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DOI: 10.1055/a-2260-6107
Kommentar zu „Unterschiede in der Wirksamkeit und Verträglichkeit Inkretinbasierter Diabetes-Medikamente“

Die vorliegende Publikation von Yao et al. ist das Ergebnis eines sehr ambitionierten Forschungsvorhabens, nämlich die Wirksamkeit, aber auch die unerwünschten Arzneimittelwirkungen von inkretinbasierten Medikamenten quantitativ zu vergleichen. In diese Analyse wurden auch sehr aktuelle Daten zu neuen Substanzen mit einbezogen: der GIP/GLP-1Rezeptor-Ko-Agonist Tirzepatid, der GLP-1/Glukagon-Ko-Agonist Mazdutid, das Kombinationspräparat CagriSema – der Amylin-Rezeptor-Agonist Cagrilintid und Semaglutid –, der Triple-GLP-1/GIP/Glukagon-Rezeptor-Agonist Retatrutid, sowie die in Deutschland nicht zugelassenen GLP-1-Rezeptor-Agonisten-Präparate PEG-Loxenatid, PEGyliertes Exenatid und ITCA 650 – subkutan implantierte Minipumpen, die über Monate Exenatid freisetzen. Methodisch wurden klinische Studien analysiert, die die genannten Präparate entweder mit Placebo oder mit anderen Präparaten der gleichen Medikamentenklasse verglichen, und im Sinne einer Netzwerk-Metaanalyse miteinander in Beziehung gesetzt haben. Leider wurden alle untersuchten Präparate, trotz der offensichtlichen Unterschiede im Wirkmechanismus, einheitlich als GLP-1-Rezeptor-Agonisten bezeichnet, was sicherlich eine fragwürdige Terminologie ist, denn die Stimulation der anderen Rezeptoren (außer von GLP-1) ist ja Absicht und mit der Hoffnung auf zusätzliche oder bessere Wirkungen verbunden.
Aus den Bemühungen ist eine sehr umfangreiche Publikation geworden; im Kern-Manuskript mit 8 Abbildungen (insgesamt 11 Teilabbildungen/sog. „Panels“), aber wenn man das 242-seitige Supplement mit einbezieht, kommen noch einmal 54 Tabellen und 278 Einzel-Abbildungen hinzu. Es wird offensichtlich, dass der monumentale Ansatz nicht nur Vorteile hat, denn er bringt auch mit sich, dass nicht alle Präsentationsmaterialien geeignet sind, dazu beizutragen, klinisch bedeutsame Fragen fokussiert und überzeugend zu klären, damit man aus den Analysen auch therapeutisch wichtige Schlussfolgerungen ziehen kann. Das ist für den überwiegenden Teil der präsentierten Analysen nicht der Fall, und selbst die Kernabbildungen lassen keine erschöpfende Interpretation zu.
Wenn es z.B. um die vergleichende Betrachtung der Wirksamkeit im Sinne der Senkung von HbA1c, Nüchternblutzucker und Körpergewicht geht, wird daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass alle genannten Präparate wirksam sind. Dazu wird eine Konfidenz der Evidenz angegeben, die für die wirkstärkeren Präparate größer berechnet wurde. Ein Vergleich im eigentlichen Sinne ist aber nur in einer Tabelle im Supplementband zu finden – ohne begleitenden Text und damit ohne Interpretation. In der Methodik fehlt ein Hinweis, welche Dosierungen in diese Analyse der vergleichenden Wirksamkeit eingegangen sind. Ich habe den Verdacht, dass hier alle Dosierungen in die Kalkulation mit einbezogen wurden, zu denen Daten vorliegen, also auch Dosierungen, die man nur in frühen, relativ kurzen Studien (Phase 2) erhoben und dann nicht mehr weiterverfolgt hat. Diese Vermutung stützt sich auch auf die Breite der angegebenen Konfidenzintervalle, die sich eigentlich alle überlappen (was signifikante Unterschiede eigentlich ausschließt).
Meiner Meinung nach hätten sich die Untersuchungen zur Dosis-Wirkungs-Beziehung allein auf letztlich zugelassene Dosierungen der Präparate beziehen sollen, und der Wirk-Vergleich hätte sich auf die jeweils höchste zugelassene Dosierung beschränken sollen, da sonst ein fairer Vergleich nicht möglich ist. Dementsprechend sind die Abbildungen (im Supplement), die die Dosis-Wirkungs-Beziehungen darstellen sollen, nicht sehr aussagekräftig und bieten in der Regel keinen unmittelbaren optischen Eindruck einer robusten Dosis-Wirkungs-Beziehung. Das lässt aber natürlich wichtige Fragen offen. Offensichtlich war es den Autoren wichtiger, frühe Ergebnisse neuer, noch in Entwicklung befindlicher Präparate in die Analyse mit einzubeziehen. Grundsätzlich kann ich diesen Ehrgeiz nachvollziehen, aber es ist – glaube ich – allgemeiner Konsens, dass Wirkstärken/Effektgrößen in den größeren (mehr Probanden) und längeren (26–52 Wochen, manchmal bis über 1 Jahr) Phase-3-Studien genauer bestimmt werden können.
Unter Einbeziehung solcher Überlegungen hätte man Unterschiede in der Effekt-Stärke zwischen verschiedenen inkretinbasierten Medikamenten deutlicher herausarbeiten sollen, denn es ist offensichtlich, dass sich über die Jahre neue Medikamente dieser Klasse entwickeln ließen, die deutlich wirksamer sind als die ehemals kurz wirksamen (ein- oder 2-mal täglich injizierten) Präparate der frühen Zeit der Inkretin-Mimetika.
Ungewöhnlich ist auch, dass es im Kern-Manuskript keine Angaben zu den Patientencharakteristika der teilnehmenden Probanden gibt. Es ist doch eine etablierte Tatsache, dass eine HbA1c-Senkung mit der identischen Therapie Ausmaße annimmt, wenn der Ausgangswert hoch ist. Gleiches gilt für die Gewichtsreduktion und das Gewicht vor Beginn der Therapie.
Zusammenfassend stellen Yao et al. eine monumental angelegte Netzwerk-Metaanalyse zum Vergleich der erwünschten Effekte und der unerwünschten Arzneimittelwirkungen innerhalb der Klasse der Inkretin-Mimetika (inklusive verschiedener Kombinationspräparate und von dualen und Triple-Agonisten) vor, die aufgrund des methodischen Ansatzes deutlich weniger Erkenntnisse bringt, als man das unter Vermeidung derartiger methodischer Mängel hätte erreichen können.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
01. Juli 2024
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