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DOI: 10.1055/a-2219-9611
Nachruf auf Adrian de Silva (9. Mai 1966 – 13. Juni 2023)
Adrian de Silva, ein Politikwissenschaftler, der die deutschen Trans Studies entscheidend mitprägte, starb viel zu früh im Alter von 57 Jahren nach schwerer Krankheit, gegen die er bis zuletzt kämpfte. Ebenfalls bis zuletzt arbeitete er mit aller Kraft, die ihm noch blieb, an persönlichen und insbesondere wissenschaftlichen Projekten, die ihm eine Herzensangelegenheit waren, z. B. an einem Gedenkband für Josch Hoenes ([Bauer et al. 2023]), dessen Erscheinen er traurigerweise selbst nicht mehr erleben durfte.[1] Darüber hinaus hatte Adrian de Silva vor allem eigene unvollendete Schriften im Kopf, deren Gedanken er unbedingt noch in die Welt bringen wollte. Und dies nicht aus Geltungsdrang oder weil er sich selbst zu wichtig genommen hätte, sondern weil er sein Leben in hohem Maße einer Sache verschrieben hatte: die Welt zu einem Ort zu machen, an dem es gerechter und respektvoller zugeht. Seinen Beitrag dazu sah er insbesondere auch darin, als Teil einer kritisch-emanzipatorischen Wissenschaft Räume zu schaffen für Menschen, die teilweise bis zu dem Punkt als gesellschaftliche Außenseiter*innen konstruiert werden, dass ihr Leben unerträglich gemacht wird.[2]
Das (unvollendete) wissenschaftliche Werk, das Adrian de Silva hinterlassen hat, zeugt von der Dringlichkeit dieses Anliegens. Das zeigt sich sowohl in den inhaltlichen Schwerpunkten (u. a. Transgeschlechtlichkeit, Intergeschlechtlichkeit, Be_hinderung) als auch in den analytischen Perspektiven, die sich stets durch eine Anerkennung der Stimmen der Marginalisierten und ihrer sozialen Bewegungen auszeichneten. Er war einer der Ersten, der sich im deutschsprachigen Raum für die Etablierung der Queer Studies und später der Trans Studies engagierte. Sein Studium in den Fächern Soziologie, Politikwissenschaft, Englische Philologie und Geschlechterforschung an der Universität Münster und der York University in Toronto verhalf ihm früh zu seiner ausgeprägten Fähigkeit, interdisziplinär und transdisziplinär zu denken und zu forschen. Die Magisterarbeit zu Gramscis Hegemonietheorie zeugte bereits von seinem Interesse an theoretischen Perspektiven, die eine Kritik an herrschenden Verhältnissen ermöglichen. Im Anschluss trat er 1999 eine Stelle am Zentrum für feministische Studien an der Universität Bremen an, wo er 2001 die „Projektgruppe Queer Studies“ mitbegründete. Diese setzte sich für eine Institutionalisierung dieses jungen Forschungsfelds ein, das u. a. mit der analytischen Perspektive der Heteronormativitätskritik aufzuzeigen vermochte, wie die gesamte Gesellschaft durch die Normen der Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit strukturiert ist und welche Folgen dies für diejenigen hat, die diesen Normen nicht entsprechen können oder wollen. Adrian de Silva führte Lehrveranstaltungen zur Queer Theorie sowie insbesondere zu nicht-klinischen, sozialwissenschaftlichen und emanzipatorischen Perspektiven auf Trans- und Intergeschlechtlichkeit in den Politikwissenschaften und der Geschlechterforschung an den Universitäten Bremen, Münster, Oldenburg, Vechta und Göttingen zu Zeitpunkten durch, als diese Perspektiven in den Wissenschaften noch stark marginalisiert waren, und war somit ein Wegbereiter im deutschsprachigen Kontext für eine veränderte Sichtweise auf bis dato pathologisierte und stigmatisierte Existenzweisen. Er promovierte am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität zu Berlin im Graduiertenkolleg „Geschlecht als Wissenskategorie“ zu Konzepten von Trans(-sexualität) in Sexualwissenschaft, Recht und Politik – einschließlich ihrer komplexen Wechselwirkungen – in der Bundesrepublik Deutschland seit den 1960er-Jahren.
Aufgrund der Entscheidung, sich in noch nicht anerkannten wissenschaftlichen Feldern zu positionieren, war Adrian de Silvas wissenschaftlicher Werdegang immer wieder von prekären Verhältnissen und Kämpfen um Anerkennung geprägt, bis er 2016 eine Post-Doc-Stelle in der „Gender Expert Group“ der Universität Luxemburg antrat, die 2021 in eine unbefristete Forschungsposition am Institute for Social Research and Interventions umgewandelt wurde. Dort fand er sich zuletzt in einem Umfeld wieder, das von echter kollegialer Wertschätzung und gegenseitigem Respekt gekennzeichnet war.[3]
Adrian de Silva setzte sich durch seine Schriften und Lehre, z. B. zur Geschichte und Politik von Trans-Bewegungen, aber auch darüber hinaus für Veränderungen in der Institution Wissenschaft und in der Gesellschaft ein. Ihm war es dafür wichtig, den Austausch unter kritischen Wissenschaftler*innen, aber auch zwischen diesen und Aktivist*innen bzw. Mitgliedern von marginalisierten Communitys zu fördern. Nach der Bremer Zeit engagierte er sich im wissenschaftlichen Beirat des Transgender-Netzwerks Berlin und war in diesem Rahmen 2008 und 2009 ein Mitherausgeber der Online-Zeitschrift „Liminalis – Zeitschrift für geschlechtliche Emanzipation“, der ersten deutschen, peer-reviewten Fachzeitschrift mit dem Schwerpunkt auf einer kritischen Analyse der Norm der Zweigeschlechtlichkeit und einem nicht-pathologisierenden Blick auf Trans- und Intergeschlechtlichkeit. Neben seinem redaktionellen Einsatz für das rein ehrenamtlich organisierte und unabhängig von Verlagen online erschienene wissenschaftliche Journal veröffentlichte er in der ersten Ausgabe 2007 einen Artikel zur „Konstruktion von Geschlecht und Geschlechterregimen in dem Gender Recognition Act 2004 und im englischen Parlament“ ([de Silva 2007a]) und ermöglichte mittels seiner Bilinguität zusammen mit den anderen Herausgeber*innen, dass alle Artikel der „Liminalis“ nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch erscheinen konnten.[4]
Zusammen mit anderen Engagierten gründete Adrian de Silva bei der Trans*Tagung 2012 in Berlin das autonome Inter_Trans_Wissenschaftsnetzwerk (ITW) mit den Zielen, emanzipatorische, nicht-pathologisierende und nicht-medikalisierende Forschung zu inter und trans Themen voranzutreiben sowie den Austausch untereinander und mit inter und trans Aktivist*innen zu stärken.[5]
Ein Anliegen von Adrian de Silva war stets die Anerkennung von Trans Studies als eigenständigem, fachlich begründetem Forschungsfeld und als Forschungsperspektive innerhalb etablierterer Felder wie der Sexualwissenschaft, der Politikwissenschaft, aber auch den Gender Studies. Er beteiligte sich daher 2018 aktiv als Gründungsmitglied der Fachgesellschaft Geschlechterstudien an der Initiative für eine AG Trans*Inter*Studies innerhalb der Fachgesellschaft. Auf einer Podiumsdiskussion der zehnjährigen Jubiläumstagung der Fachgesellschaft 2020 fragte er z. B. kritisch nach dem Stellenwert von Trans und Inter Studies in den Gender Studies.[6] Kritische Perspektiven auf hegemoniale Zweigeschlechtlichkeit brachte er auch in anderen Disziplinen ein, wie z. B. durch seine frühen Beiträge in der „Zeitschrift für Sexualforschung“ zu medizinethischen Aspekten von Intergeschlechtlichkeit ([de Silva 2007b]) und politischen und rechtssoziologischen Fragen zu Trans(-sexualität) ([de Silva 2005]) sowie in „Kritische Justiz“ ([de Silva 2008b]) oder als Mitglied im von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Wissenschaftlichen Netzwerk „Queere Zeitgeschichten im deutschsprachigen Europa“.
Bei solchen wissenschaftspolitischen Initiativen beließ es Adrian de Silva nicht. Vielmehr mischte er sich auch immer wieder in aktuelle Diskussionen um das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) ein, z. B. durch seine Mitarbeit im bundesweiten Arbeitskreis „Forderungspapier TSG Reform“ in Berlin (2011/2012)[7] oder durch Positionierungen zum TSG auf diversen öffentlichen Veranstaltungen. Auch war er in einer damals bahnbrechenden informellen Arbeitsgruppe mit cis und trans Vertreter*innen zu partizipativer Trans-Gesundheitsforschung engagiert, die 2013 in einer Podiumsdiskussion zu betroffenenkontrollierter Forschung mündete,[8] weil sie die Dichotomie zwischen Medizin und Trans-Bewegung/-Wissen zum Wohle einer besseren Gesundheitsversorgung für trans Menschen aufzubrechen suchte.
Während Adrian de Silva wertvolle Beiträge zu Politikwissenschaften, Gender Studies und Rechtssoziologie leistete, lag sein wissenschaftlicher Schwerpunkt in den Trans Studies.
Im Anschluss an Susan Stryker definierte er selbst das noch junge Feld der Trans Studies als ein „gesellschaftlich engagiertes, interdisziplinäres Feld, das vor allem die Funktionsweise und Effekte hegemonialer Regime untersucht, die Subjekte konstituieren und hierarchisieren und das Perspektiven und Artikulationen der Subjekte selbst aufgreift“ ([de Silva, im Druck]). Zu betonen ist, dass Adrian de Silva im deutschsprachigen Raum einer der Ersten war, der in wissenschaftliche Diskurse eine solch emanzipatorische Perspektive auf Transgeschlechtlichkeit einbrachte und das immer in enger Anbindung an die politischen Kämpfe von trans Personen selbst. Er prägte das Feld der kritischen Trans Studies im bundesdeutschen Kontext maßgeblich mit durch vielfältige Publikationen sowie seine Lehre und Vorträge. Seine Analysen zeichnen sich durch Trans- und Interdisziplinarität aus, insbesondere aber durch den Anspruch, Transgeschlechtlichkeit immer im gesellschaftlichen Kontext, im Nexus politischer Kämpfe und diverser rechtlicher und sexualwissenschaftlicher Diskurse zu denken. Der Einsatz für gesellschaftlich besonders ausgegrenzte Menschen zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk, wie z. B. in Veröffentlichungen zu Intergeschlechtlichkeit ([de Silva 2007b], [2008a]), zu Asylverfahren von trans Personen ([de Silva und Quirling 2005]) und in von ihm konzipierten Materialien für die Sexuelle Bildung von Menschen mit Lernschwierigkeiten. Die dafür von ihm entwickelte Begriffsdatenbank ([TRASE Project 2017]) ist dabei so konzipiert, dass sprachlich und grafisch Körper, Sexualität und Beziehungsformen im Sinne einer queeren Sexualpädagogik jenseits von cis- und heteronormativen Vorstellungen dargestellt werden.
Adrian de Silva beschäftigte sich insbesondere mit der Frage, wie sexualwissenschaftliche Diskurse in Wechselwirkung mit politischen und rechtlichen Diskursen Trans(-sexualität) als pathologische Abweichung von einer Norm und als Diagnose hervorbringen. Mit dieser Analyse lässt sich nachzeichnen, wie das Verständnis von Trans(-sexualität) in der Sexualwissenschaft den Spielraum für Transidentitäten reguliert bzw. vor allem einschränkt. Er griff damit den von Gesa Lindemann formulierten Ansatz des „somatischen Fundamentalismus“ ([Lindemann 1997]: 327) auf und erweiterte diesen um juridisch-politische Verschränkungen.
Gleichzeitig arbeitete de Silva die Heterogenität innerhalb der sexualwissenschaftlichen Diskurse heraus, die zudem umkämpft sind und insbesondere durch (Gegen-)Wissen aus den Trans-Bewegungen selbst herausgefordert werden, was zu Veränderungen führt (z. B. [de Silva 2014], [2017], [2018]). In seiner Doktorarbeit „Negotiating the Borders of the Gender Regime“ untersuchte de Silva (2018) im Detail, wie sich das Geschlechterregime in der Bundesrepublik Deutschland zwischen den 1960er-Jahren und 2014 veränderte, indem er die gegenseitige Beeinflussung politischer, rechtlicher und sexualwissenschaftlicher Diskurse herausarbeitete. Der Untersuchungszeitraum umfasst drei Phasen der Entwicklung des TSG (Entstehungskontext, Reformen bis 2010 und neuere Entwicklungen). Das anspruchsvolle auf einer breiten und bisher einzigartigen Datenfülle basierende transdisziplinäre Unterfangen ist bereits als Standardwerk zu bezeichnen und adressierte eine wichtige Forschungslücke, da vorab diese jeweiligen Felder nur einzeln, nicht aber in ihrer Verquickung betrachtet wurden.
De Silva zeigte, wie der Stand der Diskussionen in den Sexualwissenschaften Ende der 1970er-Jahre in das neue Gesetz einfloss und Gutachten zur Voraussetzung für Namens- und Personenstandsänderungen sowie Kostenübernahme durch Krankenkassen etabliert wurden. In der Zeit der Reformen zeichnete sich hingegen ein Paradigmenwechsel in der Sexualwissenschaft ab – hin zu einer nicht länger pathologisierenden Akzeptanz von Geschlechtervielfalt und immer auch in Wechselwirkungen mit einer erstarkenden Trans-Bewegung und veränderten Positionen des Bundesverfassungsgerichts. Die Studie leistet somit insbesondere einen elementaren Beitrag zum (kritischen) Verständnis der Rolle der Sexualwissenschaft als mächtige Institution und hilft dabei, aktuelle sexualwissenschaftliche und rechtliche Entwicklungen in ihrer Bedeutung historisch einzuordnen.
Adrian de Silva erweiterte immer wieder den Blick über die Trans-Community hinaus, indem er z. B. den sexualwissenschaftlichen Diskurs zum Umgang mit inter Kindern und Jugendlichen befragte. In seinem 2007 in der „Zeitschrift für Sexualforschung“ erschienenen Artikel „Physische Integrität und Selbstbestimmung: Kritik medizinischer Leitlinien zur Intersexualität“ verglich er drei damals geltende Behandlungsleitlinien und machte entpathologisierende Vorschläge, wie zukünftig die körperliche Unversehrtheit der Betroffenen geschützt sowie deren Selbstbestimmungsrechte gewahrt werden könnten. Schon 2005 kritisierte er in derselben Zeitschrift die Unsichtbarmachung von zwischengeschlechtlichen Variationen: „Da Intersexualität pathologisiert wird, schließen rechtliche und medizinische Expert/inn/en diese als eine geschlechtliche Option aus“ ([de Silva 2005]: 260).
In diesem Zusammenhang war es ihm immer wichtig, auf die Achtung der Selbstbezeichnungen von Personen, die als „intersexuell“ betrachtet werden und deren Vielfalt hinzuweisen, selbst wenn er zu Zwecken der Verständlichkeit „Intersexualität” als Oberbegriff für ein „Bündel vielfältiger geschlechtlicher Variationen“ verwendete, was er den Geschlechtsvarianten „weiblich” und „männlich” als gleichwertig beiordnete ([de Silva 2007b]: 176). Adrian de Silva stellte die in den Bewegungen entwickelten Begrifflichkeiten – immer unter Berücksichtigung des historischen Kontextes – in den Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen und trug auch in Bezug auf Transgeschlechtlichkeit zu einer Erweiterung von Geschlechterverständnissen und zur Respektierung von Selbstbezeichnungen bei. So schrieb er in demselben Beitrag: „Unter ‚Transgender‘ sind hier in Anlehnung an die Definition des TransGenderNetzwerk Berlin (TGNB) alle Menschen zu verstehen, ‚für die das gelebte Geschlecht keine zwingende Folge des bei der Geburt zugewiesenen Geschlechtes ist‘ “ ([de Silva 2005]: 262).
Gleichwohl es sein Verdienst war, die nicht aufgearbeiteten Wissensbestände, graue Literatur und (Online-)Diskurse der Trans-Bewegung in wissenschaftliche Disziplinen einzubringen, die wie die Sexualwissenschaften bis dato das Phänomen der Geschlechtlichkeit ohne die Perspektiven bzw. Beteiligung der betreffenden Personen verhandelten, machte seine Kritik auch vor Transnormativität innerhalb der Bewegung nicht halt. Transnormativität wurde von ihm verstanden als das „Bedürfnis rechtlich-medizinischen Vorschriften Genüge zu leisten“ und als Hierarchie, in der trans Menschen, die operative Eingriffe haben vornehmen lassen, über denjenigen stehen, die keine chirurgischen Veränderungen suchen oder brauchen ([de Silva 2005]: 263). Er beschäftigte sich mit „Passing“ einerseits in seiner (über-)lebensnotwendigen Wichtigkeit und kritisierte es gleichzeitig andererseits als Form der rigiden Normüberwachung ([de Silva 2005]: 263).
Geschlecht unterlag für ihn „der Dynamik gesellschaftlicher und politischer Kräftekonstellationen und ist somit umkämpft und relational“ ([de Silva 2005]: 259), worin er eine Hoffnung auf Änderung der geltenden Paradigmen und auf Verbesserung der gesellschaftlichen Anerkennungsfähigkeit von geschlechtlicher Vielfalt zum Ausdruck brachte. Die Neuregelungen im Personenstandsgesetz von 2013 und 2018 (Offenlassen des Geschlechtseintrages bzw. sogenannte „Dritte Option“ für Personen mit „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ nach Vorlage eines entsprechenden ärztlichen Attests) kommentierte de Silva kritisch, etwa in einem Interview von 2014: „Zweitens müssen die diversen Sondergesetze und -regelungen weg, weil sie eine stigmatisierende, ausgrenzende und bevormundende Wirkung haben. Also vor allem das Transsexuellengesetz und die Neuregelung im Personenstandsgesetz von 2013, wonach der amtliche Geschlechtseintrag offenbleiben muss, wenn es sich um ein intersexuelles Neugeborenes handelt. Wenn schon das Merkmal ‚Geschlecht‘ nicht einfach gestrichen werden kann, was doch viel sinnvoller wäre, dann müsste wenigstens der offene Eintrag auf alle Neugeborenen ausgeweitet werden“ ([Klöppel 2014]: o. S). Auch 2020 machte er in einem Vortrag[9] seine Überzeugung deutlich, dass die rechtliche Anerkennung eines dritten Geschlechts zwar besser sei als gar keine, aber dass das Ziel die Abschaffung des Personenstands und der zwanghaften Kategorisierung von Geschlecht prinzipiell sein müsse. Heute stehen wir kurz vor der Abschaffung des sogenannten Transsexuellengesetzes zugunsten eines (sogenannten) Selbstbestimmungsgesetzes. Ein Grund zu Hoffnung und Freude, welche Adrian de Silva grundsätzlich teilte. Gleichzeitig hätte er sehr genau hingeschaut, inwiefern diese historische Veränderung auch tatsächlich zu mehr Selbstbestimmung von trans, inter und nichtbinären Menschen und zum Abbau der Norm der Zweigeschlechtlichkeit beiträgt.
Wir haben Adrian in persönlichen Gesprächen und in den geteilten Zusammenhängen als Wissenschaftler, Freund und Weggefährten schätzen gelernt, der trotz einiger Schicksalsschläge seiner angenehm unaufgeregten, immer sachlichen Art sowie seinem nie klein zu kriegenden Humor treu blieb. Sein Lebenswerk wird uns und sicher viele andere Forschende weiterhin dazu anregen, die (zweigeschlechtlichen) Geschlechterverhältnisse kritisch zu hinterfragen.
Publication History
Article published online:
16 January 2024
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Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Bauer R, de Silva A, Schirmer U. Von Fröschen, Einhörnern und Schmetterlingen. Trans*_queere Wirklichkeiten und visuelle Politiken. Schriften von Josch Hoenes (1972–2019). Melusina; Luxembourg: 2023
- 2 Bauer R, Schirmer U. Nachruf auf Dr. Adrian de Silva (1966–2023). Femina Politica 2023; 32: 92-95
- 3 de Silva A. Transsexualität im Spannungsfeld juristischer und medizinischer Diskurse. Z Sexualforsch 2005; 18: 258-271
- 4 de Silva A. Zur Konstruktion von Geschlecht und Geschlechterregime in dem Gender Recognition Act 2004 und im englischen Parlament. Liminalis 2007; a 1: 83-108
- 5 de Silva A. Physische Integrität und Selbstbestimmung: Kritik medizinischer Leitlinien zur Intersexualität. Z Sexualforsch 2007; b 20: 176-185
- 6 de Silva A. Geschlechter- und sexualpolitische Annahmen in zeitgenössischen medizinischen Empfehlungen zur Behandlung von Intersexualität. In: Tuider E. QuerVerbindungen. Interdisziplinäre Annäherungen an Geschlecht, Sexualität, Ethnizität. LIT; Münster: 2008. a 51-67
- 7 de Silva A. Zur Normalisierung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit im Recht: Eine queere Analyse der Regulation des Geschlechtswechsels im Vereinigten Königreich. Kritische Justiz 2008; b 41: 266-270
- 8 de Silva A. Grundzüge struktureller und konzeptueller Entwicklungen der Trans*bewegung in der Bundesrepublik Deutschland seit Ende der 1990er Jahre. Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Forschung im Queerformat. Aktuelle Beiträge der LSBTI*-, Queer- und Geschlechterforschung. transcript; Bielefeld: 2014: 151-170
- 9 de Silva A. Trans und sozialer Wandel in der Bundesrepublik Deutschland. In: Hoenes J, Koch M. Transfer und Interaktion. Wissenschaft und Aktivismus an den Grenzen heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit. BIS; Oldenburg: 2017: 175-186
- 10 de Silva A. Negotiating the Borders of the Gender Regime: Developments and Debates on Trans(sexuality) in the Federal Republic of Germany. transcript; Bielefeld: 2018
- 11 de Silva A. Gegenstand, Entwicklungen und Forschungsfelder der Trans Studies. In: Gradinari I, Meshkova K, Trinkaus S. (Re-)Visionen. Ontologien, Methodologien und Theorien der Gender Studies. transcript; Bielefeld: im Druck
- 12 de Silva A, Quirling I. Zur gegenwärtigen Situation asylsuchender transgeschlechtlicher Menschen in der Bundesrepublik Deutschland. Femina Politica 2005; 14: 70-81
- 13 Klöppel U. Mein Geschlecht gehört mir!? Interview mit Adrian De Silva und Konstanze Plett. GID 2014; 30: 16-18 https://www.gen-ethisches-netzwerk.de/behinderung/selbstbestimmungskritik/mein-geschlecht-gehoert-mir
- 14 Lindemann G. Wie viel Ordnung muss sein?. Z Sexualforsch 1997; 10: 324-331
- 15 TRASE Project. Training in Sexual Education for People with Mental Disabilities. Sex und Beziehungen. TRASE; Merseburg: 2017. Als Online-Dokument: https://traseproject.com/wp-content/uploads/2021/07/Trase_brochure_vf4_Piktogramme-DE5.pdf