Z Sex Forsch 2023; 36(04): 223-232
DOI: 10.1055/a-2191-9640
Praxisbeitrag

Öffentliches Sprechen über persönliche Abtreibungserfahrungen: Zwischen Empowerment und Disempowerment

Publicly Sharing Personal Abortion Experiences: Between Empowerment and Disempowerment
Nicola Döring
1   Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft, Technische Universität Ilmenau
,
Claudia Schumann-Doermer
2   Ärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Ärztliche Psychotherapeutin, Northeim
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Zusammenfassung

Mädchen und Frauen, die ungewollt schwanger werden und eine Abtreibung durchführen lassen, sind von Stereotypisierung und Stigmatisierung betroffen: Typischerweise schreibt man ihnen Leichtsinn und Verantwortungslosigkeit zu (sonst hätten sie sich ja nicht „in diese Lage gebracht“) sowie Kaltherzigkeit und Egoismus (sonst würden sie ja nicht „einfach ungeborenes Leben töten“). Um diesem Abtreibungsstigma entgegenzuwirken, die realen Lebenslagen der Betroffenen sichtbar zu machen und reproduktive Selbstbestimmung zu fördern, setzt sich die Pro-Choice-Bewegung schon lange für das öffentliche Sprechen über persönliche Abtreibungserfahrungen ein. Der vorliegende Beitrag beschreibt, wo und wie authentische Abtreibungsgeschichten in alten und neuen Medien geteilt werden und inwiefern dies mit Empowerment im Sinne von sozialer Unterstützung und politischem Aktivismus für reproduktive Rechte verbunden ist. Dabei wird auch verdeutlicht, dass es gleichzeitig zu Disempowerment kommt: Denn zum einen erhalten Frauen, die von selbstbestimmten Abtreibungen erzählen, regelmäßig Hassnachrichten. Zum anderen werden von der Anti-Abtreibungsbewegung gezielt Erfahrungsberichte verbreitet, die beweisen sollen, dass Abtreibungen in der Regel traumatisierend wirken und von den Frauen am Ende selbst bereut werden, weshalb man sie besser verbieten sollte. Aktuell scheinen im deutschsprachigen Raum die Stimmen zu überwiegen, die beim öffentlichen Sprechen über Abtreibungserfahrungen für reproduktive Autonomie eintreten. Schlussfolgerungen für die Forschung sowie für die Praxis der Sexual- und Medienpädagogik werden abgeleitet.

Abstract

Girls and women who become pregnant unintentionally and have an abortion are subject to stereotyping and stigmatization: They are typically labeled as careless and irresponsible (otherwise they would not have “gotten themselves into this situation”) and as cold-hearted and selfish (otherwise they would not “just kill unborn life”). To counter this abortion stigma, make the real-life situations of those affected visible, and promote reproductive self-determination, the pro-choice movement has long been advocating for public discourse about personal abortion experiences. This article describes where and how authentic abortion stories are shared in both traditional and new media, and how this is tied to empowerment in terms of social support and political activism for reproductive rights. It is also made clear that disempowerment occurs simultaneously: Women who talk about self-determined abortions regularly receive hate messages. Moreover, the anti-abortion movement purposefully spreads stories meant to prove that abortions usually have a traumatizing effect and are ultimately regretted by the women themselves, therefore suggesting they should be prohibited. Currently, in the German-speaking world, the voices advocating for reproductive autonomy when publicly discussing abortion experiences seem to be predominant. Conclusions are drawn for research and for the practice of sexual and media education.



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Article published online:
05 December 2023

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