Vom Angsthasen zur Wasserratte?

Mein Kind ist nun schon 4 Jahre alt. Es mag kein Wasser. Auch bei schönstem Badewetter sitzt es hoch zufrieden mit 20 m Sicherheitsabstand zur Brandung im Sand und buddelt vor sich hin.

Die ebenfalls 4-jährige Rasselbande, die meinen Knirps umgibt, kann schon schwimmen, Rad fahren, sich an- und ausziehen, lesen und schreiben. Meiner macht bisher nichts davon. Um den Sprössling endlich „voranzubringen“, meldete ich ihn kurzerhand zum Angsthasen-Schwimmkurs an. Der Kern des Kurses ist es, in einer Eins-zu-eins-Betreuung dem Kind ohne Zwang und Druck mittels spielorientierter Aquapädagogik (hä?) die Freude am Schwimmen näher zu bringen. Super!

Drama und Tränen schon beim Erstkontakt mit der Dusche. Ich schob also ein halb weinendes Gör aus der Dusche weiter Richtung Beckenrand. Zerrte es in das kühle Nass und zischte ihm zu, es möge sich jetzt nicht so anstellen, alle anderen fänden Schwimmen schließlich toll. Der Schwimmlehrer gab sein Bestes. Die Anweisungen wurden auf Augenhöhe und ganz in der Haltung des heutigen bindungsorientierten Erziehungsstils formuliert. Er scheiterte aber spätestens mit der Aufforderung, das Kind möge doch vom Beckenrand springen und nach einem Ring tauchen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Spross schon Wasser geschluckt, zitterte wie Espenlaub und versuchte sich krampfhaft an der Schwimmnudel festzuklammern, um nicht gänzlich zur Seite zu kippen und abzusaufen. Am nächsten Morgen war die erste Frage meines Kindes, ob es heute wieder zum Schwimmen müsse? Tja?

Mein Kind sitzt weiterhin mit genügend Sicherheitsabstand zum Wasser und wird irgendwann, keine Frage, seinen Schwimmkurs machen. Wie man mit dem gesellschaftlichen Druck umgeht „richtig funktionieren“ zu müssen, muss jeder für sich alleine entscheiden.

Wie sehen Sie das? Vielleicht muten auch wir Therapeuten unseren Patienten manchmal Therapien oder Ziele zu, die sie einfach nicht oder noch nicht leisten können?

Herzlichst grüßt Sie Ihre

Physiotherapeutin und Themenscout

Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
19. Februar 2024