Nervenheilkunde 2023; 42(11): 808
DOI: 10.1055/a-2136-4945
Gesellschaftsnachrichten

Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie e. V.

Tom Bschor

Lässt sich ein Bewusstloser anhand seines Handys identifizieren?

Fallbericht

Notfallmäßige Zuweisung eines ca. 45-j. anonymen Polytrauma-Patienten nach Verkehrsunfall (VU), primär fixe Mydriase bds, GCS 3, kreislaufinstabil, Verletzung aller 3 Körperhöhlen. Notfalldiagnostik: im Spiral-CT (± KM): u. a. diffuses SHT, in der CTA: residuale KM-Füllung der Arteria-cerebri-media re (MCA). Notfallstabilisierung, Intensivstation (ITS), pharmakologische Dauer-Reanimation, Volumenersatz-Therapie. Individualmedizinisch ohne Überlebensprognose, aber ohne sofortige Möglichkeit der klinischen Hirntod-Bestimmung, zusätzlich: minimale Restperfusion der MCA, Organspendewunsch unklar.

Auffinden eines Handys in der Kleidung, entsperrbar per Fingerprint des Patienten: Hintergrundbild einer Frau in Wohnraum der 1990er-Jahre mit Text-Bild-Icon „Mutter“ plus Tel.Nr. – Anruf dort: Bitte, ins Krankenhaus kommen wegen „Lebensgefahr des Sohnes“! Vorbereitende Besprechung des Krankheitsbildes in Büroraum, Mutter (ehrenamtl. Patientenfürsprecherin andernorts und Ethikkomm.-Mitglied): emotional mitgenommen, aber gefasst; schließlich Gang zum Intensivbett, erst nach vollständiger Inspektion, inkl. einer tätowierten Schulter ([ Abb. 1 ]): „Das ist NICHT mein Sohn!“ – Reproduktion der Handy-Entsperrung zum Hintergrundbild: „Das bin ja ICH – da habe ich mal gewohnt …!“ erkennt die Mutter. Paralleler Rückruf auf ITS: Sohn (A) der „Mutter“ ist unverletzt. – Mutter gelöst. Behandler verwirrt. – Mutter: „Ich hatte erwartet, dass Sie mich nach Organspende fragen. Wir hatten nie drüber gesprochen. Ich hätte ’ja‘ gesagt. Jetzt kann ich meinen Sohn ja fragen, ob er einverstanden gewesen wäre.“ – Neubeginn der Patienten-Identifikation. Tief in Kleidung versteckt: Therapieplan einer ausw. psychiatrischen Klinik. – Interaktive Re-Evaluation des Patienten (ohne Angehörige). – Identität als B zu sichern (Altersunterschied zu A: 1 Jahr).

Zoom Image
Abb. 1 Patiententattoo, Foto: ©Moskopp

Technisch schwierige Konditionierung (Vorbereitung) für Organspende. Voraussetzung für Hirntoddiagnostik, Bestimmung des Hirntodes. Evaluation des Patientenwillens von B über Freunde (inkl. Testament und Audio-Datei unmittelbar vor zweifelsfrei provoziertem VU zur Selbsttötung), Verifikation einer Spendebereitschaft von B. Placet des Staatsanwalts, erfolgreiche Transplantation von 4 Organen.

Nachbesprechung mit Mutter: „Ich habe meinen Sohn gefragt. Er hätte an sich keine Spende gewollt. Sagt aber: ‚Wenn meine Mutter dafür gewesen wäre, wäre ich auch einverstanden!‘“ Zum Handy-Hintergrundbild: A und B kannten sich, ohne dass die Mutter davon wusste: Vormals gemeinsame Chile-Reise. Dabei erkundigte sich B bei A nach zukünftiger Unterstellmöglichkeit seines Motorrades. Mutter von A hat Garage. A sendete die Bild-Text-Datei seiner „Mutter“ plus Tel-Nr. an B, der das unverändert auf sein Handy als Hintergrundbild mit Kontaktlink übernimmt.

Fazit: Handyinformationen können sich als störanfällig erweisen. Erklärungen zu Organspendenbereitschaft passen nicht immer in binäre Schemata.

Prof. Dr. med. Dag Moskopp, ehem. Direktor der Klinik für Neurochirurgie und ÄD des Vivantes Klinikums im Friedrichshain, Berlin

BGPN-SYMPOSIUM AUF DEM DGPPN-KONGRESS 2023

Auf dem DGPPN-Kongress wird es eine spannende Session der BGPN zum Thema Psychopathologie geben. Seit der Gründung 1867 befasst sich die BGPN intensiv mit psychopathologischen Fragen. Im Rahmen des Symposiums soll diese Tradition fortgesetzt und der Blick in die Zukunft gerichtet werden, da aktuelle psychopathologische Konzepte unbeantwortete Fragen aufweisen. Friedel Reischies, Tom Bschor und Benjamin Ochs beleuchten das Ausmaß psychischen Leids als Kernmerkmal des psychischen Befundes, ferner Intrusionen, Flashbacks und Nachallerinnerungen als Symptome zwischen den Stühlen der Psychopathologie sowie ein Konzept zur mehrdimensionalen Befunddokumentation.

Session S-204, DGPPN-Kongress

Psychopathologie 2023: zukünftige Entwicklungen

02.12.2023. 10:15 Uhr

City Cube Berlin, Saal New York 2


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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
06. November 2023

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