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DOI: 10.1055/a-2280-5655
Objektivierung der Versorgungsqualität in der Viszeralchirurgie
Einleitung
Qualität ist ein weit gefasster Begriff und aus der modernen Medizin nicht wegzudenken. Wurde früher Qualität oft einzig und allein an der chirurgischen und operativen Qualität festgemacht, muss heute der Qualitätsbegriff weitreichender gesehen werden. In die Beurteilung der Versorgungsqualität gehen viele Faktoren ein. In Zeiten der Budgetkürzungen und Diskussionen über Klinikschließungen sollte die Versorgungsqualität der Patienten zunehmend im Vordergrund stehen. Objektivierbare Kriterien der Patientenbehandlung sollten zur Planung des deutschen Gesundheitssystems und der Ressourcenverteilung herangezogen werden, mit dem Ziel, in allen Behandlungseinrichtungen eine gleichbleibende Qualität zu erreichen.
Der Qualitätsbegriff wurde u. a. durch die Deutsche Gesellschaft für Qualität (DGQ) im Rahmen der DIN-Normen-Gestaltung als die Summe von Eigenschaften und Merkmalen eines Produktes oder einer Tätigkeit, die sich auf deren Eignung zur Erfüllung gegebener Erfordernisse beziehen, definiert [1]. In Bezug auf die Versorgungsqualität in der Medizin hat das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) ein Rahmenkonzept bereitgestellt, welches die einzelnen Qualitätsdimensionen weiter unterteilt ([Abb. 1]) [2]. Hierbei werden 6 Dimensionen aufgelistet, die einzeln betrachtet keinen Aufschluss über die Qualität geben können, aber im Kontext die Qualität der Behandlung widerspiegeln sollen. Zu diesen 6 Dimensionen zählen Wirksamkeit, Angemessenheit, Patientensicherheit, Ausrichtung der Versorgungsgestaltung an Patienten, Rechtzeitigkeit und Verfügbarkeit sowie Koordination und Kontinuität. „Wirksamkeit“ spiegelt hierbei die Behandlung der Patienten entsprechend dem aktuellen Wissensstand wider, um die bestmöglichen Behandlungsergebnisse zu erzielen. Ebenfalls ist eine qualitativ hochwertige Versorgung nach dem Prinzip der „Angemessenheit“ ausgerichtet. Das Handeln nach aktuell gültigen Leitlinien sowie nach Ergebnissen klinischer Studien ist neben der richtigen Indikationsstellung ein wichtiger Punkt. Die „Patientensicherheit“ zur Vermeidung schädlicher Ereignisse sollte als allgemein gültiges Konzept in der Medizin aufgefasst werden. Die „Ausrichtung der Versorgungsgestaltung an Patienten“ und deren Bedürfnissen zielt vor allem auf einen rücksichtsvollen Umgang mit Patientinnen und Patienten ab. Spezielle Wünsche, wie z. B. geografische Nähe der Behandlungseinrichtung zum Wohnort oder spezifische Terminwünsche, sind allerdings oft nicht mit dem klinischen Alltag vereinbar. Im Zusammenhang damit steht die „Rechtzeitigkeit und Verfügbarkeit“ der Patientenversorgung. Anhand der Erkrankungen muss abgeschätzt werden, in welchem Zeitraum eine Behandlung erfolgen sollte, zusätzlich sollten Möglichkeiten vorgehalten werden, weiter entfernte Kliniken gut zu erreichen. Auch die „Koordination und Kontinuität“ der Behandlung wird als Dimension guter Qualität genannt. So kann eine große Klinik nicht nur die Koordination und Kontinuität der Behandlung gewährleisten, da alle an der Therapie beteiligten Einrichtungen in der Klinik vorhanden sind, sondern auch eine kontinuierliche Versorgung nach aktuell gültigen Leitlinien und Standards ermöglichen. Der Patientenwunsch nach höchster Qualität „direkt vor der Türe“ der Patienten kann meist aus logistischen Gründen nicht umgesetzt werden. Aufgrund dessen ist die Planung und Koordinierung von Patientenströmen, auch in Notfallsituationen, essenziell. Eine durch den Gesetzgeber erarbeitete Lösung zum schnellen Transport von Notfallpatienten in Kliniken der Maximalversorgung ist ebenso relevant wie die Vorausplanung von Kapazitäten für Patiententransporte der elektiven Versorgung. Es stellt sich die Frage, ob eine Gewichtung der verschiedenen Qualitätsdimensionen möglich oder sinnvoll ist, sodass einzelne Parameter einen höheren Einfluss auf die Qualität haben. Wäre also eine geografisch näher liegende Versorgung bei schlechterer Wirksamkeit der Therapie zu bevorzugen oder sollte das Problem der geografischen Nähe nicht durch bessere Koordination von Patiententransporten ausgeglichen werden und eine Therapie in einem hoch spezialisierten Zentrum erfolgen? In Notfallsituationen kann die Vorstellung an einer Klinik der Grundversorgung die Diagnose verzögen, da Kapazitäten und Geräte fehlen. Zusätzlich kann es aufgrund der fehlenden Expertise mit seltenen Erkrankungen zu einer Fehldiagnose kommen oder das Krankheitsbild an der entsprechenden Klinik nicht therapiert werden, was zu einer sekundären Verlegung und damit verbundenen Zeitverzögerung führen würde. Eine bessere Organisation von Patiententransporten im elektiven sowie Notfallaufkommen zu Kliniken der Maximalversorgung kann die Diagnosestellung und somit auch die Prognose verbessern. Die Bündelung von Kompetenzen und die Planung von Personalströmen sollte verwendet werden, um Maximalversorger mit einer besseren Personaldecke auszustatten und somit eine schnelle und qualitativ hochwertige Behandlung gewährleisten zu können.
Dass die Qualität einzelner Leistungen, im Falle der Viszeralchirurgie einzelner operativer Eingriffe, von der Anzahl der erbrachten Leistungen abhängig ist, wurde bereits durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) mit der Mindestmengenregelung aufgenommen [3]. Durch diese Mindestmengen sind in der Viszeralchirurgie aktuell komplexe Eingriffe an Ösophagus sowie Pankreas und die Transplantationschirurgie geregelt. Doch sollte für andere operative Eingriffe nicht ebenfalls gelten, dass die Häufigkeit der durchgeführten Leistungen mit dem Ergebnis korreliert? Studien haben gezeigt, dass vor allem bei komplexen Prozeduren ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der durchgeführten Operationen und den postoperativen Komplikationen besteht. Die Problematik liegt hier oft nicht bei den chirurgischen Eingriffen selbst, sondern im „Failure to cure“, der Behandlung und dem Umgang mit Komplikationen. Auch bei weniger komplexen operativen Eingriffen war die Komplikationsrate rückläufig, wenn auch nicht signifikant [4]. Kliniken sollten Eingriffe regelmäßig durchführen, um die Routine zu behalten und um auf mögliche Komplikationen rechtzeitig und mit den entsprechend nötigen Maßnahmen reagieren zu können. Betrachtet man das Gesundheitssystem in Skandinavien, so sieht man, dass eine Zentralisierung der Patientenversorgung die Qualität steigert und die Patientensicherheit erhöht. Hierbei ist relevant, dass in Skandinavien die Einwohnerzahl pro Quadratkilometer deutlich niedriger ist als in Deutschland [5]. Trotzdem wurden hier verschiedene Strategien entwickelt, um die Therapie komplexer Krankheitsbilder nur noch in entsprechenden Zentren durchzuführen.
Wie ist eine Objektivierung der Patientenversorgung nun möglich? Eine interne Validierung der eigenen Qualität sollte durch jede Klinik regelmäßig erfolgen. Im Rahmen von Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen sollten postoperative Komplikationen aufgearbeitet und Häufungen von Fehlern systematisch nachverfolgt werden. Das regelmäßige Update zu Neuerungen in den Leitlinien wie auch die Teilnahme an klinischen Studien sind anzustreben. Fortbildungen, sowohl klinikintern als auch extern, müssen regelmäßig erfolgen und die Teilnahme dokumentiert werden. Patientenbefragungen ebenso wie Befragungen der Zuweiser sollten ein fest implementiertes Werkzeug in der Erfassung der eigenen Qualität sein. Die Veröffentlichung von Qualitätsberichten der Kliniken stellt hierbei eine Transparenz nach außen sicher. Externe Validierung der Qualität kann durch verschiedene Zertifizierungsverfahren erfolgen. So kann einerseits das Gesamtklinikum anhand grundlegender Qualitätsparameter zertifiziert werden, andererseits können aber auch einzelne Aspekte, in der Chirurgie die operative Therapie verschiedener Krankheitsbilder, zertifiziert werden. Die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) [6] bietet hierzu die Möglichkeit der Zertifizierung der wichtigsten onkologischen Krankheitsbilder, wobei die Zertifizierung nicht nur auf den chirurgischen Eingriff eingeht, sondern die komplette onkologische Therapie inkl. komplementärer Fächer berücksichtigt. Für funktionelle Erkrankungen bietet die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) [7] die Möglichkeit einer Zertifizierung mit besonderem Augenmerk auf die chirurgische Therapie. Wichtige Aspekte sind bei der Zertifizierung jeweils die vorgegebenen Mindestmengen, um sicherzustellen, dass eine ausreichende Expertise bez. des operativen Eingriffes, aber auch des Komplikationsmanagements vorliegt. Vor allem im onkologischen Kontext sind Zeichen einer guten Qualität nicht die möglichst schnelle Entlassung oder das Bestreben, den Eingriff möglichst klein zu halten, sondern das Ziel, die Erkrankung zu heilen und ein Rezidiv zu vermeiden. Operative Parameter wie die Anzahl der entfernten Lymphknoten oder Sicherheitsabstände werden ebenso im Rahmen der Zertifizierung abgefragt, wie die Sicherstellung der adäquaten adjuvanten Therapie. Zusätzlich sind Faktoren wie die Beratung durch den Sozialdienst oder Psychoonkologischen Dienst ebenso wie Ernährungsberatung oder Diabetesberatung nach spezifischen Eingriffen relevant. So ist nach Pankreasresektionen oft nicht die operative Expertise entscheidend für die Lebensqualität der Patienten, sondern die richtige Schulung im Umgang mit der neuen Lebenssituation. Um also das bestmögliche Behandlungsergebnis zu erreichen, ist die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen essenziell, was, wie bereits erwähnt, in großen Kliniken der Maximalversorgung sichergestellt werden kann. Neben den Qualitätsberichten der einzelnen Kliniken, die online abrufbar sind, stellen die Zertifizierungsinstanzen auf den entsprechenden Internetseiten Informationen zu zertifizierten Zentren zur Verfügung und können so Patienten und Zuweisern bei der Wahl der richtigen Klinik helfen.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
05. Juni 2024
© 2024. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Deutsche Gesellschaft für Qualität (DGQ). 2022 Zugriff am 11. März 2024 unter: www.dgq.de
- 2 Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG). Was verstehen wir unter guter Versorgungsqualität?. Zugriff am 11. März 2024 unter: https://iqtig.org/das-iqtig/rahmenbedingungen/wie-definieren-wir-gute-qualitaet/
- 3 Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA). Mindestmengenregelungen. Zugriff am 11. März 2024 unter: https://www.g-ba.de/richtlinien/5/
- 4 Hendricks A, Diers J, Baum P. et al. Systematic review and meta-analysis on volume-outcome relationship of abdominal surgical procedures in Germany. Int J Surg 2021; 86: 24-31 DOI: 10.1016/j.ijsu.2020.12.010. (PMID: 33429078)
- 5 Leanderdaten.info. Bevölkerungsdichte im internationalen Vergleich. Zugriff am 11. März 2024 unter: https://www.laenderdaten.info/bevoelkerungsdichte.php
- 6 Deutsche Krebsgesellschaft (DKG). Das Zertifizierungsprogramm der Deutschen Krebsgesellschaft. Zugriff am 11. März 2024 unter: https://www.krebsgesellschaft.de/deutsche-krebsgesellschaft/zertifizierung.html
- 7 Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie e. V. (DGAV). Zertifizierung der DGAV e. V.. Zugriff am 11. März 2024 unter: https://www.dgav.de/zertifizierung.html