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DOI: 10.1055/a-2273-0893
Das Fähnchen im Wind
Besonders in der Corona-Politik hat sich ein Trend gezeigt, der aber bereits schon seit Jahren in der Gesellschaft vor sich hin brodelt: Falsch zu liegen oder aufgrund neuer Erkenntnisse die eigene Meinung zu überdenken, wird als absolute Schwäche angesehen.
Entscheidungsträger werden aufs Übelste diffamiert, sobald sich ein Beschluss im Nachhinein als schlecht oder suboptimal herausstellt. Meist geschieht dies, wenn eine Lage aufgrund von neuen Informationen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht vorlagen, neu bewertet werden muss. Hinterher ist man eben immer schlauer. Da man sich nie zur Gänze sicher sein kann, in einem bestimmten Moment alle relevanten Informationen zu besitzen, führt dies dazu, dass die Menschen sich immer weniger trauen, Entscheidungen zu treffen. Denn gibt man am Ende zu, falschgelegen zu haben, und lässt sich von einer anderen Sichtweise überzeugen, wird oftmals der Vorwurf laut, man verhalte sich nur wie das Fähnchen im Wind.
Auch im Kleinen (z. B. in der Physiotherapie) führt dies dazu, dass Dialoge und Diskurse im Keim erstickt werden. Aus Angst, als schwach angesehen zu werden, beharrt jede Seite auf ihrer Position, und ein Vorankommen rückt in immer weitere Ferne.
Es ist also zugunsten des Fortschritts an der Zeit, Fehler wieder als menschlich und das Ändern der eigenen Meinung aufgrund neuer Tatsachen als Stärke zu betrachten.
Ihr
Julian Kiesele
Physiotherapeut und Themenscout
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
17. Mai 2024
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