Zeitschrift für Palliativmedizin 2023; 24(06): 290-291
DOI: 10.1055/a-2178-5635
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Palliative Care – Kernkompetenzen für die Pflegepraxis

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Kern M, Gaspar M, Hach M, Hrsg. Palliative Care. Kernkompetenzen für die Pflegepraxis. Stuttgart: Thieme 2023: 436 Seiten, 59,99€. ISBN 978-3-13-243787-6

Seit den Anfängen in den 1970er-Jahren hat sich Palliative Care auch im deutschsprachigen Raum eindrucksvoll weiterentwickelt. Trotzdem hat sich dieses Betreuungskonzept für schwer kranke und sterbende Menschen in der Regelversorgung noch immer nicht in allen Kontexten entsprechend etabliert. Und obwohl Palliative Care inzwischen fixer Bestandteil aller Pflegeausbildungen ist, besteht vielfach noch immer ein Mangel an Wissen und praktischem Können.

Daher ist ein Buch, wie dieses, als Lehrbuch und auch als Nachschlagewerk mit zahlreichen praktischen Hinweisen und Handlungsanleitungen überaus wertvoll. Das Buch ist sehr ansprechend gestaltet und es ist übersichtlich nach den zehn Kernkompetenzen der Palliative Care laut EAPC gegliedert.

Die Auswahl der dargestellten Themen umfasst nahezu alle, für die palliative Betreuung relevanten Aspekte. Die einzelnen Themen sind mit Praxisbeispielen, Grafiken und Bildern sehr anschaulich dargestellt. Alle Autor*innen sind ausgewiesene Expert*innen, die Beiträge sind durchwegs interessant zu lesen und sie bieten viele Anregungen für die tägliche Praxis, auch für bereits erfahrene Pflegepersonen.

Es fällt nicht leicht, einzelne Kapitel besonders hervorzuheben, denn jedes einzelne beinhaltet eine Fülle an wichtigen Information und wertvollen Hinweisen. Darüber hinaus regen die Inhalte, besonders bei den ethisch-spirituellen Themen, zu einer vertiefenden Auseinandersetzung an. So bietet etwa das ausgezeichnete Kapitel über spirituelle, kulturelle und religiöse Umgangsformen auch Ansätze zur Selbstreflexion.

Besonders zu erwähnen ist auch der sehr lesenswerte Abschnitt über den Umgang mit Krisen und Verlust, wobei es etwas überrascht, dass hier unter anderem auch das von Elisabeth Kübler-Ross entwickelte Modell der fünf Sterbephasen eher unkritisch angeführt wird. Die meisten Phasenmodelle werden der Individualität der Sterbeprozesse nicht gerecht und das Modell von Kübler-Ross wurde aufgrund mangelnder wissenschaftlicher Evidenz besonders kritisiert. Selbst Kübler-Ross wollte dieses Modell von 1969 später nicht mehr als „Stages of dying“, sondern vielmehr als eine eher allgemeine Beschreibung der emotionalen und psychologischen Reaktionen auf die Sterblichkeit verstanden wissen.

Hervorragend sind die Abschnitte zu den respiratorischen Symptomen und den gastrointestinalen Symptomen gelungen. Im Kapitel über den krankheitsbedingten Versorgungsbedarf am Lebensende werden einzelne Krankheitsbilder und verschiedene Symptome kompakt beschrieben und durch praktische Hinweise zur Symptomlinderung ergänzt. Da ein sorgfältiges Assessment eine wichtige Voraussetzung für die Behandlung belastender Symptome ist, wäre es hilfreich, wenn zusätzlich die jeweiligen Assessment-Instrumente zumindest kurz angeführt wären.

Der Umfang der verschiedenen Kapitel ist unterschiedlich und einigen Themen hätte schon allein aufgrund ihrer Aktualität mehr Raum gebührt. So ist etwa der Abschnitt über Palliative Geriatrie etwas kurz geraten. Dabei sind doch die alten und hochaltrigen Menschen jene Gruppe von Patient*innen, die derzeit noch besonders unter mangelnder Palliativversorgung leidet.

Auch der Abschnitt über den assistierten Suizid und über die Beihilfe zur Selbsttötung ist inhaltlich knapp ausgefallen. Da Mitarbeiter*innen im Bereich von Palliative Care relativ oft mit Fragen dazu konfrontiert sind, wäre eine ausführlichere Darstellung dieses Themas wünschenswert. Dass die verwendeten Begriffe „Sterbehilfe“ und „Sterbebegleitung“ nicht klar voneinander getrennt behandelt werden, erscheint problematisch, weil es dadurch immer wieder zu Begriffsunsicherheiten kommt.

Mit der Verletzlichkeit des Menschen befasst sich unter anderem das Kapitel über die Grundlagen der Ethik, wobei die Verletzlichkeit nicht nur als Bedrohung, sondern auch als kreatives Potenzial beschrieben wird. In den aktuellen Diskussionen um Autonomie und Selbstbestimmung wird der Aspekt der Angewiesenheit meist zu wenig berücksichtigt, wie auch die Tatsache, dass schwerkranke Patient*innen letztlich „von Grund auf angewiesene Menschen sind, die nur dann wirklich respektiert werden, wenn man sich Gedanken darüber macht, wie man ihrer Grundangewiesenheit gerecht werden kann“. (Maio S. 270)

Das Buch richtet sich vorwiegend an Pflegepersonen. Bei den Erklärungen zu Begriffen wie Palliative Care, Palliativversorgung und Palliativmedizin fällt jedoch auf, dass Palliativpflege als Terminus kaum erwähnt wird. Das mag dem deutschen Sprachgebrauch geschuldet sein, in dem anders, als in der Schweiz und Österreich, eher von Pflege in der Palliativmedizin als von Palliativpflege gesprochen wird.

Ungeachtet der kleinen kritischen Anmerkungen, ist mit dem praxisorientierten Buch „Palliative Care Kernkompetenzen für die Pflegepraxis“ ein hervorragendes Werk gelungen, das sowohl für die Lehre als auch für die alltägliche Pflegepraxis einen hohen Wert hat. Daher sollte dieses Buch, das sich auch als übersichtliches Nachschlagewerk sehr gut eignet, in allen betreffenden Teams zur Verfügung stehen.

Fazit: „Palliative Care. Kernkompetenzen für die Pflegepraxis“ kann nicht nur wärmstens empfohlen werden, es ist vielmehr ein „must have“ für alle in Palliative Care Tätigen.

Angelika Feichtner, Innsbruck



Publication History

Article published online:
27 October 2023

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