Nervenheilkunde 2024; 43(07/08): 452
DOI: 10.1055/a-2241-9354
Buchbesprechungen

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Tod eines Asylreisenden

Michael Philipp: Tod eines Asylreisenden. Calw: SWB Verlag, 2024; Taschenbuch; 176 Seiten; 14,00 Euro; ISBN 9783964380586

Die Unterschiede zwischen einem Psychiater und einem Privatdetektiv sind, wenn man es auf den Punkt zu bringen versucht, nicht groß: Beide sind auf der Suche nach den Ursachen von ungesunden, gestörten bzw. krankhaften (je nach terminologischer Perspektive) Zuständen. Und beide sind bestrebt, nicht nur diese Ursachen zu klären, sondern die daraus resultierenden Probleme einer möglichst guten, eleganten und nebenwirkungsarmen Behandlung zuzuführen. Michael Philipp, nach langjähriger psychiatrischer Tätigkeit – zuletzt als psychiatrischer Chefarzt in Landshut – hat in den letzten Jahren quasi die Seiten gewechselt und legt nun seinen 5. Landshut-Krimi vor. Dieser beginnt in einer psychiatrischen Klinik, um von dort aus ein tragisches Kapitel der aktuellen Weltgeschichte aufzuschlagen. Ein Flüchtling, ein Kurde aus der Türkei, kurz vor seiner bevorstehenden Abschiebung, wird ermordet in der Klinik, in der er begutachtet werden sollte, aufgefunden. Dass es kein Selbstmord durch Erhängen war, ist gerichtsmedizinisch offensichtlich. Die Hintergründe der Tat sind komplexer. Zum einen hatte der Betreffende selbst etwas mit dem Schleusermilieu zu tun, aber auch mit der PKK und war zudem mit einer Muslima verlobt, deren Vater entschieden gegen die Verbindung war. Aus allen diesen Aspekten ergeben sich Indizienstränge, denen Privatdetektiv Horst Overbeck, seine Partnerin Eva Heinrichsen und das Personal der Landshuter Mordkommission sukzessive nachgehen. Dazu tauchen die Protagonisten zunächst einmal tief in die Geschichte der Kurden ab, um sich dann, unterstützt durch die kurdische Ehefrau eines befreundeten Arztes, in die Untiefen internationaler krimineller Machenschaften zu begeben. Ein Psychiater, trotz aller Verstrickungen, in die sich sein Detektiv im Rahmen der Recherchen begibt, bleibt Psychiater, der stolz auf das blickt, was aus psychiatrischen Kliniken auch dank seiner Lebensleistung geworden ist: „Immer wieder aufs Neue waren beide (Polizisten) beeindruckt von der lichtdurchfluteten Eingangshalle, deren Großzügigkeit und Weitläufigkeit alle Vorurteile von Eingesperrtsein, Enge und Düsternis vergessen ließ, die zumeist mit psychiatrischen Kliniken verbunden werde.“ Analog dazu ist selbstverständlich auch damit zu rechnen, dass am Ende des Romans Licht in den Fall, der an individuellen Beispielen die Tragik weltpolitischer Verwerfungen, der Unterdrückung eines Volkes, politischem Fanatismus und religiös-kultureller Engstirnigkeit spiegelt, gebracht wird. Heilen kann die dahinterliegenden epochalen Probleme zwar weder ein Psychiater noch ein Privatdetektiv. Entsprechend anspruchsvolle Themen spannend aufzubereiten und die Leser an den Ermittlungen teilhaben zu lassen ist gleichwohl verdienstvoll und ein Vergnügen.

Andreas Hillert, Prien am Chiemsee



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Article published online:
17 July 2024

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