RSS-Feed abonnieren
DOI: 10.1055/a-2289-6246
Transkulturelle Psychotherapie

Konnotationen sind wichtig – und auch das, was ausgelassen wird
Vor drei Jahren, als wir mit der Planung dieses Themenheftes begannen, wählte das Herausgeberteam den Begriff „interkulturelle Psychotherapie“ als Titel. Im Prozess der Zusammensetzung der Beiträge wurde uns jedoch bewusst, dass dieser Begriff nicht das ausdrückt, was wir mit dem Themenheft intendieren.
Wie Eva Heim und Ulrike von Lersner darstellen, verwiese der Begriff „interkulturell“ eher auf die Kommunikation zwischen Angehörigen unterschiedlicher kultureller Zugehörigkeiten und ist mit der Vorstellung klar abgegrenzter kultureller Grenzen verbunden. Diese Konnotation entspräche jedoch nicht dem Anliegen unseres Themenheftes. Daher verwenden die Beiträge präzisere Begriffe wie transkulturell, multikulturell oder diskriminierungssensitiv bzw. machen die Konnotationen der Begriffe, die in der Debatte um Diversität und Psychotherapie genutzt werden, sichtbar. Nichtsdestotrotz ist „interkulturell“ nach wie vor ein gängiger, umgangssprachlicher Begriff, den viele Menschen in der Absicht der Inklusion verwenden. Die Hauptaussagen der Beiträge sind klar, der Kern einer transkulturellen Psychotherapie kreist nicht um Begriffsklauberei, sondern um die Absicht, mit bestem Wissen und Gewissen im Psychotherapieprozess eine gemeinsame Sprache zu finden.
Ganz im Sinne der aktuellen Diskussion um „Wokeness“ lässt sich mit kulturellen Konnotationen, je nach Perspektive, sensibilisieren, spielen und auch provozieren. Wie bei dem Plakat mit dem Satz „Herzlich Willkommen in unserem wunderschönen Plattenbau!“, das nicht abgehängt werden konnte, weil es vermeintlich nur das ausspricht, was öffentlich gedacht werden darf. Auch wenn wir darüber schmunzeln mögen – es bleibt ein berechtigtes Spiel, jedoch eines mit dem Feuer. Die Ernsthaftigkeit des Spiels mit Konnotationen wurde uns insbesondere im Gespräch mit Autor*innen aus autokratischen Ländern bewusst, für die unvorsichtige Äußerungen zur aktuellen Lage riskant sein können. Manchmal sind Auslassungen ein wichtiger Selbstschutz.
Das Themenheft wirft uns auf unsere kulturellen Schattenseiten zurück. In Deutschland über den Umgang mit kultureller Diversität zu sprechen, ist ein schmerzhaftes Thema. Auch wenn Holocaust und Nationalsozialismus im Themenheft meist nicht explizit angesprochen werden, fließen sie in dessen Kontext ein. Holocaust und Nationalsozialismus vor nur 80 Jahren – weniger lange her als wir dies möglicherweise gerne denken würden – bleiben eine Wunde und ein Trauma, das beim Lesen dieses Themenheftes möglicherweise bei Ihnen eine ganz persönliche Erfahrungskomponente mitklingen lässt. Diese persönlichen Erfahrungskomponenten können beispielsweise mit familiärem und kulturellem Schmerz, Scham und Ratlosigkeit verbunden sein. Gleichzeitig bleiben Rassismus, Antisemitismus und radikale Menschenverachtung aktueller, als es uns lieb ist.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
25. Februar 2025
© 2025. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
-
Literatur
- 1 Flückiger C, Del Re AC, Ampold BE, Horvath AO. The alliance in adult psychotherapy: A meta-analytic synthesis. Psychotherapy 2018; 55 (4) 316-340