe Änderung der Aminosäuresequenz), was bei einer Sensibilisierung gegen Parvalbumin die hohe Wahrscheinlichkeit einer breiten Kreuzreaktion erklärt, mit allergischer Reaktion auf (fast) alle Fischgattungen.

  • Das eher weißlich gefärbte Muskelfleisch vieler Fische kann sich besonders schnell zusammenziehen und enthält mehr Parvalbumin als dunklere (rote) Muskulatur. Die Verteilung der Muskeltypen und damit der Gehalt an Parvalbumin fällt in verschiedenen Fischarten recht unterschiedlich aus. Das Fleisch des Herings (Clupea harengus) enthält mit 4–6 mg Clu h 1/g ca. 10-mal mehr Parvalbumin als das der Makrele (0,3–0,7 mg/g Ras k 1/Rastrelliger kanagurta oder Sco s 1/Scomber scombrus). Der rotfleischige Thunfisch (Thunnus albacares) enthält mit ca. 0,1 mg/g Thu a 1 ziemlich wenig, sodass ein Fischallergiker mit einer vorherrschenden, aber vergleichsweise gering ausgeprägten Sensibilisierung gegen Parvalbumin, Thunfisch vertragen kann. Andere Fischarten liegen im Mittelfeld dieses Spektrums an unterschiedlichem Parvalbumingehalt.

    • Kabeljau (Gad c 1/Gadus callarias und Gad m 1/Gadus morhua): 1,5–2,5 mg/g

    • Atlantiklachs (Sal s 1/Salmo salar): 2–2,5 mg/g

    • Regenbogenforelle (Onc m 1/Oncorhynchus mykiss): 2–2,5 mg/g

    • Rotbarsch (Seb m 1/Sebastes marinus): 2–3 mg/g

    • Karpfen (Cyp c 1/Cyprinus carpio): 2,5–5 mg/g

    • Parvalbumine wurden auch als Allergene im Krokodilfleisch beschrieben, das Cro p 1 und das Cro p 2 im Leisten- oder Salzwasserkrokodil (Crocodylus porosus).

  • Bis zu 30% aller Fischallergiker sind weniger bis gar nicht gegen Parvalbumin, sondern v.a. oder sogar ausschließlich gegen andere Allergene sensibilisiert ([Tab. 1]). Bei einer Fisch-Allergie ohne IgE gegen ein Parvalbumin kommen v.a. die beiden Enzyme Enolase und Aldolase als ursächliche Allergene infrage. Das Enzym Aldolase (Fruktose-1,6-bisphosphat-Aldolase) wird am Anfang des Abbaus von Glukose benötigt, die Enolase (Phosphopyruvat-Hydratase) dagegen für einen der letzten Glykolyseschritte vor dem Endprodukt, dem Pyruvat (Anion der Brenztraubensäure).

    • Insgesamt sollen 60–70% der Fischallergiker gegen eine Enolase, ca. 50% gegen eine Aldolase sensibilisiert sein, Beispiele sind Gad m 2 und Gad m 3 vom Kabeljau (Gadus morhua), Thu a 2 und Thu a 3 vom Thunfisch (Thunnus albacares), Sal s 2 und Sal s 3 vom Lachs (Salmo salar) sowie Pan h 2 und Pan h 3 vom Pangasius (Pangasianodon hypophthalmus). Diese Allergene können wie die Parvalbumine für eine breite Kreuzreaktion zwischen verschiedenen Fischgattungen verantwortlich sein, sind aber verglichen mit den Parvalbuminen deutlich empfindlicher gegenüber Proteasen und Hitzeeinwirkung.

    • Eine Sensibilisierung gegen in Fischen vorkommende Tropomyosine, z.B. das Sal s 4 im Lachs (Salmo salar), die wie Parvalbumine in Muskelzellen die Bindung von Myosin an Aktinfasern vermitteln, scheint für die Fisch-Allergie von untergeordneter Bedeutung zu sein.

    • Das Vitellogenin, Bestandteil des Fischeidotters, wurde für die in Einzelfällen beobachtete Allergie auf Rogen (Eier weiblicher Fische) verantwortlich gemacht. Das Vitellogenin Onc k 5 vom Ketalachs oder Pazifischen Lachs (Oncorhynchus keta) wird als Markerallergen des roten Kaviars angesehen.

Tab. 1 Einzelallergene in Fischen (Auswahl).

deutscher Name (alphabetisch)

zoologischer Name

Einzelallergene (Allergenfamilie)

Ordnung

Forelle (Regenbogenforelle)

Oncorhynchus mykiss

Onc m 1 (Parvalbumin)

Salmoniformes

Hering

Clupea harengus

Clu h 1 (Parvalbumin)

Clupeiformes

Kabeljau

Gadus morhua (Atlantischer Kabeljau), Gadus callarias (Baltischer Kabeljau)

Gad m 1 (Parvalbumin), Gad m 2 (Enolase), Gad m 3 (Aldolase), Gad c 1 (Parvalbumin)

Gadiformes

Karpfen

Cyprinus carpio

Cyp c 1 (Parvabumin)

Cypriniformes

Lachs (Atlantischer)

Salmo salar

Sal s 1 (Parvalbumin), Sal s 2 (Enolase), Sal s 3 (Aldolase), Sal s 4 (Tropomyosin)

Salmoniformes

Makrele

Scomber scombrus (Atlantische Makrele), Rastrelliger kanagurta (Indische Makrele)

Sco s 1 (Parvalbumin), Ras k 1 (Parvalbumin)

Perciformes

Pangasius

Pangasianodon hypophthalmus

Pan h 1 (Parvalbumin), Pan h 2 (Enolase), Pan h 3 (Aldolase)

Siluriformes

Rotbarsch

Sebastes marinus

Seb m 1 (Parvalbumin)

Perciformes

Sardine (Pazifische)

Sardinops sagax

Sar sa 1 (Parvalbumin)

Clupeiformes

Thunfisch

Thunnus albacares

Thu a 1 (Parvalbumin), Thu a 2 (Enolase), Thu a 3 (Aldolase)

Perciformes

Schwertfisch

Xiphias gladius

Xip g 1 (Parvalbumin)

Perciformes

Allergische Reaktion

Eine allergische Reaktion auf Fisch entwickelt sich schnell, üblicherweise innerhalb von wenigen (1–10) Minuten nach Beginn des Verzehrs. Die Symptomatik kann sich über das gesamthaft mögliche Spektrum der Anaphylaxie erstrecken, das von der Urtikaria über Blutdruckabfall mit Tachykardie und Schwindel bis zum Vollbild eines anaphylaktischen Schocks reicht.

  • Das Ausmaß einer Anaphylaxie hängt, eine durchschnittliche Sensibilisierung vorausgesetzt, in erster Linie von der aufgenommenen Allergenmenge ab. In der Krankengeschichte wird nach offensichtlichem Verzehr von Speisefisch meist eine stärkere Reaktion, nicht selten eine schwere Anaphylaxie berichtet. Beim stärker sensibilisierten Fischallergiker kann selbst eine geringe Menge an Fischprotein, z.B. ein unbeabsichtigter Kontakt über Küchengerätschaften (Schüssel, Pfanne, Besteck), oberhalb der Schwellendosis liegen; die allergische Reaktion wird nach einem derartigen, indirekten Kontakt aber vergleichsweise leicht ausfallen.

  • Nach Hautkontakt mit Fisch, z.B. im Rahmen der Zubereitung, kann beim sensibilisierten Patienten innerhalb von Minuten eine Kontakturtikaria an den Händen, nach Belastung der Atemluft, z.B. Fischdunst im Umfeld von Braten oder Kochen, eine Niesattacke zusammen mit Husten und Engegefühl im Brustbereich bis hin zur Kurzatmigkeit (Bronchospasmus) auftreten. Diese beiden Formen einer Sofortreaktion beschränken sich in aller Regel als Kontakturikaria auf die Haut bzw. als Niesattacke und Bronchospasmus auf die Atemwege, können bei besonders starker Sensibilisierung und längerem sowie großflächigem Hautkontakt bzw. beißendem Fischdunst im Einzelfall bis zu einer systemischen Anaphylaxie fortschreiten.

  • Eine auf den Bereich von Mund und Rachen begrenzte Reaktion auf Fisch im Sinn eines oralen Allergiesyndroms ist möglich, aber eher selten. Entweder gleich zu Beginn des Kauens oder aber spätestens innerhalb von wenigen (1–3) Minuten kann es durch gut in Wasser lösliche Allergene zu einer Art Kribbeln (Prickeln, Bitzeln) an der Schleimhaut von Lippen und Mundhöhle kommen, ein leichtes Ödem an Lippe, Zunge und Mundschleimhaut ist ebenfalls möglich. Ein solches, orales Allergiesyndrom bessert sich von selbst und klingt schnell ab, nach ca. 5 bis spätestens 10 Minuten sind die Beschwerden meist vollständig rückläufig.

  • Die Frage nach der Kreuzreaktion verschiedener Fischgattungen/-arten kann ohne aufwendige Provokationstestungen eigentlich nicht beantwortet werden. Die klinische Erfahrung legt zwar nahe, dass die meisten Fischallergiker auf mehr oder weniger alle Speisefische reagieren, während ein kleinerer Teil über die Verträglichkeit bestimmter Fischarten berichtet; allerdings weisen die Schätzungen zur prozentualen Größe dieser beiden Gruppen eine erhebliche Streubreite auf. In Analogie zu anderen Formen einer Nahrungsmittelallergie dürfte der Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen durch das Sensibilisierungsmuster bedingt sein.

    • Die mit ca. 70% (nach einigen Untersuchungen bis zu 95%) deutliche Mehrzahl der Fischallergiker sind wahrscheinlich v.a. gegen Parvalbumine sensibilisiert und reagieren daher (mehr oder weniger stark) auf alle Speisefische.

    • Ca. 10–20% der Fischallergiker vertragen dagegen bestimmte Fische im Sinn einer Art-spezifischen Fisch-Allergie, möglicherweise aufgrund einer vorherrschenden Sensibilisierung gegen andere Allergene, z.B. Enolasen und/oder Aldolasen.

    • Diese auf den ersten Blick einleuchtende Erklärung wird der Vielschichtigkeit einer IgE-vermittelten Allergie freilich nur bedingt gerecht. Selbst ein gegen Parvalbumin sensibilisierter Patient reagiert u.U. nur auf wenige (einzelne) Fischarten, aufgrund der unterschiedlichen Menge an Parvalbumin in verschiedenen Fischen (v.a. bei gleichzeitig eher gering ausgeprägter Sensibilisierung) und/oder durch Bindung des IgE an einen Art-spezifischen Strukturanteil des, sehr ähnlichen, aber nicht zu 100% identischen, Parvalbumins in verschiedenen Fischarten.

  • Unverträglichkeitsreaktionen, die unter oberflächlicher Betrachtung einer Anaphylaxie ähnlichsehen bzw. bestimmte Einzelsymptome einer Anaphylaxie aufweisen können, sind nach Verzehr von Fisch relativ häufig, mit u.a. Übelkeit bis Erbrechen, Schweißausbruch, Hautrötung (Flushreaktion), Bauchschmerzen bis Durchfall, selten sogar Blutdruckabfall, Tachykardie und Engegefühl im Brustbereich bis Kurzatmigkeit. Eine derartige Reaktion kann z.B. durch giftig wirkende Substanzen verursacht werden, die in zu lange gelagertem bzw. verdorbenem Fisch von Bakterien oder Plankton gebildet werden.

  • Der Heringswurm Anisakis simplex wurde bereits mehrfach als Ursache für eine allergische oder eine Allergie nachahmende Reaktion beschrieben.

    • Das Muskelfleisch von bis zu 70% aller Heringe soll befallen sein, eine (heute sehr seltene) Infestation des Menschen ist durch Verzehr von rohem Fisch möglich, wie Sushi oder Sashimi, aber auch Matjes. Vor der Weiterverarbeitung sollten Heringe daher über 7 Tage bei mindestens –20°C tiefgefroren werden, was die Larven nicht überleben; dem Einlegen in Salzlake oder Räuchern können sie dagegen längere Zeit widerstehen.

    • Falls lebende Larven ca. 2–6 Stunden nach Verzehr von befallenem Fisch die Magenschleimhaut des Menschen durchdringen, kann ein gegen Allergene des Heringswurms Sensibilisierter unter geringen bis starken Bauchschmerzen (begleitet von Übelkeit bis Erbrechen) das Vollbild einer Anaphylaxie entwickeln (beschrieben sind die Einzelallergene Ani s 1–14; das Ani s 3 gehört zur Proteinfamilie der Tropomyosine).

Diagnostik

  • Für den Nachweis einer Sensibilisierung im Prick-zu-Pricktest sollte möglichst frischer Fisch verwendet werden, da der Gehalt an Histamin und anderen Abbauprodukten der Proteolyse nach längerer Lagerung rasch zunimmt und eine irritative (falsch positive) Testreaktion immer wahrscheinlicher wird.

  • Die serologische IgE-Diagnostik mit einem Fisch-Gesamtextrakt scheint als Suchtest ausreichend sensitiv zu sein.

    • Trotz seiner Stellung als Markerallergen wird IgE gegen Parvalbumin für einen Suchtest als unzureichend angesehen, denn 10–20% aller Fischallergiker sind wahrscheinlich weniger (bis gar nicht) gegen Parvalbumin, sondern v.a. (oder sogar ausschließlich) gegen andere Allergene sensibilisiert.

    • IgE gegen mehrere Parvalbumine verschiedener Fischordnungen (Dorsch-ähnliche: Gad c 1, Lachs-ähnliche: Sal s 1, Barsch-ähnliche: Thu a 1) kann auf eine Allergie gegen fast alle Speisefische hinweisen.

  • Der Vorhersagewert eines Pricktests oder einer serologischen IgE-Bestimmung hinsichtlich einer klinischen Reaktion nach Verzehr einer bestimmten Fischart oder Zubereitung von Fisch ist unsicher. Daher empfiehlt sich in einem Fall mit negativem Testergebnis, aber verdächtiger Krankengeschichte ein abschließender (offener) Provokationstest, um eine Fisch-Allergie sicher auszuschließen.

  • Eine gezielte Diagnostik (Pricktest, IgE-Serologie) mit bestimmten in der Vorgeschichte verdächtigten Fischgattungen kann sinnvoll sein, um neben den Parvalbuminen auch andere, u.U. für bestimmte Gattungen möglicherweise spezifische Allergene nicht zu übersehen, wie z.B. Enolasen oder Aldolasen. Mit IgE-Bestimmungen gegen Enolasen und Aldolasen wird es in Zukunft vielleicht möglich sein, eine oder mehrere für den Patienten verträgliche Fischart(-en) herauszufinden.

Beratung

  • In der Beratung eines Fischallergikers sollten u.a. das Ausmaß der berichteten allergischen (anaphylaktischen) Reaktion, die Größe der Quaddel im Pricktest mit frischem Fisch und die Konzentration des Allergen-spezifischen IgE bewertet werden (Gesamtextrakt und Parvalbumine, beide unter Berücksichtigung des Gesamt-IgE).

  • Fischallergiker mit IgE gegen Parvalbumine reagieren meist auf fast alle Speisefische. Unabhängig vom Sensibilisierungsmuster wird der Allergologe im Fall einer Fisch-Allergie, die in der Vorgeschichte eine Anaphylaxie zur Folge hatte, sicherheitshalber ein grundsätzliches Verbot von Fisch aussprechen, selbst wenn der Patient berichtet, dass er eine bestimmte Fischart, z.B. Thunfisch aus der Dose, oder Fischzubereitung, z.B. Bismarckhering oder Brathering, nach der ersten allergischen Reaktion auf Fisch verzehrt und vertragen hat (möglicherweise nur in geringer Menge).

  • In Zusammenschau von Vorgeschichte (schwere oder eher leichte anaphylaktische Reaktion) und Testergebnissen (Konzentration des Fisch-spezifischen IgE, Größe der Quaddel im Pricktest) kann die Gefahr einer (schweren) Anaphylaxie bereits auf geringe Mengen an Fischprotein (im Bereich von wenigen µg) zumindest abgeschätzt werden.

    • Fischallergiker mit besonders starker Sensibilisierung, wie vorherige schwere Anaphylaxie, hohe Parvalbumin-spezifische IgE-Werte, Quaddel im Pricktest >10 mm, können u.U. bereits nach Kontakt mit einer sehr geringen Menge (z.B. über Küchengerätschaften, wie Pfanne oder Messer) eine allergische Reaktion entwickeln, die aber in aller Regel nicht schwer ausfallen dürfte.

    • Für Fischallergiker mit vergleichsweise größerer Schwellendosis, kann eine Überschätzung und Überbetonung der Gefahr durch „Spuren von Fisch“ seitens des behandelnden Allergologen (oder des Betroffenen selbst) Sorgen und Ängste weiter verstärken. In der Beratung sollte das Risiko wirklichkeitsnah eingeschätzt werden, mit dem Ziel, dass Betroffene bzw. Angehörige die notwendige Vorsicht walten lassen ohne gleichzeitig in übertriebene Ängstlichkeit zu verfallen.

  • Zwischen den Fischen und den Krebs-/Weichtieren ist eine Kreuzreaktion unwahrscheinlich, sodass einem Fischallergiker der Verzehr von Krebsen und Weichtieren auch ohne vorherige Testung erlaubt werden kann. Mit der Einschränkung, dass im Umfeld der Zubereitung von Krebs-/Weichtieren oft auch Fisch verarbeitet wird, was eine Verschleppung von Fischproteinen möglich macht, auf die ein stärker sensibilisierter Fischallergiker durchaus reagieren kann.

  • Fischallergiker vertragen in aller Regel Nahrungsmittel, die mit Fischgelatine hergestellt werden, u.a. koschere Produkte, weil sie kaum noch Fischallergene enthalten bzw. ihre Menge weit unterhalb der Schwelle für eine allergische Reaktion liegt.

  • Es besteht kein Zusammenhang zwischen einer Fisch-Allergie und einer allergischen oder nicht-allergischen Reaktion auf ein Iod-haltiges Röntgenkontrastmittel, aber dieser sog. Iod-Mythos hält sich trotzdem hartnäckig.



Publication History

Article published online:
11 December 2024

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