Sprache · Stimme · Gehör 2024; 48(02): 78-79
DOI: 10.1055/a-2278-9780
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Europäischer Tag der Sprachen: Ein lebendiger Träger von Kommunikation

Der Europäische Tag der Sprachen findet seit 2001 europaweit jährlich am 26. September statt. Er geht auf eine Initiative des (von 10 westeuropäischen Ländern 1949 gegründeten) Europarates (mit derzeit 46 Mitgliedsstaaten) in Straßburg zurück.

Dieser Tag ist Anlass, die Sprachenvielfalt in Europa (mit seinen ca. 225 indigenen Sprachen) zu achten, zu schützen, die individuelle Mehrsprachigkeit und damit das lebenslange Sprachenlernen anzuregen sowie die Formung von Sprachidentitäten zu fördern. Insbesondere historisch gewachsene „Regional- oder Minderheitensprachen“ stehen dabei im Mittelpunkt.

Regionalsprachen sind geografisch definiert, Minderheitensprachen werden in einem abgegrenzten Gebiet von einer Minderheit der Bevölkerung gesprochen. In der EU Charta für den Schutz und die Förderung von Sprachen, die von Angehörigen traditioneller Minderheiten verwendet werden, sind „Regional- oder Minderheitensprachen“ definiert als Sprachen, „die traditionell in einem bestimmten Gebiet eines Staates von Staatsbürgern dieses Staates gesprochen werden, die im Vergleich zur restlichen Bevölkerung des Staates eine zahlenmäßig kleinere Gruppe darstellen. Sie unterscheiden sich von der/den Amtssprache(n) dieses Staates und schließen weder Dialekte der Amtssprache(n) des Staates noch Sprachen von Einwanderern ein“.

Die EU Charta findet auch Anwendung auf „nicht-territoriale Sprachen“. Das sind Sprachen, die von Angehörigen eines Staates genutzt werden, die sich aber von der/den Sprache/n der übrigen Bevölkerung des Staates unterscheiden und geografisch nicht mit einem bestimmten Gebiet dieses Staates verbunden werden können, etwa das Jiddisch von Juden oder das Romani von Sinti und Roma. Verschiedene Länder der EU haben auch Gebärdensprachen dem Status von Minderheitensprachen gegeben, obwohl diese keiner ethnischen Minderheit zuzurechnen sind.

Eine Auswahl historisch gewachsener Minderheiten- oder Regionalsprachen:

Irisch-Gälisch; Schottisch-Gälisch; Kornisch in Cornwall; Walisisch in Wales; Karelisch in Finnland; Inarisamisch in Finnisch-Lappland; Nordsamisch in Schweden und Finnland; Südjütisch in Südschleswig; friesische Sprachen [West-, Sater-, Ost-, Nordfriesisch] an der Nordseeküste in Schleswig-Holstein und Niedersachsen; Kaschubisch in Polen; Varietäten der sorbischen Sprachen [Nieder-, Obersorbisch] in den deutschen Bundesländern Sachsen und Brandenburg; Mährisch-Kroatisch in Tschechien; Kroatisch in Slowenien; Burgenlandkroatisch in Österreich; Ruthenisch in der Slowakei, Ukraine, Serbien, Rumänien; Flämisch = Belgisch-Niederländisch; Bretonisch in der Bretagne; Franko-Provenzalisch in der Schweiz; Okzitanisch mit seinen eigenständigen regionalen Mundarten in Südfrankreich und angrenzenden südlichen Regionen; Baskisch in den französischen und spanischen Pyrenäen; Aragonesisch in der autonomen Region Aragonien/Spanien; Katalanisch im Roussillon/Département Pyrénées Orientales, in Andorra, Katalonien, auf den Balearen, in Valencia/Spanien; Asturisch in Asturien/Spanien; Galizisch in Galizien und Asturien/Spanien; Korsisch auf der Mittelmeerinsel Korsika; Sardisch auf der Mittelmeerinsel Sardinien; Alemannisch im Südwesten Deutschlands, französischen Elsass, in Österreich, Liechtenstein, in der Schweiz; Friaulisch in Nordostitalien; Ladinisch in Südtirol/Italien; Istriotisch in Istrien und Kroatien; Aromunisch in Griechenland und anderen Balkanländern; Tsakonisch in den Peloponnesregionen Arkadien und Lakonien/Griechenland.

Da Sprache und Kultur miteinander eng verbunden sind, wird durch den „Europäischen Tag der Sprachen“ nicht nur das Bewusstsein für Sprachkultur geweckt und sensibilisiert, sondern auch die kulturelle Vielfalt in Europa anerkannt: innerhalb der einzelnen Länder und länderübergreifend. Dahinter stehen die Idee bzw. die Erkenntnis, dass interkulturelles Verständnis und die Integration verschiedener Kulturen auch und besonders dadurch gelingt, dass wir uns wechselseitig die Grundorientierungen erschließen, die eine Sprachgemeinschaft in ihrer Sprache ausdrückt.

Mehrere Sprachen im europäischen Raum gelten als moribund (z. B. Manx auf der Insel Man/UK, Tsakonisch auf der Halbinsel Peloponnes/Griechenland), in Deutschland sind vor allem Nordfriesisch, Saterfriesisch, Jütländisch und Romani sehr gefährdet. Insbesondere grenzüberschreitende Sprachen sind in ihrer Existenz bedroht, weil sie nur von Minderheiten in mehreren Staaten gesprochen werden.

In der Europäischen Union sind aktuell 24 Sprachen als Amts- und Arbeitssprachen anerkannt und werden im Parlament gesprochen: Bulgarisch, Dänisch, Deutsch, Englisch, Estnisch, Finnisch, Französisch, Griechisch, Irisch, Italienisch, Kroatisch, Lettisch, Litauisch, Maltesisch, Niederländisch, Polnisch, Portugiesisch, Rumänisch, Schwedisch, Slowakisch, Slowenisch, Spanisch, Tschechisch, Ungarisch. Von diesen sind im internen Verkehr der EU-Organe vor allem Englisch, Französisch und Deutsch gebräuchlich. Alle Organe der EU müssen in sämtlichen Amts- und Arbeitssprachen der Gemeinschaft kommunizieren, damit sich alle EU-Bürger*innen in ihrer Muttersprache am politischen Prozess beteiligen können Zum Vergleich: im Jahr der Etablierung des „Europäischen Tages der Sprachen“ im Jahr 2001 gab es erst 11 Amtssprachen. Die ältesten Amtssprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch, Niederländisch, die jüngste (seit 2013) ist Kroatisch. „Mehrsprachigkeit“ ist in der Charta der Grundrechte der EU berücksichtigt, das bedeutet, dass eine Anfrage an eine EU-Institution in einer Amtssprache gestellt werden kann und ein Anspruch auf eine Antwort in derselben Sprache besteht.

Der im September eines jeden Jahres europaweit begangene „Europäische Tag der Sprachen“ würdigt zu Recht den Schatz des sprachlichen Erbes und das Konzept der Mehrsprachigkeit; die Förderung und der Erhalt von sprachlicher und kultureller Vielfalt ist ein wichtiges Anliegen, denn mit dem Aussterben von Sprachen sterben Erkenntnis- und Perspektivenvielfalt, kurzum Wissenssysteme.

Prof. Dr. Dipl.-Psych. Christiane Kiese-Himmel, Medizinische Fakultät der WWU Münster, UKM und Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
14. Juni 2024

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