NOTARZT 2024; 40(01): e1
DOI: 10.1055/a-2165-6366
Leserbrief

Leserbrief zum Beitrag: „Tapfere neue Notfallmedizin“

Robert Hoke

Sehr geehrter Herr Professor Kerner, sehr geehrte Schriftleitung,

es ist notwendig, aktuelle Entwicklungen in der Notfallmedizin – gerade auch bei psychiatrischen Patient*innen – zu diskutieren. Dem „Meinungsbeitrag“ sowie dem parallel veröffentlichten CME-Beitrag und dem darin zum Ausdruck gebrachten beruflichen Selbstverständnis muss jedoch ausdrücklich widersprochen werden.

Kollege Jordan beklagt, die psychiatrischen Kliniken würden zur Verwahrung missbraucht, ihnen würden Patienten ohne fachspezifische Indikation vorgestellt und nicht indizierte Zwangseinweisungen von außen aufgezwungen. Davon abgesehen, dass die verantwortlichen Psychiater*innen jede einzelne Unterbringung oder stationäre Aufnahme in ihren Häusern selbst verantworten, ist es nicht nur gesetzlich so vorgesehen, sondern auch sinnvoll, dass die Psychiatrien ihren Beitrag zur Krisenintervention, Differenzialdiagnostik, Akutbehandlung, Beratung und Weiterleitung psychiatrisch auffälliger Patient*innen leisten. Das schließt laut Gesetz auch explizit Suchterkrankungen mit ein. Nicht in allen Fällen lässt die Situation am Einsatzort eine medizinische Befundung und rechtliche Abwägung durch den Notarzt in der gebotenen Sorgfalt und Umfang zu. Dass die Situation retrospektiv von „3 Fachärzten für Psychiatrie“ ggf. anders bewertet wird oder nach mehreren Stunden die Kriterien zur Unterbringung nach Landesgesetz nicht mehr gegeben sind, lässt keinen Schluss über die Qualität der initialen Entscheidung zur psychiatrischen Vorstellung zu. Dass bei „betrunkenen Mitbürgern (…) reflexhaft“ an eine psychiatrische Unterbringung gedacht werde, ist eine Unterstellung. Der Forderung, über alternative kooperative Versorgungswege an der Schnittstelle Polizei/Notaufnahme/Psychiatrie und eine bessere Vernetzung der Hilfesysteme nachzudenken, schließt sich der Autor dagegen uneingeschränkt an.

Kollege Jordan behauptet, Patienten würden „oft“ ohne medizinische Indikation im Krankenhaus vorgestellt, Notärzte würden „oft“ die gesetzlichen Grundlagen nicht kennen. Diese Behauptungen sind in ihrer verallgemeinernden Art inakzeptabel.

Abhilfe sieht Kollege Jordan in Anweisungen, Schulungen und Vorschlägen ausschließlich für die prähospitalen Akteure. Er nimmt die Notärzt*innen, die Polizei, die Politik, die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kommunen in die Pflicht – Hauptsache, die psychiatrischen Kliniken werden nicht weiter mit verhaltensauffälligen Patient*innen behelligt.

Einsätze mit Berauschten, Aggressiven, Verzweifelten usw. sind für alle Beteiligten in Präklinik und Klinik anstrengend und ressourcenaufwendig. Dass Polizei und Rettungsdienst zu diesen Einsätzen gerufen werden, können wir nicht ändern. Um den betroffenen Menschen, den endlichen Ressourcen und dem Wirtschaftlichkeitsgebot gerecht zu werden, braucht es allerdings mehr Kooperation und Abstimmung, nicht die Abschottung einzelner Akteure. Es wird auch in Zukunft nur mit den psychiatrischen Kolleg*innen, nicht ohne sie, gehen.

Der Zeitschrift NOTARZT ist zu wünschen, dass ihr eine bessere Abgrenzung von persönlichen Kommentaren und echter Wissenschaft gelingt. So wird im Meinungsbeitrag mit halbgaren „Studienergebnissen“ argumentiert, die mangels einer hinreichenden Darstellung der Methodik und entsprechender Veröffentlichung nicht für eine fundierte Debatte taugen. CME-Beiträge wiederum sollten systematisch gesichertes medizinisches Wissen in einem sachorientierten Stil aufbereiten. Dieses Ziel wurde in dem vorliegenden Heft leider verfehlt.

Mit freundlichen Grüßen

Publikationshinweis

Leserbriefe stellen nicht unbedingt die Meinung von Schriftleitung oder Verlag dar. Schriftleitung und Verlag behalten sich vor, Leserbriefe nicht, gekürzt oder in Auszügen zu veröffentlichen.

Kommentar

Der hier diskutierte Beitrag „Tapfere neue Notfallmedizin“ wurde im nicht wissenschaftlichen Teil der Ausgabe 4/23 NOTARZT unter der Überschrift „Meinungsbeitrag“ publiziert.



Publication History

Article published online:
07 February 2024

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