Transfusionsmedizin 2024; 14(03): 169-174
DOI: 10.1055/a-2138-6728
Recht

Vertriebsweg von kommerziellen CAR-T-Zell-Präparaten: Apothekenpflicht oder Direktvertrieb?

Bita Bakhschai
,
Halvard Bonig

Einleitung

In der Behandlung bestimmter B-Zell-Dyskrasien werden patientenspezifisch hergestellte, zentral zugelassene, im weiteren Verlauf als „kommerziell“ bezeichnete CAR-T-Zell-Präparate regelhaft angewendet. Für die Herstellung werden Patienten T-Zellen entnommen; in spezialisierten Herstellungsstätten wird diesen ein synthetischer „chimärischer“ Antigenrezeptor mit Hilfe von Gentherapievektoren eingepflanzt, anschließend werden die Zellen für die Dauer der Qualitätskontrolle und bis unmittelbar vor Anwendung am Patienten in Flüssigstickstoff kryokonserviert. Die Anwendung erfolgt nach Infusion einer stark immunsupprimierenden Chemotherapie intravenös. Die sehr stark wirksamen Präparate werden wegen ihrer häufigen und mitunter lebensbedrohlichen Toxizitäten derzeit ausschließlich Krankenhauspatienten appliziert. Die CAR-T-Zellen können für das von ihnen erkannte Antigen, derzeit CD19 oder BCMA, positive Krebszellen gezielt abtöten und langfristiges immunologisches Gedächtnis induzieren [1] Antigen-positive gesunde Zellen werden allerdings genauso eradiziert. Dies wird als „on-target-off-tumor“ Toxizität bezeichnet. So gehört eine mitunter langanhaltende B-Zell-Aplasie zu den typischen Nebenwirkungen der aktuellen CAR-T-Zell-Präparate. Die „Chain of Custody“ ist wegen der patientenspezifischen Herstellung ebenso kritisch wie die „Cold Chain Custody“, da eine auch nur ganz kurze Unterbrechung der tiefkalten Lagerung das Präparat irreversibel beschädigen würde. Die Expertise und Infrastruktur für den Umgang mit kryokonservierten Zelltherapeutika ist speziell bei Transfusionsmedizinern und Stammzelltransplanteuren vorhanden, während Krankenhausapotheker typischerweise über keine diesbezügliche Kompetenz verfügen dürften. Stammzelltransplantationseinheiten halten unter Umständen keine geeigneten überwachten Lager für kryokonservierte Zelltherapeutika vor und sind dann auf logistische Unterstützung durch Dritte angewiesen [2].

In der Praxis stellt sich die Frage, ob diese Arzneimittel der Apothekenpflicht unterliegen oder auch bzw. ausschließlich über andere Vertriebswege zum Patienten bzw. anwendenden Arzt gelangen dürfen. Mit diesem Artikel soll ein kurzer Überblick über die Abgabe bzw. den Bezug von CAR-T-Zell-Präparaten gegeben werden. Haftungsrelevante Aspekte, die sich z. B. beim Zwischenlagern in Flüssigstickstoff ergeben, sind nicht Gegenstand dieses Beitrags.



Publication History

Article published online:
21 August 2024

© 2024. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

 
  • Literatur

  • 1 Paul-Ehrlich-Institut. Europäische Kommission erteilt Zulassung für zwei CAR-T-Zelltherapeutika. Im Internet: https://www.pei.de/DE/newsroom/hp-meldungen/2018-2015/180831-europaeische-kommission-erteilt-zulassung-fuer-car-t-zelltherapeutika.html; Stand: 06.05.2024.
  • 2 Siehe auch Richtlinie des G-BA zu Anforderungen an die Qualität der Anwendung von Arzneimitteln für neuartige Therapien gemäß § 136a Absatz 5 SGB V (ATMP-Qualitätssicherungs-Richtlinie/ATMP-QS-RL) in der Fassung vom 4. November 2021, zuletzt geändert am 21. Dezember 2023 (BAnz AT 25.03.2024 B1 und B2), in Kraft getreten am 26. März 2024. Im Internet: https://www.g-ba.de/richtlinien/122/; Stand: 17.05.2024.
  • 3 Arzneimittelgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.03.2024 (BGBl. 2024 I Nr. 109)
  • 4 Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Arzneimittel für neuartige Therapien und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (ABl. L 324 vom 10.12.2007, S. 121; L 87 vom 31.3.2009, S. 174), zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2019/1243 (ABl. L 198 vom 25.07.2019, S. 241). Die geplante Reform des EU-Arzneimittelrechtsrahmens durch das sog. EU-Pharmapaket bleibt in diesem Artikel unberücksichtigt.
  • 5 Richtlinie 2001/83 EG (des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311 vom 28.11.2001, S. 67), zuletzt geändert durch Richtlinie (EU) 2022/642 (ABl. L 118 vom 20.04.2022, S. 4)
  • 6 Vgl. Artikel 1 der VO (EG) Nr. 726/2004
  • 7 Vgl. auch Kloesel A, Cyran W. Arzneimittelrecht Kommentar. Stuttgart: Deutscher Apotheker Verlag; Juli 2023, § 43 AMG Anm. 4
  • 8 Im Sinne der Artikel 34, 36 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Konsolidierte Fassung (Amtsblatt Nr. C 326 vom 26.10.2012, S. 1)
  • 9 Zur Legaldefinition siehe § 2 Abs. 1 AMG
  • 10 vgl. auch § 43 Abs. 3 AMG
  • 11 Kloesel A, Cyran W. Arzneimittelrecht Kommentar. Stuttgart: Deutscher Apotheker Verlag; Juli 2023, § 43 AMG Anm. 17; ausführlich Bakhschai B. Der Begriff des „Inverkehrbringens im Arzneimittelgesetz“ [Dissertation]. Münster: LIT Verlag; 2013
  • 12 Apothekengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Oktober 1980 (BGBl. I S. 1993), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Juli 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 197)
  • 13 Vgl. hierzu § 14 ApoG
  • 14 Vgl. Kloesel A, Cyran W. Arzneimittelrecht Kommentar. Stuttgart: Deutscher Apotheker Verlag; Juli 2023, § 43 AMG Anm. 5
  • 15 Vgl. § 26 Abs. 1 ApBetrO (Apothekenbetriebsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 1995 (BGBl. I S. 1195), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Dezember 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 359))
  • 16 § 31 Abs. 1 ApoBetrO
  • 17 Arzneimittelpreisverordnung vom 14. November 1980 (BGBl. I S. 2147), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Juli 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 197)
  • 18 § 1 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AMPreisV
  • 19 Transplantationsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. September 2007 (BGBl. I S. 2206), zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. Juli 2021 (BGBl. I S. 2754))
  • 20 Richtlinie 2004/23/EG (des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen (ABl. Nr. L 102 vom 07.04.2004 S. 48), zuletzt geändert durch VO (EG)Nr. 596/2009 vom 18.06. 2009 (ABl. Nr. L 188 vom 18.07.2009, S. 14).
  • 21 BT-Drs. 16/3146 vom 25.10.2006, S. 24
  • 22 Siehe BT-Drs. 16/3146 vom 25.10.2006, S. 21
  • 23 So auch Kloesel A, Cyran W. Arzneimittelrecht Kommentar. Stuttgart: Deutscher Apotheker Verlag; Juli 2023, § 4 AMG Anm. 95a
  • 24 BT-Drs. 16/3146 vom 25.10.2006), S. 37
  • 25 Siehe Kloesel A, Cyran W. Arzneimittelrecht Kommentar. Stuttgart: Deutscher Apotheker Verlag; Juli 2023, § 4 AMG Anm. 96
  • 26 BR-Drs. 171/09 vom 20.02.2009, S. 71
  • 27 BR-Drs. 171/09 vom 20.02.2009, S. 84
  • 28 Kügel W, Müller R-G, Hofmann H-P Arzneimittelgesetz. 3. Aufl. München: Verlag C.H. Beck oHG; 2022. § 47 Rn. 1, 2
  • 29 Siehe § 1 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 AMPreisV
  • 30 Siehe § 78 Abs. 3 AMG
  • 31 Siehe § 130a SGB V
  • 32 Zu den Voraussetzungen siehe insbesondere § 16 ff. ATMP-QS-RL des G-BA, Fußnote 2
  • 33 Kloesel A, Cyran W. Arzneimittelrecht Kommentar. Stuttgart: Deutscher Apotheker Verlag; Juli 2023, § 47 AMG Anm. 3
  • 34 Kloesel A, Cyran W. Arzneimittelrecht Kommentar. Stuttgart: Deutscher Apotheker Verlag; Juli 2023, u.H.a. BSG Urteil vom 13.05.2015, B 6 KA 18/14 R;
  • 35 BSG Urteil vom 13.05.2015, B 6 KA 18/14 R
  • 36 Nunmehr besondere Regelung in § 43 Abs. 3a AMG
  • 37 Vgl. § 12 Abs. 1 Satz 2, § 2 Abs 1 Satz 1, § 4 Abs 3, § 70 Abs 1 SGB V und dazu BSG vom 19.11.2019, B 1 KR 6/19 R
  • 38 Vgl. BSG Urteil vom 07.03.2023, B 1 KR 4/22 R